Polen

“Ich habe in Bonn gelernt wie Demokratie funktioniert“

Warschau (n-ost) – Wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) heute (Freitag) nach Warschau reist, wird sie von einem polnischen Regierungschef empfangen, der erst ein paar Tage länger im Amt ist als sie. Kazimierz Marcinkiewicz von der rechtskonservativen Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) muss die Wogen im deutsch-polnischen Verhältnis glätten, nachdem sein Parteivorsitzender Jaroslaw Kaczynski und dessen Zwillingsbruder Lech, der neu gewählte Präsident, im Wahlkampf gegen Deutschland Stimmung gemacht haben.
Olaf Sundermeyer konnte als einer der ersten westlichen Journalisten mit dem neuen polnischen Premier sprechen: über deutsch-polnische Nachbarschaft, den Euro, die ungeliebte Ostseepipeline, den CIA, den Truppenabzug aus dem Irak und über deutsche Supermärkte in Polen.

FRAGE: Am Freitag kommt die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel nach Warschau. Worüber werden Sie mit Ihr reden?

MARCINKIEWICZ: „Vor allem über die wirtschaftliche Zusammenarbeit, unsere Beziehungen innerhalb der Europäischen Union, den für uns wichtigen EU-Haushalt und über die Ostseepipeline.“

FRAGE: Angela Merkel hat den Polen eine neue Ostpolitik versprochen, was erwarten Sie?

MARCINKIEWICZ: „Ich erhoffe mir vor allem bessere Beziehungen zwischen Deutschland und Polen. Dabei sollten wir aber nicht die Geschichte vergessen, wenngleich der Schwerpunkt auf Zukunft liegen sollte.“

FRAGE: Was werden Sie Angela Merkel zu ihrer Zustimmung für das Berliner „Zentrum gegen Vertreibung“ sagen?

MARCINKIEWICZ: „Dass es für uns Polen nicht zu akzeptieren ist.“

FRAGE: Polen fühlt sich von Deutschland auch wegen der Ostseepipeline mit Russland provoziert. Daher haben Sie auf europäischer Ebene eine Initiative angekündigt, die solche bilateralen Projekte künftig unmöglich machen soll. Aber was unternehmen Sie in diesem konkreten Fall?

MARCINKIEWICZ: „Uns geht es um zweierlei: Um den Umweltschutz, vor allem weil die Ostsee nicht sehr tief ist und wir nicht wissen, was da alles auf dem Grund ist. Und das herauszufinden ist sehr teuer. Daher sollten wir eher auf die Erfahrungen der bestehenden Jamal-Pipeline auf dem Landweg zurückgreifen. Auch die Jamal II Linie wird viel billiger als die Ostseepipeline. Dieser wirtschaftliche Grund ist der zweite, der gegen die Ostsee-Option spricht. Sie ist schlicht zu teuer.“

FRAGE: Herr Premierminister, Sie kommen aus Gorzów Wielkopolski, das liegt eine halbe Autostunde von der deutschen Grenze entfernt. Wie erleben Sie die Nachbarschaft mit den Deutschen?

MARCINKIEWICZ: „Als sehr gutes Verhältnis. Wir haben dort gemeinsam viel erreicht : Zum Beispiel die Europauniversität Viadrina in Frankfurt/Oder und das Collegium Polonicum in Slubice. Anfang der 90er Jahre habe ich mich allerdings für diejenigen Polen geschämt, die sich in Deutschland nicht an die Gesetze gehalten haben. Heute bin ich stolz darauf, dass die Beziehungen normal sind. Wir fahren jetzt als EU-Bürger nach Deutschland.

FRAGE: Bei welcher Gelegenheit waren Sie zuletzt in Deutschland?

