Ein Hauch von Glasnost
Minsk (n-ost) – Die Ausgangslage ist klar: Weißrusslands Präsident Alexander Lukschenko bewirbt sich am 19. März um eine weitere Amtszeit. Und kaum jemand im In- und Ausland zweifelt daran, dass der oft als „letzter Diktator Europas“ bezeichnete Staatschef die Wahl gewinnt. Ermöglicht hat sich Lukaschenko die erneute Kandidatur vor zwei Jahren durch eine Änderung der Verfassung. Denn in der alten Fassung war eine dritte Amtszeit nicht vorgesehen.
„Ich bin mit meinem Präsidenten völlig einverstanden – die Opposition ist unfähig, die Regierung zu übernehmen“, sagt die 67-jährige Rentnerin Maria Stepanowna. Sie kennt zwar keinen Oppositionellen mit Namen und hat auch kein alternatives Wahlprogramm gelesen. Ihr Urteil jedoch ist unerschütterlich: „Die sind seit zwölf Jahren in der Opposition! Was haben sie geschafft außer der Tatsache, dass sie immer noch weitermachen?“ Das aber, so weiß die Rentnerin, sei nur durch Geld aus Amerika möglich. „Ich bin sicher, die wissen nicht einmal wie es ist, um 6 Uhr aufzustehen und an die Arbeit zu gehen. Mein Präsident ist ein Beispiel für das Gegenteil, er ist fleißig und zielstrebig, er erreicht alles, was er geplant hat.“
So wie Maria Stepanowna denken nicht wenige in Weißrussland. Vor allem Rentner und die Landbevölkerung rechnen es Lukaschenko hoch an, dass er im Lande für ein kontinuierliches Wirtschaftswachstum, steigende Löhne und soziale Stabilität gesorgt hat, auch wenn dies durch eine wachsende Inflation, internationale Isolation, wirtschaftliche Rückständigkeit und russische Öl- und Gassubventionen gegen Wohlverhalten erkauft wurde.
Das Beispiel anderer Ex-Sowjetrepubliken wirkt abschreckend. Kleinhändler Alexander, 39, spricht für viele: „Ich treffe viele Leute und weiß, dass es bei uns einfacher ist, zu überleben.“ Demokratie ist für viele Belarussen gleichbedeutend mit Verarmung, Streit und Chaos. Und Lukaschenko hat in den vergangenen Jahren alles dafür getan, diesen Eindruck zu festigen und die Bürger demokratischer Mitspracherechte zu entwöhnen. Die Folge: Nun, da Lukaschenko im Vorfeld der Wahlen einen Hauch von Freiraum gewährt, um wenigstens den Anschein einer demokratischen Abstimmung zu erwecken, fühlen sich viele Bürger von der plötzlich einsetzenden Meinungsvielfalt regelrecht überfordert.
„Die Wahlen sind nur Stress – so wie bei Prüfungen: man redet ständig über Chancen, diskutiert“, sagt der 18-jährige Wadim, Fremdsprachenstudent an der Belarussischen Staatlichen Pädagogischen Universität. Er findet die Situation im Vorfeld der Präsidentschaftswahl im Lande für allzu angespannt. Die vielen, nun plötzlich zugänglichen Informationen überfordern ihn.
„Der Staat wirbt für sich Tag und Nacht im Fernsehen, es gibt Reklametafel auf jeder Straße und in jedem Schaufenster, auch in der Bahn und in Restaurants“, stöhnt Wadim. Der Staat male die Welt in den schönsten Farben, bei der Opposition sehe das Land dann ganz schwarz aus. „Inzwischen vertraue ich einfach niemandem mehr“, so der Minsker Student.
In den staatlichen Nachrichten und Dokumentarsendungen wird Weißrussland als Ausnahme porträtiert, was Stabilität, Sicherheit und Wohlstand angeht. Ausländischen Botschaften, darunter auch der deutschen, wurde Spionage und Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Landes vorgeworfen. Die Opposition wird blutiger Revolutionspläne verdächtigt. Alle Verschwörungen seien aber glücklicherweise vom KGB rechtzeitig aufgedeckt worden.
Die Opposition hat es in diesem Umfeld schwer, Vertrauen zu gewinnen. Drei Politiker treten gegen Lukaschenko an – Sergej Gajdukewitsch, Chef der Liberaldemokratischen Partei, der ehemalige Rektor der Belarussischen Staatlichen Universität, Alexander Kosulin, und der Physiker Alexander Milinkewitsch. Hinter dem 58-jährigen Milinkewitsch steht eine bunte Koalition. Unter anderem finden sich in seinem Schattenkabinett der Chef der Vereinten Bürgerlichen Partei Anatolij Lebedko und der Chef der Kommunisten Sergej Kaljakin wieder. Das Wahlprogramm sieht eine Demokratisierung des Landes vor, außerdem eine liberale Wirtschaftspolitik und die Öffnung hin zur Europäischen Union.
