Entschädigung für deutsche Vertriebene
In der kroatischen Hauptstadt Zagreb kulminiert derzeit ein Streit um eine an sich gute Sache: Die konservative Regierung unter Premier Ivo Sanader hat sich in einem Vertrag mit Wien verpflichtet, österreichische „Volksdeutsche“ dafür zu entschädigen, dass sie am Ende des Zweiten Weltkrieges aus dem damaligen Jugoslawien vertrieben und von Titos Behörden enteignet worden waren. Über diesen Vertrag hatte Sanader den linksliberalen Staatspräsidenten Stipe Mesić „absicht¬lich im Unklaren“ gelassen. So wenigstens sah es dieser, als er in einer TV-Ansprache an die Nation Sanaders verurteilte. Mesic sieht in der Entschädigungsregelung eine „Bedrohung der Existenz Kroati¬ens“.
Und worum geht es?
Bis 1918 gehörten Teile des Balkans zum österreichisch-ungarischen Habsburger Imperium. Daher siedelte sich dort eine quantitativ starke deutsche Volksgruppe an. Das Gros dieser „Schwaben“, wie sie allgemein genannt wurden, lebte in altösterreichischen Regionen, die nun den Herren gewechselt hatten: In der nordserbischen Vojvodina (450.000) und im nord¬kroatischen Slawonien (160.000), dazu noch in Slowenien (50.000), Bosnien-Herzegowina (16.000) und anderswo. Laut der kroatischen Volkszählung von 2001 leben in der Republik 2.902 Deutsche (und 247 Österreicher), die meisten (964) immer noch in Slawonien.
Im Zweiten Weltkrieg hatten sich viele der Siedler auf Seiten der deutschen Okkupanten engagiert und ihre im Frühjahr 1942 aufgestellte 7. SS-Division „Prinz Eugen“ war ein bei Titos Partisanen gefürchteter Gegner. Darum hatten sie beim nahenden Kriegsende auch manches zu befürchten. Viele der Siedler flüchteten kurz vor Kriegsende. Etwa 200.000 Deutsche blieben im Land, wo sie in zehn Lagern interniert wurden. In diesen kamen 47.000 Deutsche ums Leben, darunter einige auch in den kroatischen Lagern Krndija und Valpovo.
Bei der Pariser Reparationskonferenz im Dezember 1945 meldete Jugoslawien 1,7 Millionen Kriegstote und materielle Schäden in Höhe von 38,9 Milliarden US-Dollar, verursacht durch Deutsche. Im November 1948 wurde allen Deutschen, den geflüchteten wie den verbliebenen, die Staatsbürgerschaft aberkannt, was ihre totale Enteignung einschloss. Von deutschen Reparationen war umgekehrt eigentlich nie die Rede. Jugoslawien bekam nur etwa ein Tausendstel seiner Forderungen zurück.
Dass da noch etwas sein könnte, hatte 1989 der slowenische Philosoph Taras Kermauner in seinen berühmten „14 Briefen an einen Belgrader Freund“ angestoßen: Wenn ihr Serben (so argumentierte Kermauner damals) euch über angeblichen albanischen Terror gegen Serben im Kosovo beklagt, dann erinnert euch lieber daran, was ihr 1945 bis 1948 mit „euren“ Deutschen angestellt habt. Der serbische Germanist Zoran Žiletć bringt seine Forschungen auf ein selbstkritisches Fazit: Wir selber haben die über 300-jährige Koexistenz durch einen „Genozid an den hiesigen Deutschen“ beendet.
Am 22. September veröffentlichte nun die kroatische Regierung einen zuvor mit Österreich ausgehandelten Vertragsentwurf, dem zufolge „Deutsche, die früher in den Donau-Regionen lebten und heute österreichische Staatsbürger sind, binnen drei Jahren eine Rückgabe des in Kroatien konfiszierten Eigentums beantragen können“. Dabei geht es um 20.457 Grundstücke. Hinzu kommen etwa 25.000 Häuser, 20.000 Wirtschaftsgebäude, 50.000 Stück Vieh, 70.000 Maschinen etc. Bis Jahresende soll der Vertrag zwischen Kroatien und Österreich besiegelt werden.
Geht es nach der Opposition im kroatischen Sabor (Parlament), dann wird nichts draus. Zwar hat das kroatische Verfassungsgericht bereits 1999 eine derartige Wiedergutmachung explizit zugelassen, aber „über diesen Beschluss haben wir uns nur an den Kopf gefasst“, sagte Oppositionsführer, der Sozialdemokrat Ivica Račan dieser Tage. Er ist überzeugt, mit den insgesamt 62 (von insgesamt 152) Stimmen der Opposition im Parlament, den Vertrag noch verhindern zu können.
Es ist wohl kein Zufall, dass das Abkommen zwischen Österreich und Kroatien Ende September und damit kurz vor der Brüsseler Entscheidung über Beitrittsgespräche ausgehandelt wurde. Mit Kroatien bekam auch die Türkei grünes Licht, und diese Gleichzeitigkeit konnte nur durch einen „Handel“ mit dem Kroatien-Freund und Türkei-Gegner Österreich erreicht werden. Hinzu kommt, dass Kroatiens Premier Sanader jahrelang in Österreich gelebt, studiert und ein Vermögen erworben hat. Er selbst verteidigt den Vertrag mit Hinweis auf das Gerichtsurteil von 1999. Aber die kroatische Opposition ist überzeugt, dass hier nur ein Deal abläuft, der nach dem Balkan-Prinzip „Ja tebi – ti meni“ (Ich dir – du mir) eingefädelt worden ist.
Ende November verbreitete Kroatiens Staatspräsident Stipe Mesić in einer Sondersendung des kroatischen Staatsfernsehens HTV Endzeitstimmung: „Hinter seinem Rücken“ sei da etwas vorbereitet worden, die Regierung habe ihn, den „Mitgestalter der Außenpolitik“ „absichtlich“ nicht informiert, und jetzt bleibe ihm nur dieser TV-Auftritt, um die Bürger vor Schritten der Regierung zu warnen, die „den Staat Kroatien bedrohten“ und das „Funktionieren des ganzen Staatssystems in Frage stellten“. Nikola Mak, Sprecher der deutschen Volksgruppe in Kroatien, beschuldigte im Gegenzug den Präsidenten einer „Rechtfertigung des Genozids an den Deutschen“.
Sollte es tatsächlich zu dem Abkommen kommen, würde es Wellen schlagen, zum Beispiel in Polen und der Tschechischen Republik. Immer wieder verlangen deutsche Vertriebenenverbände von diesen Ländern Entschädigungszahlungen für verlorenes Eigentum und verursachen damit regelmäßig diplomatische Verwicklungen. Eine Einigung Kroatiens mit Österreich würde diese Länder stark unter Druck setzen. Aber auch in Kroatien selbst könnte der Vertrag Schule machen. Schließlich warten noch viele Juden auf Entschädigungszahlungen für im Zweiten Weltkrieg durch pro-faschistische Kroaten erlittenes Unrecht.