Schweinestall statt Gedenkstätte
Lety (n-ost) – Ein Schweinemastbetrieb auf dem Gelände eines ehemaligen Konzentrationslagers für Roma in Lety/Südböhmen – dies ist das makabere Vermächtnis des kommunistischen Regimes. Schon seit Jahren kämpfen tschechische Roma-Verbände für die Beseitigung des Stalls und für ein würdiges Gedenken an diesem Ort. Bislang vergeblich, was auch die Europäische Union heftig kritisiert. Zwar ließ der damalige Präsident Vaclav Havel 1995 hier einen provisorischen Gedenkstein errichten, der Schweinestall aber blieb.
Vergangene Woche tauchte nun auf Initiative der rechtsradikalen tschechischen Nationalpartei ein zweiter Gedenkstein auf. Die Nationalisten wollten damit allerdings nicht an die über 300 Roma erinnern, die hier ermordet wurden, sondern tschechische Patrioten ehren. Vor allem aber suchten sie die Gelegenheit, sich mit Blick auf die Parlamentswahlen im Juni auf spektakuläre Weise selbst zu inszenieren.
In den Augen der Nationalpartei ist es in Lety nie zu Verbrechen an den Roma gekommen. Lety sei kein Konzentrationslager gewesen und die Häftlinge seien an Infektionskrankheiten gestorben, die sie durch nachlässige Hygiene selbst verschuldet hätten. Das wollten die Anhänger der (bezeichnenderweise mit NS abgekürzten) Partei auf ihren Gedenkstein schreiben. Nachdem der Protest gegen dieses Vorhaben immer stärker wurde, verkürzten sie die Inschrift auf das knappe „obetem“ (den Opfern). Trotzdem: auch die entschärfte Variante musste weichen. Die Gemeinde ließ den Stein noch vor seiner Enthüllung entfernen.
Engagierter Vorkämpfer gegen das Vergessen der wahren Geschichte von Lety ist der aus Berlin stammende Publizist Markus Pape. Seit 1991 macht er sich in Tschechien für eine Aufarbeitung der Nazi-Verbrechen an den Roma und eine Entschädigung der Opfer stark. Pape ist Verfasser des bislang einzigen Buches über die Geschichte des Lagers Lety: A nikdo vám nebude verit („Und niemand wird euch glauben“), das 1997 in Prag erschien. In Deutschland wurde das Buch noch nicht veröffentlicht.
326 Roma, so Papes Recherchen, kamen nach dem August 1942 in Lety ums Leben, die meisten von ihnen waren Kinder. Mehr als 500 Häftlinge wurden 1943 ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert. Nicht einmal zehn Prozent der insgesamt 6500 Roma aus dem Protektorat Böhmen und Mähren überlebten den Holocaust. Traurige Fakten, die der tschechischen Gesellschaft bis 1989 unbekannt blieben. Selbst für aufgeklärte Dissidentenkreise war der Genozid an den Roma ein weißer Fleck.
„Wir haben das erst nach dem November1989 erfahren. Wir haben in der Schule ein wenig über den Holocaust an den Juden gelernt - sehr wenig, aber immerhin. Aber über den Genozid an den Roma wurde kein Wort verloren“, sagt Petr Uhl, Mitbegründer der Bürgerrechtsbewegung Charta 77.
Sein Engagement hat Markus Pape in der Roma-Gemeinde viel Sympathie gebracht. Sein Versuch, den Kontakt mit den tschechischen Rechtsradikalen zu suchen und ihnen die historischen Fakten nahe zu bringen, stößt jedoch auf Skepsis. Ein Dialog mit solchen Leuten verbiete sich von selbst, empört sich Anna Polakova, die mit einer Gruppe von Roma nach Lety gekommen ist, um ihren provisorischen Gedenkstein gegen eine Kundgebung von 40 Rechtsradikalen zu verteidigen. Unter denen hat sie einen Mann wieder erkannt, der im Jahr 2002 ihren minderjährigen Sohn überfallen und fast zu Tode geprügelt ha. „Dass ich diesen Täter hier sehe, ist eine Katastrophe. Die Gesellschaft muss diese Leute verurteilen.“
Die Mutter von Anna Polakova wurde in einem slowakischen Konzentrationslager geboren, dort kam auch ihre halbe Familie ums Leben. „Dass hier seit Jahren über den Abriss dieser Schweinefarm diskutiert wird, sagt natürlich auch etwas über die tschechische Gesellschaft und ihre Beziehung zu den Roma aus“, sagt sie bitter. Ähnlich wie Anna Polakova empfinden viele Roma in Tschechien den Streit um das ehemalige Lagergelände in Lety: als Spiegel für das angespannte Verhältnis der tschechischen Gesellschaft zu ihrer größten Minderheit.
Die Beseitigung der Schweinefarm wurde trotz vieler halbherziger Versprechen von keiner tschechischen Regierung nach 1989 ernsthaft in Angriff genommen. Als Grund wurden zum Teil die hohen Kosten angeführt, die dies verursachen würde. Entscheidender dürfte aber das Gefühl einer gewissen Mitschuld an den Verbrechen in Lety sein, glaubt Petr Uhl. „Es gab damals die Tendenz, darüber zu schweigen, weil das unsere Schuld war.“ Die tschechische Gesellschaft sehe sich jedoch in erster Linie als Opfer des Nationalsozialismus, bekräftigt Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats deutscher Sinti und Roma. Ein Lager unter tschechischer Verwaltung mit tschechischen Tätern, die sich im Auftrag der Nazis am Genozid an den Roma beteiligten, passe da nicht ins Bild.
Neuen Auftrieb erhält die Diskussion um die Schweinefarm seit dem vergangenen Frühjahr, als die Europäische Union die tschechische Regierung aufforderte, den Mastbetrieb zu beseitigen. Der tschechische Präsident Vaclav Klaus betrachtete dies als unzulässige Einmischung in innere Angelegenheiten. Lety brauche keine Gedenkstätte, zumal es dort gar kein KZ im „eigentlichen Sinne“ gegeben habe, so Klaus in einem Zeitungsinterview. Scharfe Kritik erntete er dafür von seinem Amtsvorgänger. Mit dieser Äußerung, so Ex-Präsident Vaclav Havel, habe Klaus rechtsradikalen Gruppen Tür und Tor geöffnet und die jüngste Aktion der Nationalpartei in Lety mitverschuldet, kritisierte Ex-Präsident Vaclav Havel.
Der tschechische Premierminister Jiri Paroubek kündigte im Zusammenhang mit der jüngsten Demonstration der Nationalpartei an, bis zu den Parlamentswahlen im Juni über eine Gedenkstätte für die Roma zu entscheiden. Für ein „würdiges Holocaust-Mahnmal“ spricht sich Kultusminister Vitezslav Jandak aus. „Wir haben zwar die Gedenkstätte Theresienstadt, aber dem Holocaust fielen auch Roma und andere Minderheiten zum Opfer. Ein richtiges Mahnmal fehlt hier also noch.“
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