Orthodoxe Kirchenuhren gehen anders
Darüber sind alle Witze bereits gemacht – dass die sowjetische „Oktober-Revolution“ tatsächlich im November 1917 stattgefunden hat. Nämlich am 7. November. Da in Russland damals noch der Julianische Kalender galt, hinkte die Zeitrechnung um 13 Tage hinterher. Mittlerweile hat die offizielle Zeitrechnung überall in Osteuropa zum Kalender des Westens aufgeschlossen. Einige orthodoxe Kirchen bleiben sich allerdings treu und feiern das Weihnachtsfest beharrlich mit inzwischen 14-tägiger Verspätung. Wenn Protestanten und Katholiken am 7. Januar, dem Dreikönigsfest, also gerade ihre Weihnachtsbäume in der Bio-Tonne entsorgen, hat bei den mitgliederstärksten orthodoxen Kirchen, zum Beispiel der russischen und der serbischen, die schönste Zeit des Jahres gerade erst begonnen.
Ereignisse des „alten Stils“, so umschreibt man in Russland die kalendarische Differenz zwischen dem Julianischen Kalender (eingeführt von Julius Caesar 46 v. Chr.) und dem Gregorianischen Kalender (1582 von Papst Gregor XIII. verordnet). Ganze Generationen von Studenten der Slawistik und Osteuropäischen Geschichte sind an der Kalenderverwirrung bereits verzweifelt. Als Hilfsmittel dienen ungeheuer komplizierte Umrechnungstabellen – oder die einfache Daumenpeilung: Bei Einführung des Gregorianischen Kalenders folgte auf den 4. Oktober 1582 sofort der 15. Oktober, machte zehn Tage Differenz. Zusätzlich ist pro Jahrhundert ein Tag hinzuzurechnen, denn jeweils zur Jahrhundertwende entfällt im Vergleich zum Julianischen Kalender der eigentlich vorgesehene Schalttag. Es sei denn, die Jahreszahl lässt sich nicht durch 400 teilen. Die neue Zählweise befand Papst Gregor für nötig, weil das Jahr nach dem Julianischen Kalender aus astronomischer Sicht um elf Minuten und 14 Sekunden zu lang ausfiel, was auf lange Sicht zu einer Verschiebung der Jahreszeiten geführt hätte.
Für ihr Festhalten am „alten Stil“ hält die orthodoxe Kirche eine charmante Begründung parat: Laut Bibel hat Gott sechs Tage an der Erschaffung der Welt gearbeitet und am siebenten geruht. Also braucht man im Grunde überhaupt keinen Kalender, wenn man sich nur an den göttlichen Sechs-plus-eins-Rhythmus hält. Weil es aber zu Zeiten der Entstehung des Christentums einen Kalender gab, den Julianischen nämlich, bleibt der in Gebrauch – und die „jahrhundertealten Festlegungen unserer Väter dürfen nicht verletzt werden“. So hieß es noch 1904, als auch ganz Russland noch den alten Kalender benutzte. 1918, also unmittelbar nach der novemberlichen Oktoberrevolution schaffte man ihn für den Staat ab, aber die Kirche behielt ihn.
Mittlerweile verteidigt sie ihn recht bissig, etwa als Symbol für „Russlands Kulturmission“, als Merkmal eines „unverdorbenen alten Stils“, als Sache des Glaubensbekenntnisses und der Gottesdienstordnung. Andere Kirchenfürsten anderer Länder sind weniger streng, obwohl sie – wie Beispielsweise die Mazedonische Orthodoxe Kirche – diesen Kalender ebenfalls verwenden. Bischof Timotej aus Ohrid, Mazedoniens heimlicher Kirchen- und Kulturhauptstadt, erläutert, wie Ortho¬doxe es dort mit dem Kalender halten: „Es gibt Kirchen wie die von Konstantinopel, Antiochia, Alexandria und die Kirchen von Griechenland, Albanien, Rumänien und Bulgarien, die den Gregorianischen Kalender benutzen.
Aber die mitgliederstärksten Kirchen der orthodoxen Christenheit bleiben beim Julianischen Kalender, nämlich die orthodoxen Kirchen von Russland, der Ukraine, Serbien und Mazedonien, das Patriarchat von Jerusalem und das geistige Zentrum der Orthodoxie auf dem Berg Athos.“ Selbst hält Timotej den Kalenderstreit weniger für ein kirchliches, sondern mehr für ein astronomisches Problem. „Allerdings stehen wir in der Pflicht gegenüber der Tradition und unserem orthodoxen Volk, das im Moment nicht darauf vorbereitet ist, die feststehenden Feiertage anders als bisher zu feiern. Jede Veränderung würde innere Konflikte provozieren, was die Kirche nicht gebrauchen kann“.
Gerade für die mazedonischen Christen sei Tradition ein hoher Wert. Schließlich wurde ihre Kirche bereits 890 von den Schülern der griechischen „Slawenapostel“ Kyrill und Method gegründet, die auch für das Kyrillische Alphabet verantwortlich zeichneten. Agatangel, Bischof der Mazedonischen Stadt Shtip, sieht die Sache pragmatisch: „Im Grunde macht mir der Kalender nichts aus, nur bin ich daran gewöhnt, dass Weihnachten am 7. Januar gefeiert wird, wie es mir von Eltern und Großeltern in die Seele gelegt wurde“.
So ist eine Einebnung der kalendarischen Unterschiede also noch lange nicht in Sicht. Immerhin könnte es der orthodoxen Beharrlichkeit eines fernen Tages zu verdanken sein, dass ein nie für möglich gehaltenes Ereignis eintritt: Nämlich das (orthodoxe) Weihnachten und (katholische) Ostern einmal zusammen fallen.