Bosnien-Herzegowina

Der Freund“ Schwarz-Schilling kommt

Sarajevo (n-ost) - Am 1. Februar übernimmt der Deutsche Christian Schwarz-Schilling das Amt des Hohen Repräsentanten der internationalen Gemeinschaft in Sarajevo. Sein Vorgänger, der Brite Paddy Asdown, hat das Amt vier Jahre lang ausgeübt. Nimmt man die Kommentare zu Ashdowns Ausscheiden in der bosnisch-herzegowinischen Presse zum Maßstab, waren es für das Land vier verlorene Jahre. Die Wochenzeitschrift „Slobodna Bosna“ bat die zehn bekanntesten Journalisten Bosnien-Herzegowinas, Persönlichkeit und Wirken des Briten zu bewerten. Auf einer Skala von 1 (schlechteste Note) bis 5 (Bestnote) sollten sie Ashdown benoten. Das Resultat fiel vernichtend aus:
Bakir Hadzomerovic, Nachrichtenchef des Fernsehens der kroatisch-bosniakischen Föderation (FTV), erschien die Skala beispielsweise lückenhaft: „Warum nur die Eins? Vermutlich weil Sie die Null übersehen haben!“ Ähnlich äußerte sich Dragan Jericic von der „Nezavisne novine“ (Unabhängige Zeitung) „Außer Muskelspielen hat er nichts getan.“ Und sein Kollege Zvonimir Jukic von der Tageszeitung „Danas“ (Heute) präzisierte: „Getan hat er viel, aber alles falsch“. Senad Pecanin von der Wochenzeitschrift „Dani“ (Tage) bedauerte zehn durch Ashdown verlorene Jahre, denn „er hat Bosnien in den Zustand unmittelbar nach Kriegsende zurückgeworfen“.

Paddy Ashown sieht seine Amtszeit gleichwohl in einem positiveren Licht: Er verweist darauf, dass Bosnien-Herzegowina heute die tiefste Inflation aller Länder des Westbalkans zu verzeichnen und das Wirtschaftswachstum 2005 bei 5,6 Prozent gelegen habe. „Die bosnisch-herzegowinische Wirtschaft beginnt jetzt zu wachsen. Aber Jobs können nicht über Nacht geschaffen werden, vor allem dann nicht, wenn es noch keinen einheitlichen Wirtschaftsraum gibt.“

Tatsächlich ist das Land bis heute eine politisch-öko¬nomische Ruinenlandschaft: Der Außenhandel des Landes ist hoch defizitär, die Arbeitslosigkeit liegt bei über 50, die Analphabetenrate bei 35 Prozent, über 60 Prozent aller Einwohner leben an oder unterhalb der Armutsgrenze, die bei einem Einkommen von umgerechnet 1100 Euro im Jahr liegt. 13 Parlamente, 13 Regierungen und 150 Ministerien auf Staats-, Entitäts- und Kantonsebene verschlingen 70 Prozent des Staatsbudgets. In den beiden „Entitäten“ agieren nationalistische Parteien, die außer „leeren Versprechungen“ wenig zu bieten haben. Obwohl die internationale Gemeinschaft im vergangenen Jahrzehnt rund 50 Milliarden Dollar Aufbauhilfe in das Land pumpte, ist es weit davon entfernt, lebensfähig zu sein.

Umso größer sind die Hoffnungen, die sich mit Christian Schwarz-Schilling, dem nunmehr fünften Hohen Repräsentanten in Sarajevo verbinden. Seit seiner Wahl durch die 55 Staaten und internationalen Organisationen des so genannten Peace Implementation Council gegen Mitbewerber aus Italien, den Niederlanden und der Tschechischen Republik und der anschließenden Bestätigung durch den UN-Sicherheitsrat Ende 2005 sind die bosnisch-herzegowinischen Medien voller Berichte und Kommentare über den 75-jährigen ehemaligen deutschen Postminister. Je negativer Ashdown gesehen wird, desto größer sind die Vorschusslorbeeren, mit denen der Christdemokrat Schwarz-Schilling begrüßt wird. Er kenne das Land wie kaum ein Zweiter, habe politisch „eine kristallreine Vergangenheit“, wolle nicht mit Nichtstun „phantastische Gehälter“ einstreichen, schließlich habe er zehn Jahre lang als internationaler „Streitschlichter“ in Bosnien-Herzegowina gewirkt und dafür „keinerlei finanzielle Entschädigung bekommen“. Kurzum: Schwarz-Schilling sei ein „Freund“ der Menschen von Bosnien und Herzegowina.

