Polen

Schlagkräftige Reisegesellschaft

WARSCHAU (n-ost) – In einer aktuellen Studie hat die Stiftung Warentest „erhebliche Sicherheitsmängel“ an einigen deutschen WM-Stadien festgestellt. Einige könnten nach Angaben der Stiftung wegen zu steiler Treppen, fehlender Fluchttore, zu tiefer Wassergräben und Brandschutzmängeln zur tödlichen Falle für Zuschauer werden. Dass Sicherheitsprobleme in den WM-Stadien mehr als eine theoretische Gefahr sind, zeigt ein Blick nach Polen. Hier rüstet sich die berüchtigte Hooliganszene bereits für die WM im Nachbarland.

„Wir müssen einfach mit dem schlimmsten rechnen“, sagt Jacek Purski von der Warschauer Faninitiative „Nigdy Wiecey“ (Niemals wieder). Seit Jahren beobachtet Purski die gewalttätige und rassistische polnische Fanszene. „Die Hooligans wollen die Weltmeisterschaft in Deutschland nutzen, um zu zeigen, dass sie genau so gefährlich sind, wie ihre englischen, holländischen oder deutschen Kollegen.“ Purski fürchtet eine WM der Hooligans. Und Marek gibt ihm recht: Der 21-Jährige ist „Hool“ des Haupstadtclubs Legia Warschau. „Natürlich gehört zum Fußball auch der Zoff“, sagt Marek, der einen Kapuzensweater mit „Pit Bull“-Aufnäher trägt. Den Nazis kann Marek einiges abgewinnen. Sie hätten Polen von den „faulen Juden befreit“ und gegen die „rote Brut aus Russland“ gekämpft. Der 21-Jährige hat keine Arbeit, so wie rund 40 Prozent der polnischen Jugendlichen - die höchste Quote in der Europäischen Union. „Ich mache aber dies und das, du weißt schon, was ich meine.“

„Drittklassige Mafiosi“, nennt Fanbeobachter Purski Hooligans wie Marek. „Autoschieber, Türsteher, kleine Diebe oder Dealer.“ So wie Mareks kahlgeschorener Kumpel Lukasz, der auch keine Arbeit, aber einen Staffordshire-Terrier hat, der unter die polnische Kampfhundverordnung fällt. „Aber genau deshalb habe ich ihn ja auch“, sagt Lukasz grinsend. Seine Beine stecken in einer verwaschenen Tarnhose, die Füße in deutschen Springerstiefeln. So sieht die Fanmode in der „Ekstraklasa“ aus, der ersten polnischen Liga.

„Diese Jungs wollen den Club am liebsten selbst managen“, sagt der neue Präsident von Legia Warschau, Piotr Zygo, dessen Hauptaufgabe es ist, den Club von den Hooligans zu befreien. Sein Vorgänger ist daran gescheitert. „Die Leute haben Angst vor den Hooligans. So lange die das Sagen haben, trauen sich zu wenige normale Menschen hierher.“ Häufig kommen weniger als 2000 Fans zu den Spielen des polnischen Spitzenclubs, der in dieser Saison wieder mit um die Meisterschaft spielt. Nicht einmal beim Lokalderby gegen Polonia war das Stadion voll. Dafür hatten die polnischen Boulevardzeitungen hinterher reichlich Gesprächsstoff. Ein Dutzend Verletzte wurde nach dem Spiel gezählt, Zeitungen schrieben vom „Krieg der Banditen“. Hooligan Lukasz schwärmt noch heute von dem Aufeinandertreffen: „Scheiße! Haben wir denen beim letzten Spiel auf die Fresse gehauen.“

Ein paar Tage später brannten in der schlesischen Stadt Lubin mehrere Autos und im westpolnischen Swiebodzin gingen Hooligans kürzlich mit Eisenstangen auf Polizisten los. Alltag in den polnischen Ligen eins bis vier. Ein besonders schwarzer Tag war der 9. Mai 2004. Damals griffen polnische Fußballrowdies eine Studentenfeier an. Bei den rund dreistündigen Krawallen gab es Dutzende Verletzte. Durch ein Versehen erschoss die Polizei einen 19-jährigen Mann und verletzte eine weitere Personen lebensgefährlich.

