Ökolandbau boomt in Polen
Leipzig/ Kamienna Gora (n-ost) - Lange Zeit wurden Ökolandwirte in Polen nur milde belächelt. Polen galt – zumindest für deren Bewohner – als ein Land, in dem Obst und Gemüse alleine wegen seiner großartigen Natur natürlich gesund sind. Warum dann also noch Öko? Heute erntet manch zertifizierter Biobauer neidische Blicke. Üppig fließen die Fördermittel aus dem Agrarumweltprogramm der Europäischen Union. Die Folge: Der Ökolandbau erlebt einen gewaltigen Boom. Amtlichen aktuellen Statistiken zufolge nahm die Gesamtfläche des Ökoanbaus im Jahr 2004 um knapp 20.000 Hektar auf jetzt 82.730 Hektar zu, ein Plus von 35 Prozent. Gar um zwei Drittel wuchs im gleichen Jahr auch die Zahl der Ökobetriebe um 1500 auf 3760. Dieser positiven Entwicklung trägt man nun auch international Rechnung: Polen ist Gastland auf der weltweit größten Bioerzeugermesse vom 16. bis 19. Februar in Nürnberg.
Malgorzata Bliskowska war ihrer Zeit voraus. Schon seit elf Jahren setzt die 36-jährige Bäuerin unweit der niederschlesischen Kleinstadt Kamienna Gora auf naturverträgliche Landwirtschaft. Der Anstoß war ihr an Allergien leidender Sohn Jerzej. Für ihn brach sie Mitte der 90er Jahre ihre Lehrerkarriere ab und zog aufs Land. 40 verschiedene Obst-, Getreide- und Gemüsesorten baut sie auf 16 Hektar in einem beschaulich gelegenen Seitental des Riesengebirges an. Einige Ziegen, Hühner und Enten hat sie zudem, doch bleiben jetzt, wenn der Winter das Tal bis in den März hinein mit einer dicken Schneedecke im Griff hat, in einem kleinen Stall. Sie liefern Milch, Eier und frisches Fleisch, alles streng öko und jährlich kontrolliert nach EU-Bio-Richtlinien.
Himbeeren und Erdbeeren sind bei Bliskowska der Renner, deutsche Kundschaft nimmt dafür sogar eine zweistündige Anreise von der Grenze auf sich. Auf Märkten in Wroclaw und Görlitz sowie im kleinen Hofladen verkauft die Bäuerin zudem Möhren, Radieschen, Gurken, Kartoffeln, Kräuter und Salat. Auch Biomehl ist begehrt. Fast die gesamte Jahresernte ihres acht Hektar großen Weizenfeldes verkaufte die Polin 2005 als Biomehl an einen Zwischenhändler. Drei Tonnen gingen so sogar auf die weite Reise in die USA.
Mit ihrer Produktpalette liegt die Niederschlesierin voll im deutschen Öko-Trend. Doch nicht alles verspricht Erfolg im Exportgeschäft. „Gute Chancen gibt es vor allem für Früchte, die von Hand geerntet werden müssen“, schränkt Joachim Bauck vom Demeter-Vorstand ein. Kirschen, Erd- und Himbeeren oder etwa Johannisbeeren seien in Deutschland sehr teuer und in Bioläden und weiterverarbeitenden Betrieben Mangelware. Ein weiteres großes Plus ergibt sich, wenn Polen tatsächlich – so wie von Ministerpräsident Kazimierz Marcinkiewicz jüngst erklärt – gentechnikfrei werden soll.
Kopfzerbrechen bereitet vielen polnischen Ökobauern der Absatz ihrer Produkte im Inland. „In Polen existiert noch kein echter Markt für Bioprodukte“, sagt Dr. Ursula Soltysiak. Sie ist Geschäftsführerin von Agrobiotest in Warschau und kontrolliert seit 16 Jahren Ökobetriebe in ganz Polen. So gebe es zwar vor allem in den großen Städten wie Warschau, Posen oder Breslau Geschäfte mit Bioprodukten und auch durchaus in den attraktiven großen Einkaufsgalerien, doch polenweit seien die rund 250 existierenden Läden zu wenig. Auch an Käufern mangele es. „Weil die Regierung kein Interesse an einer Informationskampagne für Ökoprodukte hat, fehlt der Bevölkerung das ökologische Bewusstsein“. Teurer seien die Produkte obendrein: In Warschauer Bioläden müsse man schon mal doppelt so viel für Quark oder Joghurt zahlen wie beim herkömmlichen Lebensmittelladen.
Ein weiteres Problem ist die Verarbeitung der Ökoprodukte, meint Urszula Kozaczuk vom Niederschlesischen Zentrum für Landwirtschaftsberatung: „Die Zahl der ökologisch zertifizierten Mühlen, Molkereien und Schlachthöfe ist in Polen nicht ausreichend“. Landwirtin Bliskowska, die ihren Hof auf bis zu 50 Hektar erweitern möchte, plagen noch ganz andere Sorgen: Ihr fehlen Arbeiter. „Viele Leute hier in der Region haben keine Arbeit, aber gleichzeitig auch wenig Lust in der Landwirtschaft zu arbeiten“ klagt sie. Willige Arbeitskräfte will sie nun im Osten suchen, in der Ukraine.
Ein Ende des Bio-Booms ist östlich der Oder gleichwohl nicht in Sicht. Bernhard Jansen von EkoConnect, dem Internationalen Zentrum für den ökologischen Landbau Mittel- und Osteuropas in Dresden, rechnet für 2005 mit einer Verdopplung der Ökobetriebszahl auf 7500 und 160.000 Hektar Ökofläche. Damit wäre in Polen dann ein Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche ökologisch. Das Land liegt aber noch deutlich hinter Deutschland (4,5 Prozent), Tschechien (sechs Prozent) und Slowenien (fünf Prozent) zurück. Allerdings beziehen sich die Zahlen auf zertifizierte Betriebe. Viele polnische Kleinbetriebe wirtschaften - ganz einfach weil das nötige Geld für Pestizide und designtes Saatgut fehlt - schon von je her weitgehend ökologisch, ohne selbst davon zu wissen. So ist es wohl nur eine Frage von Zeit und Aufklärung, bis Polen zur ersten Adresse des Ökolandbaues aufsteigt.
Der Erfolg der fleißigen Biobäuerin Bliskowska hat Kollegen in der Nachbarschaft neugierig gemacht. „Erst meinten sie, ich habe nur Glück gehabt. Jetzt, da der Erfolg da ist, interessieren sie sich und fragen, wie ich das geschafft habe“, sagt sie.
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