Trotzdem dürfte es Milinkiewitsch schwer fallen, die regierungskritischen Wähler für sich zu gewinnen. Das liegt auch an seiner Person. Milinkiewitsch bezeichnet sich selbst als „unpolitischen Menschen mit sauberen Händen“. Nur die Umstände hätten ihn zu seiner Kandidatur bewegt. Milinkiewitsch wirkt integer und wurde in Westeuropa auf höchster Ebene empfangen, auch von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Für viele Weißrussen jedoch wirkt Milinkiewitsch „zu weich“, zu wenig volksnah.
Milinkewitschs mehrfache Versuche, eine Koalition zu bilden, endeten bisher nur in gegenseitigen Beschuldigungen. Kosulin, der der sowjetischen Nomenklatura entstammt, hatte von 1998 bis 2001 einen hohen Regierungsposten inne. Er gilt als hoch ambitioniert und nicht als kompromissbereit. Gajdukewitsch wiederum wird von vielen als Marionette Lukaschenkos gesehen, der einzig die Aufgabe hat, der Opposition Stimmen abzunehmen und im Falle eines Rückzugs der anderen Kandidaten aus Protest zumindest den demokratischen Anschein zu wahren.
Die Oppositionellen fahren durch das Land, reden mit Bürgern auf den Straßen, weil sie in öffentliche Gebäude nicht hineingelassen werden, beantworten Fragen, verteilen Flugblätter. Genutzt werden auch die wenigen unabhängigen Zeitungen, die allerdings oft beschlagnahmt werden, sobald dort zu regierungskritische Berichte erscheinen. Das staatlich kontrollierte Fernsehen und das Radio haben den Oppositionskandidaten insgesamt zwei Stunden Sendezeit eingeräumt – zwei mal 30 Minuten für jedes Medium. Lukaschenko hat auf seine Sendezeit großzügig verzichtet – kein Wunder, die staatlichen Medien stehen ihm ohnehin sonst rund um die Uhr zu Diensten.
Milinkewitsch und besonders Kosulin nutzten ihre Sendezeit für scharfe Kritik an Lukaschenko. So ließ sich Kosulin darüber aus, dass der amtierende Präsident uneheliche Kinder hat und Geld aus Waffenverkäufen veruntreute. Für seinen Wahlkampf habe Kosulin das gleiche Instrumentarium gewählt hat wie seinerzeit der amtierende Präsident Lukaschenko, sagt dazu der Minsker unabhängige Politologe Walerij Karbalewitsch. Bekanntlich ist Alexander Lukaschenko im Jahre 1994 dank einer populistischen Enthüllungskampagne an die Macht gekommen. Ein ähnlicher Trick könnte Kosulin helfen, seinem heute auf 3 bis 5 Prozent geschätzten Rating nach oben zu verhelfen.
Nach der Übertragung von Kosulins aufgezeichneter Wahlrede wunderte sich die ganze Republik, wie eine derartige Kritik in Lukaschenkos Reich über den Sender gehen konnte. Der Präsident selbst äußerte sich folgendermaßen dazu: „Meine Lieben! Hätte ich das nicht zugelassen, würdet ihr nie erfahren, was für Debile sie sind!“ Andere Mitglieder der Opposition bezeichnete er als „otmoroski“ (Schwachköpfe), die ihr Geld von pseudodemokratischen Staaten aus dem Ausland bezögen.
Der Politologe Aliaksandr Klaskouski diagnostiziert, dass die weißrussische Gesellschaft derzeit ähnlich aufgeheizt sei, wie zu Beginn von Gorbatschows Glastnost-Ära. „Die Oppositionskandidaten haben ihre Möglichkeiten effektiv ausgenutzt und negative PR gegen Lukaschenko gemacht – die Regierung hat eine Verteidigungshaltung eingenommen, was man in der letzten zehn Jahren nicht oft erlebt hat“, sagt der Politologe. Er sieht das Volk gespalten – ein Teil verfalle verunsichert in die Passivität, ein anderer Teil hingegen politisiere sich durch den Wahlkampf zunehmend. Klaskouski schließt daher Straßendemonstrationen im Anschluss an die Wahlen nach ukrainischem Vorbild nicht aus. Alles hänge davon ab, ob die Opposition die derzeit gewährten Freiräume nutzen könne, um sich eine entsprechende Ausgangsbasis zu schaffen. „Eine starke Opposition bedeutet eine stärkere Unterstützung im Lande und von außen, sogar von Russland“.
Am Vorabend der Wahl wachen die Miliz, der KGB und die Armee scharf über die Ruhe und Ordnung. Provisorisch wird auch gegen eine freie Wahlbeobachtung gearbeitet. So landeten Anfang März mehrere Aktivisten der Bürgerbewegung „Partnjorstwo“ im Gefängnis, weil sie unabhängige Exit-Polls vorbereiteten. Derzeit machen in Weißrussland Gerüchte Runden, dass die Regierung, um eine Nummer sicher zu gehen, kurz vor oder unmittelbar bei der Wahl im Lande einen Ausnahmezustand ausrufen, die Internetverbindung lahm legen und den Mobilfunk abschalten lassen würde.
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