Weihnachten in Kroatien
Bunte Herzen und Lichterketten über den Flaniermeilen der kroatischen Hauptstadt Zagreb tauchen die Metropole in der Vorweihnachtszeit in ein wärmendes Orange. Vor Holzbuden prosten sich Menschen ausgelassen mit Glühwein zu, der in Kroatien allerdings meist weiß ist. Und in den Schaufenstern verführen italienische Designerschuhe und Schweizer Uhren den Konsumenten. Auf den ersten Blick erinnert das meiste an Deutschland, zumindest in den Großstädten – doch wie feiern die Kroaten das Fest wirklich, abseits von Konsum und Kommerz?
„Vor allem in den Städten haben sich nur wenige alte Weihnachtsbräuche erhalten“, erklärt die Ethnologin Katica Mrgic aus der Kleinstadt Sisak, eine Stunde Autofahrt von Zagreb entfernt. An Heiligabend wird allerorts der Weihnachtsbaum geschmückt, den ganzen Tag lang wird gefastet – was in Kroatien Fisch statt Fleisch auf dem Teller bedeutet. Nach dem Abendessen werden die Geschenke verteilt, um Mitternacht gehen die meisten Familien schließlich gemeinsam zur Mitternachtsmette in die Kirche. Diese nimmt wieder einen sehr hohen Stellenwert ein – immerhin sind neun von zehn Einwohnern katholisch, viele haben nach dem Zerfall des Sozialismus den Glauben neu entdeckt. „Manchmal gibt es dann nachts noch einen Schmaus, wenn man aus der Kirche nach Hause kommt – Schweinebraten mit Meerrettich“, ergänzt Tourismuschefin Lidija Kopjar aus Sisak die Aufzählung.
Was vom Braten übrig bleibt, kommt am Ersten Weihnachtsfeiertag auf den Tisch – meist kalt. Keinesfalls fehlen darf „Sarma“, mit Hackfleisch und Reis gefüllte Krautwickel. „Das wird gerne zum Ausnüchtern gegessen“, erklärt Lidija Kopjar und lacht. Die Weihnachtsgans mit Knödeln und Rotkraut ist in Kroatien weitgehend unbekannt: Im Zentrum des Landes wird traditionell Pute mit „Mlinci“ serviert – getrocknete Plinsen aus Mehl und Wasser, die kurz überbrüht und mit Schmalz angeröstet werden.
In Dalmatien hingegen ist Weihnachten undenkbar ohne „Bakalar“, getrockneten Stockfisch. Die Spezialität, die ein wenig lederartig wirkt, wird gerne mit Kartoffeln serviert. Hobbykoch Ratimir Cular aus Zagreb, dessen Familie von der Küste stammt, erinnert sich an ein Weihnachtsfest, das er in Frankfurt am Main verbracht hat. „Mein Bekannter ist Heiligabend mit solch einem Fisch vorbeigekommen, da wir traditionell feiern wollten“, erinnert sich der Luftfahrtsingenieur. Dabei hatten die beiden nicht an den intensiven Geruch gedacht, der beim Kochen entsteht. „Es roch wie in der Hölle, die Nachbarn hämmerten laut und fingen an, uns wild zu beschimpfen“, so Cular.
Küstenregion und Zentrum unterscheiden sich auch im Hinblick auf die weihnachtliche Nachspeise: Mohn- und Nussrolle sind zwar gleichermaßen populär auf dem kroatischen Weihnachtstisch. In Dalmatien werden jedoch auch „Fritule“ serviert, frittierte Miniaturbällchen aus Hefeteig. Im Nordwesten des Landes ist der Jahrhunderte lange Habsburgische Einfluss hingegen noch spürbar: „Guglof“, wie die Kroaten den Guglhupf nennen, wird hier gern gebacken.
