Estland

Angststörungen am Zuckermarkt

Tallinn/Ljubljana (n-ost) – Die jungen EU-Staaten Slowenien, Estland und Litauen könnten Anfang 2007 der Euro-Zone beitreten, wenn sie in den nächsten Monaten die strengen Maastrichter Stabilitätskriterien erfüllen. Doch die Bevölkerung der Kandidatenländer betrachtet die ehrgeizigen Pläne mit gemischten Gefühlen.
„Den Begriff ‚Teuro’ kennen wir sehr gut aus der Diskussion in Deutschland“, lacht Andrus Alber, einflussreicher Berater des estnischen Notenbankpräsidenten. Es sei überall das gleiche: „In den alten EU-Ländern glauben die Menschen, der Euro habe die Preise getrieben. In den neuen Ländern denken sie, er werde genau dazu führen.“

Statistisch gibt es kaum Belege dafür, dass die Einführung des Euro tatsächlich die Preise treibt, sieht man von einzelnen Branchen wir der Gastronomie ab. Aber das alte Ludwig-Erhard-Wort, wonach 50 Prozent der Wirtschaft Psychologie ist, stimmt auch bei den Preisen: Wo Inflationsängste schon vorhanden sind, fällt es den Händlern leichter, die Preise tatsächlich zu erhöhen.

Die Esten haben das schon einmal beim Zucker erlebt. Vor dem EU-Beitritt wurde dort eifrig diskutiert, der estnische Zuckerpreis werde sicher steigen. Dafür gab es auch einen Grund: Estland erhob bis zum Beitritt keinerlei Zölle auf Zuckerimporte, musste aber als EU-Land das teure Quoten- und Zollsystem des EU-Zuckermarktes übernehmen. In den estnischen Zeitungen hieß es aber unisono, der Zuckerpreis werde sich verdreifachen – ein maßlos überzogener Faktor, den aber alle voneinander abschrieben.

Als Estland dann der EU beitrat, geschah Erstaunliches: Der Zuckerpreis stieg tatsächlich fast genau um den Faktor drei – und dort steht er bis heute. Estnischer Zucker ist heute teurer als der in Finnland oder Deutschland. Wirtschaftsexperte Andrus macht sich einen Reim auf dieses offenkundige Marktversagen: „Weil alle mit diesen Preissteigerungen beim Zucker gerechnet hatten, hatte der Handel leichtes Spiel. Alle sagten: ‚War doch klar’, und akzeptierten die Preise.“ Entsprechend drängt die estnische Regierung nun die Presse, Preisängste nicht noch zusätzlich zu schüren. „Wir bringen immer die Zucker-Geschichte als Beispiel, wie man es bitte nicht machen soll“, sagt Anne Sulling, Leiterin einer Euro-Projektgruppe im estnischen Finanzministerium.

Mit ihrer Teurophobie stehen die Esten nicht allein: Drei von vier Bürgern der neuen EU-Länder fürchten preistreibende Wirkungen der Euro-Einführung, bemängelt EU-Währungskommissar Joaquín Almunia. Er fordert, die Regierungen müssten mehr dagegen tun.

Nur was? Allerorten wird es eine Phase doppelter Preisauszeichnungen geben, die Euro-Preistricks erschweren soll. In Slowenien dauert diese Phase besonders lang – dort ist sie schon jetzt, fast zehn Monate vor dem möglichen Euro-Start, für alle Händler verbindlich. Doch die Therapie hat Nebenwirkungen: Sie erschwert es, sich an die neue Währung zu gewöhnen – und damit die Entwicklung eines Preisgefühls, ausgedrückt in Euro. Das aber ist auf lange Sicht notwendig, um unfaire Preise besser zu identifizieren.

Das litauische Parlament diskutierte daher gesetzliche Maßnahmen gegen unfaire Preiserhöhungen, verwarf die Idee aber. In Estland, wo der Glaube an den Markt schier unerschöpflich ist, käme so etwas ohnehin nicht in Frage. Die Esten setzen auf den mündigen Verbraucher: Eine Verbraucherschutzbehörde erstellt Zeitreihen zur Preisentwicklung und veröffentlicht sie in den großen Zeitungen. Außerdem wirbt Euro-Chefin Sulling für eine freiwillige Vereinbarung, die Preise für eine gewisse Zeitspanne rund um den Euro-Beitritt generell einzufrieren: „Das wäre dann gleich eine gute Werbung für die Anbieter und nähme den Menschen die Angst vor dem Euro.“

Wie begründet diese ist, werden die Esten womöglich erst später als gedacht überprüfen können. Denn auf Grund der zuletzt zu hohen Inflationsrate steht in Estland wie in Litauen die Euro-Einführung in rund neun Monaten auf des Messers Schneide. Viel hängt ab von der weiteren Entwicklung des Ölmarktes: Ölpreissteigerungen wirken auf das Preisniveau wie ein Hebel, weil Energiekosten im baltischen Warenkorb auf Grund des insgesamt niedrigeren Einkommens höher gewichtet sind als im Westen Europas. Dass Estland im letzten Jahr mehr als vier Prozent Inflation hatte, lag maßgeblich auch an der letztjährigen Ölpreishausse.

Bei den andere Kriterien, dem Zinsniveau, dem öffentlichen Verschuldungsgrad und dem Haushaltsdefizit, schneiden die Balten gut ab. Estland beispielsweise erwirtschaftet seit fünf Jahren Haushaltsüberschüsse. Die größeren Euro-Aspiranten hingegen haben hier, ähnlich wie einige Euro-Staaten, teils erhebliche Probleme. So ist Ungarns Beitritt zur Euro-Zone wegen Budapests unsolider Haushaltspolitik in weite Ferne gerückt. Und Polens EU-skeptische Regierung weigert sich sogar, überhaupt auch nur ein Zieldatum zu nennen, zu dem das Land den Euro gern einführen möchte.

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