Wo der Teufel sein Bier braut
In der Kellerbar Avilys im Zentrum von Kaunas, zu Deutsch Bienenstock, wird den heidnischen Bienengöttern Austeja und Bubilas gehuldigt. Mit trockenem Gaumen kann der Gast verfolgen, wie das Honigbier gebraut wird. Auch beim Essen dreht sich alles um den Gerstensaft: Es gibt Biersuppe, biermariniertes Fleisch, sogar Bier-Eis steht auf der Speisekarte. Das litauische Bier gehört wie die deftige Kartoffelküche zu den kulinarischen Höhepunkten in Kaunas. Die sogenannten Zepellini, mit Hackfleisch gefüllte Kartoffelklöße, lässt sich kaum einer entgehen.
Auch andere Bars und Cafés in der historischen Altstadt von Kaunas laden zum Schlemmen ein. Bunt restaurierte Bürgerhäuser aus dem Mittelalter stehen hier neben Backsteingebäuden der flammenden Gotik und einem barocken Rathaus. Kunstgalerien und Boutiquen locken in die kleinen Gassen und auf die großen Plätze der Stadt, die von Litauens größten Flüssen umspült wird: dem Nemunas, zu Deutsch Memel, und der Neris. Beliebt sind die Wiesen am Ufer der Halbinsel, wo Einheimische und Touristen bei schönem Wetter auf den Ruinen der mittelalterlichen Burg spazieren.
Die Einwohner von Kaunas, 360.000 sind es insgesamt, sind stolz auf ihre Festung. 1254 wurde hier der erste litauische König Mindaugas gekrönt. Deshalb wird jedes Jahr am 6. Juli gefeiert: mit Musik, Jahrmarkt und historischem Theater. Im Mittelalter hatten die Litauer viele Burgen entlang der Memel errichtet, um sich gegen die deutschen Ordensritter zu wehren. Mit Erfolg: Anders als seine Nachbarstädte in Lettland und Estland war Kaunas niemals vom deutschen Ritterstaat besetzt. Im Staatenverbund mit Polen schlug Litauen den Deutschen Orden 1410 sogar vernichtend. Vielleicht erklärt sich so, dass der heidnische Glaube in Kaunas länger überlebt hat und bis heute im Stadtbild präsent ist.
Denn eigentlich ist Kaunas eine durchweg katholische Stadt. Neben zahlreichen Kirchen und Klöstern beheimatet sie das einzige Priesterseminar Litauens, das selbst zu sozialistischen Zeiten Geistliche ausgebildet hat. Und doch ist eine ihrer größten Attraktionen heute ein ganz und gar ungeweihter Ort: Das Teufelsmuseum versammelt tausende Teufel aus Holz, Keramik oder Stoff, darunter auch Hitler und Stalin. Neben dem christlichen Teufel, dem Inbegriff des Bösen, wird in Litauen noch immer der heidnische „Velnias“ verehrt: ein freundlicher Teufel, der den Armen hilft.
Auch die deutschen Ritter haben ihre Spuren hinterlassen. Sie konnten Kaunas zwar nicht erobern, dafür verschifften sie ihre Waren über die Memel, die mitten durchs Stadtzentrum fließt. Daran erinnern heute die so genannten Hansetage: Im August erstreckt sich zehn Tage lang ein Jahrmarkt über knapp zwei Kilometer entlang der wohl längsten Einkaufsmeile im Baltikum. Sie verbindet die Altstadt von Kaunas mit der Neustadt, die im Zarismus entstand.
Denn das polnisch-litauische Reich zerbrach 1795 und wurde zwischen Österreich, Preußen und Russland geteilt. Aus jener Zeit stammt die Legende über die „längste Brücke der Welt“, die Fremdenführer so gern am Ufer der Memel erzählen. Kaunas gehörte damals zu Russland, auf der anderen Seite der Brücke aber lag Preußen. In Russland galt bis ins 20. Jahrhundert hinein noch der julianische Kalender, der gegenüber dem damals schon in Preußen genutzten gregorianischen um 13 Tage zurücklag. Fuhr ein Mensch also über die Memel von Russland nach Preußen, dann dauerte seine Brücken-Passage ganze 13 Tage.
In den vergangenen Jahren kamen Touristen vor allem über die Hauptstadt Vilnius nach Litauen. Das soll sich jetzt ändern, denn zahlreiche europäische Fluggesellschaften fliegen neuerdings auch Kaunas an. Die Stadt hofft, endlich aus dem Schatten von Vilnius herauszutreten – und wieder zu einem geistigen und kulturellen Zentrum Litauens zu werden.
Zahlreiche Bauten zeugen von der einstigen Blüte der Stadt. Kaunas gilt als Wiege des nationalen litauischen Erwachens. Dazu trug vor allem Mikalojus Ciurlionis bei, der erste Litauer, der es Ende des 19. Jahrhunderts vom Sohn eines mittellosen Organisten zum Nationalhelden brachte. Als Komponist machte er litauische Mythen und litauische Landschaft hörbar, als Maler hielt er seine musikalischen Themen auch auf der Leinwand fest. Das Ciurlonis-Museum ist einer der vielen Bauten aus der Zeit des Funktionalismus in den 30er und 40er Jahren. Damals war Kaunas sogar die provisorische Hauptstadt Litauens. Das Land, das seine Eigenstaatlichkeit nach dem Ersten Weltkrieg zunächst zurückerhalten hatte, war 1920 von Polen angegriffen worden und hatte seine Hauptstadt Vilnius verloren.
Über den Dächern von Kaunas erhebt sich noch heute die imposante Auferstehungskirche, die seinerzeit als Symbol der Freiheit mit Spenden aus ganz Litauen errichtet wurde. Sie bietet einen atemberaubenden Blick auf das historische Zentrum von Kaunas. Die originale Standseilbahn aus den 30er Jahren, die für 15 Cent jeden Besucher vom grünen Hügel wieder hinab ins Tal bringt, gilt als Kleinod und Insidertipp zugleich.
Heute spielt sich das touristische und kulturelle Leben von Kaunas längst nicht mehr nur in der Innenstadt ab. Die Designerin Dalia Kavaliauskiene etwa hat sich dem litauischen Leinen verschrieben und am Stadtrand von Kaunas im roten Backsteingemäuer der ehemaligen Zarenkasernen eine Boutique aufgemacht. Das hippe Wohnviertel am Juozapaviciaus Prospekt ist ein Geheimtipp.