In ländlichen Gegenden war auch traditionelles Brauchtum noch gepflegt. So trägt vielerorts das Familienoberhaupt am Heiligen Abend, der in Kroatien „Badnjak“ heißt, einen Holzscheit ins Haus, der im Kamin oder Ofen stundenlang lodert. Dieses Holz wird ebenfalls „Badnjak“ genannt und hat dem 24. Dezember überhaupt seinen Namen verliehen, erklärt Ethnologin Katica Mrgic. Unter dem Tisch wird Heu ausgebreitet, darauf werden Maiskolben gebettet. „Das ist vor allem in landwirtschaftlich geprägten Gegenden üblich, der Natur auf diese Art für ihre Gaben zu danken und sich im kommenden Jahr ebenso viel zu erhoffen“, sagt die Expertin.
Der Weihnachtsweizen wird hingegen bis heute auch in den kroatischen Städten gesät – entweder am Sankt Barbaratag (4. Dezember) oder am Namenstag der Heiligen Lucia (13. Dezember). Seit der Unabhängigkeit Kroatiens sieht man häufig, dass viele Menschen die aufgegangene Saat mit kleinen rot-weiß-blauen Nationalflaggen verzieren.
Ansonsten erinnert selbst die Fernsehwerbung an Deutschland: Das kleine Mädchen in Kroatien möchte auch keinen Luftballon mehr vom Weihnachtsmann, sondern ein neues Handy. Und während die Ausgaben der Deutschen und Österreicher für Weihnachtsgeschenke seit zwei Jahren stagnieren, sind sie in Kroatien in diesem Jahr gar um 30 Prozent gestiegen: Bei einem Durchschnittsgehalt von 600 Euro monatlich, plant jeder Haushalt gut ein Drittel davon für Weihnachtsgaben ein.
Nenad Zakosev, der an der Zagreber Universität Politik lehrt, erinnert sich an seine Kindheit in den sechziger Jahren: Zu sozialistischen Zeiten wurde auch in Jugoslawien an Weihnachten gearbeitet, nur wenige Gläubige gingen damals in die Kirche. Geschenke gab es an Neujahr unter der „Jolka“, dem Neujahrsbaum. Wer seine Tanne oder Fichte dennoch an Weihnachten schmückte, tat dies heimlich. Auch der Heilige Nikolaus war undenkbar, stattdessen wurde Väterchen Frost aus Russland adaptiert – „Djed Mraz“, erinnert sich Nenad Zakosek an den weißen Rauschebart. Zunächst sei jedoch angedacht worden von der Regierung, einen „alten Partisanen“ als Gabenbringer in die Phantasiewelt der Kinder einzupflanzen. Diese Idee habe man jedoch recht schnell verworfen, so der Politologe.
Mit dem Kommunismus verschwand schließlich auch „Djed Mraz“ von der Bildfläche – zumindest in Kroatien. Übereifrige Sprachpuristen führten in den neunziger Jahren „Djed Bozicnjak“ als neue Bezeichnung für den Geschenkebringer ein, in Anlehnung an das kroatische Wort „Bozic“ für Weihnachten.
Und wenn man heute jemanden in Kroatien fragt, wer denn nun eigentlich die Geschenke bringe, ist die Verwirrung groß. Nikolaus konkurriert mit der Heiligen Lucia, die in einigen Gegenden Dalmatiens Kinderherzen höher schlagen lässt. Und „Djed Mraz“ wetteifert mit seinem neuen Namensvetter „Djed Bozicnjak“. Und schließlich ist auch das Datum nicht einheitlich im ganzen Land – denn die serbische Minderheit feiert das orthodoxe Weihnachtsfest erst am Vorabend des 7. Januar, während an diesem Tag katholische Sternsinger von Haus zu Haus ziehen und die Heiligen Drei Könige symbolisch ankündigen. Erst zwei Wochen später, wenn die Taufe von Johannes im Jordan gefeiert wird, ist der Weihnachtszyklus abgeschlossen – dann geht es auch in Kroatien ein wenig ruhiger zu.