Schwarz-Schilling soll es richten
Sarajevo (n-ost) – „Paddy go home – Welcome Schwarz-Schilling“, jubelte die Wochenzeitung „Slobodna Bosna“ aus Sarajevo und die restliche Landespresse tat es ihr nach: Die Bosnier sind glücklich, den Briten Paddy Ashdown als Hohen UN-Repräsentanten am 1. Februar 2006 gegen den bescheidenen und erfahrenen ehemaligen deutschen Postminister Christian Schwarz-Schilling eintauschen zu können. Der heute 75-Jährige ist seit 1993 als internationaler „Streitschlichter“ in Bosnien tätig und wurde vom „EU-Friedens-Implementierungsrat“ (PIC) gewählt – gegen Mitbewerber aus Italien, den Niederlanden und der Tschechischen Republik.
Für Schwarz-Schilling dürften drei Aspekte den Ausschlag gegeben haben: Erstens ist er Deutscher und damit – ungeachtet mancher deutscher „Balkan-Sünden“ im 20. Jahrhundert – eine Vertrauensperson. 500.000 Flüchtlinge nahm Deutschland während der Balkankriege auf und sorgt mit seinem Truppenkontingent für Stabilität in der Region – das wird allgemein anerkannt. Zweitens kennt Schwarz-Schilling Bosnien-Hercegovina von zahllosen Reisen im Detail. Und drittens ist er die vielleicht letzte Hoffnung der internationalen Gemeinschaft, in der politischen Ruinenlandschaft Bosnien noch etwas zum Guten wenden zu können.
„In Europa gibt es drei Arten von Staaten: Die EU, die EU-Beitritts¬kandidaten und – Bosnien-Hercegovina“, besagt ein bitterer Witz, der in diesem Winter in Sarajevo erzählt wird. Eigentlich ist er eine Realitätsbeschreibung: Vor genau zehn Jahren teilte der Friedensvertrag von Dayton „das Land mit den ältesten Grenzen in Europa“ (wie die Bosnier stolz sagen) in zwei „Entitäten“, die „Republika Srpska“ im Norden und Osten und die „Bosnisch-Kroatische Föderation“ im Westen und Süden“. Dahinter stand eine gute Absicht der internationalen Gemeinschaft, die man mit der griffigen Formel „Drei Völker, zwei Entitäten, ein Staat“ umschrieb. Das seit Dayton vergangene Jahrzehnt ließ Bosnien jedoch als Bestätigung des zynisch-wahren Diktums von Gottfried Benn erscheinen, dass das Gegenteil von „gut“ nicht etwa „schlecht“ sei, sondern – „gut gemeint“. Dayton war gut gemeint, hatte aber durch die damit sanktionierte Spaltung des Landes verhee¬rende Folgen für die Wirtschaft, die Befriedung des Landes und den Sozial- und Lebensstandard seiner Bewohner.
Mit 51.129 Quadratkilometern ist Bosnien-Hercegovina etwas größer als Niedersachsen, mit 3,9 Millionen Einwohnern etwas volkreicher als Berlin. Anders als in den übrigen ex-jugoslawischen Nachfolgestaaten lebte in Bosnien nie eine dominierende Titularnation, der das Land wie ein Privatbesitz zustand. Bis heute machen die Muslime etwa 44 Prozent der Bevölkerung aus, 31 Prozent die Serben und 17 Prozent die Kroaten.
Die Gräben zwischen den Volksgruppen wurden durch das „gut gemeinte“ Dayton-Abkommen noch vertieft. Auch Schwarz-Schilling hat nach seiner Wahl erklärt, dass Dayton zwar die militärische Entflechtung brachte, aber keine interethnische Befriedung. Wechselseitige Obstruktion regiert zwischen den Volksgruppen, die längst wieder ihre alten Kriegs- und Nationalparteien in oberste Machtpositionen gewählt haben. Hier neues Vertrauen und damit neue politische Kooperation zu schaffen, sieht der erfahrene „Streitschlichter“ als erste Priorität an. Der Tageszeitung „Dnevni Avaz“ sagte er: „Ich bin außerordentlich geehrt von den Reaktionen aus Bosnien auf meine Wahl. Es ist mein Ziel, den Menschen Ihres Landes, das ich sehr liebe, zu dienen“.
Schwarz-Schilling kennt „seine“ Bosnier. Und die kennen ihn – der manchmal am Konferenztisch zu schlafen scheint, dabei nur intensiv nachdenkt und dann seine Partner mit scharfen Fragen überfällt. Er sieht die Vorzüge von Land und Volk, die andere vergessen haben – Bodenschätze, praktisches Geschick der Menschen, politische Kompetenz ihrer Gemeinschaften.
Nach jüngsten Umfragen würden 60 bis 70 Prozent aller Bosnier auf der Stelle das Land verlassen, wenn sich ihnen irgendwo eine Chance zum Neuanfang böte. Dieser Resignation hat Schwarz Schilling seit über einem Jahrzehnt den Krieg erklärt – mit Appellen, die wie eine Prosafassung eines Gedichts des Mostarer Poeten Aleksa Šantić (1868-1924) klingen: „Ostajte ovde… Bleibt hier, es wärmt am fremden Himmel/ Die Sonne so nicht, wie sie hier euch labt/ Und bitter schmeckt das Brot, wo im Getümmel/ Ihr nicht den Euren, nicht den Bruder habt“.
Bei dem Zeitgenossen Christian Schwarz-Schilling klingt es nachdrücklicher: „Es geht um Arbeitsplätze. Nichts ist schlimmer als Hunderttausende, vor allem junge Menschen, ohne Jobs. Das Land muss so attraktiv werden, dass gut Ausgebildete zurückkehren wollen“. Bosnien weist heute eine offizielle Arbeitslosenrate von 44 Prozent aus und einen Anteil von über 60 Prozent derer, die an oder unter der Armutsgrenze von etwa 1.100 Euro Jahreseinkommen leben müssen. Wie will man ein so darnieder liegendes Land „attraktiv“ machen?
Vielleicht nach historischen Mustern: 1878 hatte der Berliner Kongress Bosnien an Österreich-Ungarn „zur Verwaltung“ übergeben, und unter Stabführung des Finanzministers Benjamin Kallay brachte Wien das Land in unerreichte Höhen. Zudem übte man sich in vorsichtiger Konzilianz: Eine „bosnische“ Nation wurde proklamiert, mit „bosnischer“ Sprache und „bosnischer“ Schrift. Ähnliches scheint Schwarz-Schilling zu planen, wenn er weniger Dekrete von internationalen „Maharadshas“, mehr Förderung für bosnische Eigeninitiativen, verstärkten Kompetenztransfer und „erneuertes Vertrauen in die gewählten Machtorgane“ postuliert.
Kann sich der Deutsche durchsetzen? Bis Ende 2007 hat er Zeit, dann wird sein Amt in das des „EU-Sondergesandten“ umgewandelt. Eins scheint sicher: Schwarz-Schilling wird anders und erfolgreicher als sein Vorgänger, der Brite Paddy Ashdown, arbeiten, über den die Sarajevoer Wochenzeitung „Dani“ zornig urteilte: „Entweder sitzt im Amt des Hohen Repräsentanten ein Idiot, oder er hält die Bürger Bosnien-Herzego¬winas für Idioten.“
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