„Sie regieren Bosnien und Herzegowina – nicht ich“!
Sarajevo (n-ost) – Gestern (31. Januar 2005) hat der ehemalige deutsche Postminister Christian Schwarz-Schilling das Amt des Hohen Repräsentanten der Internationalen Gemeinschaft in Bosnien und Herzegowina übernommen. Zu seinen Hauptzielen gehört es, das Land bei der Annäherung an die EU und die Nato zu unterstützen. Von seinen weitreichenden Vollmachten will Schwarz-Schilling nur im äußersten Notfall Gebrauch machen.
Christian Schwarz-Schilling (76) ist der fünfte Hohe Repräsentant für Bosnien und Herzegowina. Er übernimmt das einflussreiche Amt vom Briten Paddy Ashdown (65), der knapp vier Jahre für die zivilen Aspekte der Umsetzung des Friedensabkommens von Dayton verantwortlich war. Schwarz-Schilling kennt das Land dank seines über zehnjährigen Engagements als internationaler Streitschlichter für Bosnien und Herzegowina, das ihm bei allen Volksgruppen viel Respekt und Anerkennung eingebracht hat. Entsprechend groß sind die Vorschusslorbeeren, aber auch die Erwartungen an ihn.
Schwarz-Schilling ist sich dessen durchaus bewusst. „Manche denken, ich sei mit einem Wundermittel in der Tasche angereist – diese werde ich wohl enttäuschen müssen“, sagte er im Gespräch mit dieser Zeitung. Er wolle nicht als vorpreschende Macher auftreten, vielmehr sei es sein Ziel, sich den politischen Kräften Bosnien und Herzegowinas als Berater und Vermittler zur Verfügung stellen.
Schwarz-Schilling will dazu beitragen, dass Bosnien und Herzegowina noch in diesem Jahr ein Stabilitäts- und Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union unterschreibt und so die erste Hürde auf dem langen Weg zur EU-Vollmitgliedschaft nimmt. Die entsprechenden Verhandlungen haben im Januar begonnen. Er werde aber, so Schwarz-Schilling, bei der EU nicht als Verhandlungsführer für Bosnien und Herzegowina auftreten. Dies sei alleinige Aufgabe der gewählten Regierungsvertreter. „Sie regieren Bosnien und Herzegowina, nicht ich. Denn es kann nicht sein, dass auf beiden Seiten des Verhandlungstisches die Internationale Gemeinschaft sitzt.“ Dasselbe gelte für das Ziel, möglichst rasch bei der Nato-Partnerschaft für den Frieden dabei zu sein.
Ganz allgemein appelliert Christian Schwarz-Schilling an die Bürger von Bosnien und Herzegowina, die weit verbreitete Einstellung, die Lösungen für ihre Probleme müssten von außen kommen, aufzugeben. Eine Chance dazu bieten die für Oktober 2006 geplanten landesweiten Parlamentswahlen. Es sei für die Zukunft des Staates von entscheidender Bedeutung, dass diese demokratisch und ohne Zwischenfälle verliefen. Genau so wichtig sei es, den gewählten Politikerinnen und Politikern seitens der Internationalen Gemeinschaft die Möglichkeit zu geben, Erfahrungen zu sammeln – und dabei auch Fehler machen zu dürfen. „Ich werde mich davor hüten, meine Vollmachten bei der erstbesten Gelegenheit einzusetzen, denn Bosnien und Herzegowina ist ein souveräner Staat. Ich habe als Politiker auch Fehler gemacht. Dafür muss man dann aber die Verantwortung übernehmen.“
Die als „Bonn powers“ (vgl. Kasten) bezeichneten Vollmachten, die der Hohe Repräsentant besitzt, werde er niemals bei „normalen Straftaten“ anwenden oder um politische Ansichten zu verändern. „Dafür sind die rechtsstaatlichen Institutionen da.“ Im äußersten Notfall aber, „wenn Gruppen von Kriminellen oder Politikern mit illegalen Machenschaften die Friedensordnung verletzen, dann werde ich in vollem Umfang davon Gebrauch machen“.
Schwarz-Schillings Vorgänger Paddy Ashdown scheute sich weit weniger, die „Bonn Powers“ anzuwenden. So entließ er zum Beispiel 2004 auf einen Schlag 60 Amtsträger der Republika Srpska (einer der beiden Teilrepubliken des Landes), weil er ihnen vorwarf, die Strafverfolgung bosnisch-serbischer Kriegsverbrecher gezielt hintertrieben zu haben.
Paddy Ashdown hatte es als die größte Enttäuschung seiner Amtszeit bezeichnet, dass die des Völkermordes angeklagten mutmaßlichen Kriegsverbrecher Radovan Karadzic und Ratko Mladic noch immer nicht gefasst sind. Auch Schwarz-Schilling fordert eindringlich deren Verhaftung, warnt aber gleichzeitig davor, stets Bosnien und Herzegowina den schwarzen Peter zuzuschieben. Die Nachbarländer stünden genauso in der Pflicht. „Zudem“, so Schwarz-Schilling, „wären Karadzic und Mladic schon längst in Den Haag, wenn die Internationale Gemeinschaft in den ersten Jahren nach dem Krieg politisch dazu gewillt gewesen wäre. Es waren Zehntausende von ausländischen Soldaten im Land. An diesem Versagen ist nicht Bosnien und Herzegowina schuld.“
Der CDU-Politiker Christian Schwarz-Schilling, der ab 1982 der Regierung Kohl als Postminister angehörte, sparte schon zu Beginn des Konfliktes im ehemaligen Jugoslawien nicht mit Kritik an der Passivität der internationalen Gemeinschaft. Aus Protest „gegen die Unfähigkeit der europäischen Politik zu handeln und den Menschen in Bosnien und Herzegowina zu helfen“ trat er 1992 aus dem Kabinett zurück. „Das war für mich eine moralische Frage“, sagt Schwarz-Schilling, der von 1976 bis 2002 im Deutschen Bundestag saß. Nach seinem Rücktritt als Minister engagierte er sich mit ganzer Kraft für Bosnien und Herzegowina. Während des Krieges organisierte er humanitäre Hilfslieferungen, und seit 1994 reiste er als Vermittler immer wieder in alle Regionen des Landes.
KASTEN oder weiterer Absatz:
„Bonn powers“ – weitreichende Vollmachten
(nr) – Die als „Bonn powers“ bezeichneten Vollmachten gehören seit 1997 zum Mandat des Hohen Repräsentanten der Internationalen Gemeinschaft in Bosnien und Herzegowina. Zwei Jahre nach dem Dayton-Vertrag wurden dem Hohen Repräsentanten am Petersberg bei Bonn die Kompetenzen zugesprochen, Gesetze zu erlassen und Amtsträger per Dekret abzusetzen. Christian Schwarz-Schilling gehörte damals zur Verhandlungsdelegation und setzte sich vehement für diese weitgehenden Vollmachten ein. „Ich war einer der ideologischen Begründer der ‚Bonn-Powers’. Sie waren in der Vergangenheit, als überall in Bosnien und Herzegowina Kriminelle in der Politik waren, auch dringend notwendig.“
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