Der Deutsche lebt bereits seit Anfang Januar in Sarajevo. „Ich will mich mit der Situation und den laufenden Prozessen bekannt machen, damit sich der Wechsel an der Amtsspitze nicht allzu sehr auf die Arbeiten auswirkt, die laufen und ja auch getan werden müssen“, ließ er die Presse wissen. Zurückhalten wolle er sich, das Amt dezentralisieren, mehr als Moderator und Vermittler auftreten. Dies verknüpfte er aber gleichzeitig mit einer deutlichen Warnung: „Mein Sternzeichen ist der Skorpion, und wenn es sein muss, kann ich auch stechen!“

Wenn es nach der internationalen Gemeinschaft und nach ihm selbst geht, ist Schwarz-Schilling der letzte Hohe Repräsentant in Sarajevo: „Dayton hat auch ein Programm gegeben, das implementiert werden muss, egal wer der Hohe Repräsentant ist. Dieses Programm besagt: Stärkung der Institutionen von Bosnien-Herzegowina, sie mit Leben erfüllen, alle Hindernisse auf dem Weg zur EU beiseite räumen. Und eine Reduzierung der Rolle des Hohen Repräsentanten, wozu allgemeiner Konsens besteht“

Das Land soll lernen, seine Probleme selbst zu lösen und auf eigenen Füßen zu stehen. So sieht es auch Carl Bildt, von 1995 bis 1997 erster Hoher Repräsentant in Bosnien-Herzegowina und Mitglied der „Internationalen Balkan-Kommission“. Im Frühjahr 2005 legte die Kommission Empfehlungen für die Zukunft Bosnien-Herzegowinas vor. Demnach soll das Land bis 2015 Mitglied in der NATO und der EU werden. Die Weichen dafür soll ein EU-Gipfel im Sommer 2006 stellen.

Welcher Berg von Arbeit bis dahin noch zu bewältigen ist, hat Schwarz-Schilling vor Jahren in einem Interview mit der Zeitung „Dani“ skizziert: „Die organisierte Kriminalität ist das größte Problem. Überall bestehen korrumpierte Parallelstrukturen. Wir müssen die kriminellen Elemente ausmerzen und Gesetzestreue fördern. Das müssen wir den Leuten sagen und ihre Mitarbeit gewinnen. Wenn wir diesen Prinzipien nicht folgen, entsteht hier ein Gefahrenherd für die internationale Gemeinschaft. Das ist die eine Gefahr, die andere ist die Massenflucht junger Menschen aus diesem Land, in dem eine übermächtige Korruption jede Prosperität erstickt“.

Knapp zwei Jahre bis Ende Februar 2007 hat Schwarz-Schilling Zeit, wenigstens einige Hoffnungen, die sich mit seiner Person verbinden, zu erfüllen. Seit heute läuft die Zeit.

Für Kasten:
Bosnien-Herzegowina
Mit 51.129 Quadratkilometern ist Bosnien-Herzegowina etwas größer als Niedersachsen, mit 3,9 Millionen Einwohnern etwas volkreicher als Berlin. Anders als in den übrigen ex-jugoslawischen Nachfolgestaaten lebte in Bosnien-Herzegowina nie eine dominierende Titularnation, der das Land wie ein Privatbesitz zustand. Bis heute machen die Muslime etwa 44 Prozent der Bevölkerung aus, 31 Prozent die Serben und 17 Prozent die Kroaten.

Ende


Weitere Artikel