Ein Kronleuchter von Bord der „Wilhelm Gustloff“
Danzig/Chmielno (n-ost) – Es ist kalt an diesem Februartag. Auf dem Weißensee in Chmielno, rund 40 Kilometer von Danzig entfernt, liegt eine dicke Eisdecke. Am schneebedeckten Ufer stapeln sich Taucheranzüge und Sauerstoffflaschen. Jerzy Janczukowicz, ein großer Mann mit kräftiger Stimme, steht am Rand eines Eislochs und erteilt die letzten Anweisungen. Der 66-Jährige ist Leiter des Tauchklubs „Haifisch“, der bereits 1957 gegründet wurde und in Polen einen legendären Ruf besitzt. Inzwischen gibt es rund 80 „Haifische“, die meisten davon sind Studenten.
Tauchlehrer Janczukowicz ist ein Urgestein des polnischen Tauchsports. Seit über 40 Jahren faszinieren den Danziger das nasse Element und die Geheimnisse, die es birgt. Zu zahllosen Wracks ist er abgetaucht. Den größten Moment erlebte er, als er die „Wilhelm Gustloff“ fand. „Wie der Mount Everest für einen Bergsteiger – so bedeutend ist es für einen Taucher, die Wilhelm Gustloff zu sehen“, philosophiert der Danziger. „Das ist ein riesiges Schiff. Und sein Untergang war die größte Tragödie der Schifffahrt. Wir tauchen dort mit großem Respekt und Demut.“
Das Passagierschiff „Wilhelm Gustloff“, ursprünglich für Kreuzfahrten gebaut, war am 30. Januar 1945 mit über 10.000 deutschen Flüchtlingen an Bord vom russischen U-Boot S13 torpediert worden und innerhalb von nur 50 Minuten gesunken. Lediglich 1239 Menschen konnten damals lebend aus den eisigen Fluten gerettet werden.
Von der „Gustloff“ selbst hat Janczukowicz ein Andenken mitgebracht. Zufällig. Am Ende einer Expedition, die das polnische Meeresamt organisierte, hat er es einfach bekommen. Es ist ein viereckiger Leuchter, der eher an einen Wohnzimmertisch erinnert. Obwohl alle unter Wasser oder unter der Erde gefundenen Gegenstände dem Staat gehören, steht der Kronleuchter bei ihm zu Hause als Leihgabe. Dafür habe er die Erlaubnis bekommen, sagt Janczukowicz.
Die Haifisch-Mitglieder üben regelmäßig in der Danziger Bucht oder in den Seen der nahen Kaschubei. „Bei Wind und Wetter – sogar im Winter, suchen wir unter dem Eis auf dem Grund der Seen nach Interessantem, nach Spuren der Vergangenheit“, erklärt Janczukowicz. Und die „Haifische“ sind erfolgreich: „1961 haben wir ein deutsches Geheimdienstflugzeug – eine Junkers JU-188 – gefunden.“ Erst drei Jahre ist es her, dass die Taucher zudem eine Messerschmitt 109 und zwei Messerschmitts 210 aus dem Wasser gezogen haben. Alle Flugzeuge wurden in kaschubischen Seen gefunden. Jüngster Erfolg der „Haifische“ ist die Entdeckung eines Raupenfahrzeugs in der Ostsee im vergangenen Jahr. Im Zweiten Weltkrieg wurden mit dem Fahrzeug Soldaten transportiert.
Für viele Mitglieder des Haifisch-Klubs ist es ein Traum, einmal wie Jerzy eine Tour zum Wrack der „Gustloff“ zu machen. Doch so eine Taucherfahrt ist sehr kompliziert. Denn man braucht dafür eine Erlaubnis vom polnischen Meeresamt. „Die Deutschen wollen, dass dieses Wrack besonders geschützt wird, dass man es wie einen großen Friedhof betrachtet“, sagt Łukasz Bibik vom Meeresamt in Gdynia (Gdingen), der Nachbarstadt Danzigs. Von hier aus war 1945 die „Gustloff“ zu ihrer Unglücksreise ausgelaufen. „Es gibt Überlegungen, Tauchen zum Wrack der Gustloff ganz zu verbieten“, berichtet Bibik. Bereits seit 1994 sei es sehr schwer, eine Tauch-Erlaubnis zu bekommen.
„Haifisch“ Janczukowicz hält die Vorschriften für übertrieben: „Es gibt kein Wrack auf dem Grund der Ostsee, das nicht mit einer Tragödie verbunden ist. Jedes Leben ist unschätzbar. Daher verstehe ich die Diskussion nicht ganz“, gibt er zu bedenken. Nach Angaben des polnischen Meersamtes liegen allein vor der polnischen Ostseeküste rund 3000 Wracks auf Grund - so viel wie wohl nirgendwo sonst auf der Welt.
Beinahe zwangsläufig sind aus einigen Mitgliedern der „Haifische“ Hobby-Historiker geworden. Jeden Freitag treffen sie sich in der alten Villa von Jerzy Janczukowicz im Danziger Stadtteil Oliwa, um Informationen über mögliche neue Fundstätten auszutauschen. Demnächst soll hier sogar ein Militärmuseum gegründet werden. Eine skurrile Sammlung von Fundstücken ist schon zusammen gekommen, darunter ein russischer T-34-Panzer, eine Kanone, ein historischer LKW und natürlich der Kronleuchter der „Wilhelm Gustloff“.
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