Eine Kuh für die Kirche
Olsztyn/Glaznoty (n-ost) - Die Kirche ist schon von der Straße nach Glaznoty (Marienfelde) aus zu sehen. Hinter Bäumen schaut der kleine Kirchturm hervor, das Ziegeldach ist heute schneebedeckt. Vorsichtig lenkt Jerzy Klonowski den Lieferwagen einen Sandweg hinauf, das Auto rumpelt in einer engen Kurve um die Kirche herum und bleibt dann vor dem schmiedeeisernen Eingangstor stehen.
„Das ist sie“, sagt Klonowski einfach. Jozef Karczewski ist derweil schon hinten aus dem Wagen herausgeklettert und läuft zur niedrigen Kirchentür, um aufzuschließen. Das Innere der Kirche ist hell, Sonne fällt durch die weißblauen Kirchenfenster. In einer Ecke stehen Schubkarre, Schaufeln, Eimer und Spitzhacken, die Empore ist aus rohem, unbehandelten Holz, im vorderen Teil der Kirche stehen Kirchenbänke, hinten tut eine Sammlung alter Stühle ihren Dienst.
„Wir sind fast fertig“, erklärt Karczewski, „es muss noch gestrichen werden, hier und da etwas ausgebessert, der Zaun hinter der Kirchengelände steht noch nicht.“ Nach dieser Einleitung machen Karczewski und Klonowski eine kleine Führung durch das Gebäude. „Bis hierhin waren die Grundmauern hinuntergebrochen“, erzählt Klonowski und weist in einer Höhe von ungefähr einem Meter auf die Feldsteinmauer. „Viel konnten wir von dem ursprünglichen Inventar nicht retten, das meiste war verrottet“ fügt Karczewski hinzu, “Aber sehen sie: Diese Teile des Altars, Teile der Deckenbalken und die Kirchenbänke sind noch erhalten geblieben.“
Karczewski und Klonowski kennen jedes Detail des mittelalterlichen Bauwerkes. Schließlich waren sie am Wiederaufbau beteiligt. In den 60er Jahren bei einem schweren Gewitter bis auf die Grundmauern zerstört, steht das 600 Jahre alte Gebäude nun wieder gut sichtbar auf einem Hügel am Rande des Dörfchens Glaznoty. Drei Jahre lang dauerte die Renovierung. In Handarbeit haben Karczewski, Klonowski und ihre Kollegen des Obdachlosenheimes „Markot“ im nahen Marwald die Ruine wieder aufgebaut.
„Wir haben gezeigt, dass wir Obdachlosen nicht nur schlafen, trinken und essen, sondern auch produktiv arbeiten können“, sagt Klonowski weist mit ausladender Handbewegung auf die Kirche. „Die Leute, die die Kirche renoviert haben sind allesamt Fachleute in ihrem Handwerk“, betont Pawel Kutecki, stellvertretender Leiter des Obdachlosenhauses „Markot“ in Marwalde.
Bevor sie in „Markot“ ein Dach über dem Kopf fanden und eine Beschäftigung, lebten sie am äußersten Rand der Gesellschaft. Arbeitslosigkeit, in vielen Fällen Alkoholprobleme, sind die Gründe für ihren sozialen Abstieg gewesen. „Zwei Drittel unserer Bewohner waren früher in den landwirtschaftlichen Grossbetrieben, PGRs, oder deren Zulieferfirmen beschäftigt. Mit der Wende kam für viele Menschen in ländlichen Gegenden der Verlust des Arbeitsplatzes. Einige versuchten daraufhin ihr Glück in größeren Städten, nicht alle haben es gefunden“, erzählt Kutecki. „Markot“ ist eines der drei größten Wohnheime der Sozialorganisation „Monar“, die polenweit obdachlosen, alkoholkranken und drogensüchtigen Menschen einen Widereinstieg in ein selbständiges Leben ermöglichen will. Unterstützt werden sie durch Therapie, Umschulungen und Arbeit im landwirtschaftlichen Betrieb und den Werkstätten von „Markot“. „Der Wideraufbau der Kirche war eine Gelegenheit, unser Können zu zeigen“, sagt Karczewski. Dass sie dabei kostenlos arbeiteten, findet er selbstverständlich. Bewohner aus Glaznoty und Umgebung zeigten sich genauso bereitwillig, die Aufbauarbeiten zu unterstützen.
„Ich freue mich, dass die Kirche, in der ich getauft und konfirmiert wurde, wieder steht.“, erklärt Kurt Komogowski, einer der letzten Methodisten in der Gegend. Weil er keine Rücklagen auf dem Konto hatte, verkauft er eine Kuh aus seiner Herde und spendete den Erlös für den Aufbau.
Kleine Unternehmen überließen „Markot“ Zement, Holz und Dachziegel für die Bauarbeiten. Die Gesellschaft der deutschen Minderheit in der 30 km entfernten Kreisstadt Ostroda sammelte bei ihren Mitglieder und Partnerorganisationen in Deutschland Spenden.
„Es ist geradezu unsere Pflicht, uns solcher Baudenkmäler anzunehmen“, meint Henryk Hoch, Vorsitzender der Gesellschaft der deutschen Minderheit in Ostroda. „Deshalb haben wir als Minderheit geholfen, deutsche Sponsoren für die Kirche zu finden.“ Die Gesellschaft hatte schon länger darüber nachgedacht, wie die mittelalterliche Kirche restauriert werden könnte. Dass sich die Bewohner von Markot bereit fanden, diese Arbeit unentgeltlich zu übernehmen, sei ein Glücksfall gewesen. „Die Helden dieser Geschichte sind die Obdachlosen“, erklärt Hoch mit Nachdruck.
„Wir haben mit dem Wiederaufbau ein Zeichen gesetzt, uns in die Geschichte der Region eingeschrieben, und den Menschen in dieser Region, die unsere Sozialarbeit unterstützen, etwas zurückgegeben.“, bestätigt Pawel.Kutecki. Damit aber alle etwas von der Kirche haben, so meint er, müsse noch weiter gearbeitet werden. Sein Traum ist ein ökumenisches Zentrum. Er möchte ein Gästehaus für Besucher bauen und einen Veranstaltungsort für ökumenische Treffen einrichten. „Nur dann haben auch wirklich alle Menschen etwas davon, schließlich gibt es in Glaznoty keine evangelisch-methodistische Gemeinde mehr.“
Die ersten Messen in der Kirche wurden jedenfalls schon in diesem Sinne gestaltet: Ökumenisch von einem römisch-katholischen und einem evangelisch-methodistischen Priester gemeinsam.
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