Nach einem Spiel zwischen Resovia und Stal Rzeszów attackierten Resovia-Fans mit verbündeten Hooligans aus anderen Landesteilen Polizisten und verletzten einige von ihnen schwer. Im Stadion von Resovia Rzeszów wird da ohne dass es einen Aufschrei der Empörung gebe die „Wiederholung der Kristallnacht“ angekündigt und ein Hooligan aus der Gruppe der White Patriots im schlesischen Czestochowa zeigt im Gespräch ein eintätowiertes Hakenkreuz auf der blanken Brust: „Wir hassen Nigger, Schwule und Juden“, sagt er. So wie Marek und Lukasz, die nun auch in Deutschland prügeln wollen: „Ist doch ganz egal, ob wir Karten haben oder nicht, so einfach werden wir wohl zu keiner WM mehr fahren können.“

Polen ist das einzige Land unter den WM-Teilnehmern, das keine Fernsehübertragungsrechte gekauft hat. Auch deshalb wollen nach letzten Schätzungen 300.000 Polen die WM zu einem Besuch in Deutschland nutzen. Die allermeisten kommen in friedlicher Absicht und sind zu Besuch bei Freunden und Verwandten. Mit großer Spannung wird das direkte Aufeinandertreffen der Teams von Polen und Deutschland in Dortmund erwartet. Ein Fußballfest soll es werden im Ruhrpott, der erst durch zahllose polnische Einwanderer im 19. Jahrhundert zu dem gemacht wurde, was er heute ist. Die weiteren Spielorte der polnischen Mannschaft sind in der Gruppenrunde Gelsenkirchen und Hannover. In der Nähe der Leine-Stadt ist auch das WM-Quartier der polnischen Mannschaft. Sollte sich Polen hinter Deutschland als Zweiter der Gruppe A platzieren, wäre dann ein Achtelfinale gegen England in Stuttgart denkbar.

Das Stadion in Gelsenkirchen gehört zu den vier Arenen, die von der Stiftung Warentest besonders moniert werden. Aber auch das Dortmunder Stadion, in dem Deutschland auf Polen trifft, weise Sicherheitsmängel auf, urteilen die Tester. Nicht zuletzt diese Partie wird für deutsche Sicherheitsbehörden eine große Herausforderung. Eberhard Schönberg von der Gewerkschaft der Polizei spricht ein besonderes Problem an: In Polen gebe es keine zentrale Datei, in der straffällig gewordene Hools geführt werden. „Wir kennen sie nicht, auch die dortige Polizei kennt sie nicht ausreichend und noch dazu sind sie viel näher dran als die englischen Fans.“ Weder die deutschen noch die polnischen Behörden könnten folglich Hooligans daran hindern, nach Deutschland einzureisen. Bekannt dürften nur diejenigen sein, die in Deutschland schon mal aufgefallen sind: So wie zuletzt 53 Hooligans aus Poznan, die in einem Reisebus über die Grenze bei Frankfurt (Oder) kamen, um sich in einem deutschen Wald in Grenznähe mit ein paar Dutzend deutscher Hooligans zu prügeln, um „für die WM zu üben“, wie sie nach ihrer Festnahme ausgesagt haben.

Die Polizei hatte einen Tipp aus der Szene bekommen. Erst bei der Rückfahrt wurden die polnischen Schläger vom Grenzschutz registriert. Bei der Schlacht im Wald war auf deutscher Seite auch einer der Haupttäter dabei, die bei der Weltmeisterschaft 1998 in Frankreich einen Polizisten zum Schwerbehinderten und das hässliche Gesicht des WM-Bewerbers Deutschland in die internationalen Schlagzeilen prügelten.

Um den Hooligantourismus zu verhindern, soll im März in Berlin eine Sicherheitskonferenz mit den Anrainerstaaten und allen 32 Teilnehmerländern der WM stattfinden. Zuvor, am 1. März, spielt Polen in Kaiserslautern gegen WM-Teilnehmer USA. Das könnte auch für die deutsche Polizei der Härtetest werden. Der polnische Fußballverband PZPN übt sich bislang in Zweckoptimismus, zumindest leugnet er das eigene Hooligan-Problem nicht: „Aber bis zur WM werden sich unsere Behörden mit der deutschen Polizei noch austauschen. Wir arbeiten gut zusammen“, heißt es dort. Wie diese Zusammenarbeit genau aussehen soll, kann noch niemand genau sagen. So langsam wird die Zeit knapp.

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