MARCINKIEWICZ: „Zuletzt bin ich durch Deutschland nach Frankreich gefahren. Und in den Alpen fahre ich gerne Ski. Vor ein paar Jahren habe ich Deutschland als Stipendiat der deutschen Robert Bosch Stiftung kennen gelernt: Dabei habe ich in der ehemaligen Bundeshauptstadt Bonn gelernt, wie Demokratie funktioniert.“

FRAGE: Bislang wird Ihre Minderheitsregierung im Sejm von der Samoobrona unterstützt. Deren Vorsitzender Andrzej Lepper sagt, er würde sofort die polnischen Soldaten aus dem Irak abziehen. Wie lange werden Ihre Truppen noch dort bleiben?

MARCINKIEWICZ: „Die polnischen Soldaten werden nicht länger im Irak sein, als dass es für die Stabilität des Landes notwendig ist. Unser Verteidigungsminister wird bald nach Washington reisen, um diese Frage mit der US-Regierung zu erörtern. Eine Entscheidung über den Abzug wird nicht vor der Wahl im Irak getroffen, und die ist Mitte Dezember.“

FRAGE: Hat sich der Irak-Einsatz für Polen wirtschaftlich gelohnt?

MARCINKIEWICZ: „Die Ehre der polnischen Soldaten ist nicht für Geld verkauft worden. Gleichzeitig muss ich aber sagen, dass eine stärkere wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den Ländern des Nahen Ostens für uns eine Sicherheitsfrage ist, weil wir nach alternativen Energiequellen für Öl und Gas suchen.“

FRAGE: Können Sie für Polen hundertprozentig ausschließen, dass die CIA hier Gefangene interniert hat?

MARCINKIEWICZ: „Ich weiß, dass es in Polen keine Geheimgefängnisse gibt.“

FRAGE: Wann wird in Polen der Abschusspunkt für das US-amerikanische Raketenschild gebaut?

MARCINKIEWICZ: „Das ist zunächst nur ein Vorschlag. Aber wir wollen die polnische Gesellschaft nicht vor vollendete Tatsachen stellen, daher haben wir das Thema öffentlich gemacht, weil unsere Bürger Zeit haben sollen, um sich diese Sachen zu überlegen. Es geht uns um die Loyalität innerhalb der NATO. Aus demselben Grund haben wir jetzt auch die Dokumente des ehemaligen Warschauer Paktes geöffnet.“

FRAGE: Ihr Parteivorsitzender Jaroslaw Kaczynski ist für die Todesstrafe, auch sein Bruder, der neue Präsident. Wird Ihre Regierung die Todesstrafe wieder einführen?

MARCINKIEWICZ: „Die Todesstrafe ist im heutigen Europa unmöglich. Deswegen werden wir andere Strafen verschärfen.“

FRAGE: Polen hat die höchste Arbeitslosigkeit in der EU; wie wollen sie das ändern und gleichzeitig den Haushalt konsolidieren?

MARCINKIEWICZ: „Das ist doch miteinander verbunden. Wir werden uns um die Haushaltsdisziplin kümmern und gehen für das nächste Jahr von einem Wirtschaftswachstum von fünf Prozent aus: Je mehr Wachstum, desto weniger Arbeitslose. Außerdem haben wir ein Potenzial wie kein anderes EU-Mitglied: Zehn Millionen Leute im Alter zwischen 18 und 30 Jahren, die sehr gut ausgebildet und erfolgshungrig sind.“

FRAGE: Ihren Wählern haben Sie einen starken Staat versprochen, aber die Wirtschaft fordert Deregulierung und Entbürokratisierung, wie bringen Sie diese Interessen zusammen?

MARCINKIEWICZ: „Auch das ist kein Widerspruch. Ich stimme Ihnen zu, dass die polnische Wirtschaft überreguliert ist. Wir haben aber ein Plan, der „kostengünstiger Staat“ heißt, und er bedeutet - weniger Bürokratie. Denn bei uns haben sich die Beamten bislang vor allem um ihre eigenen Belange gekümmert, nicht um die der Bürger.“

FRAGE: Der deutsche Botschafter in Warschau hat kürzlich gesagt, dass die scharfen Worte führender polnischer Politiker gegenüber Deutschland und der EU wie der Schuss eines Jägers auf ein scheues Reh gewirkt hätte; mit dem Reh meinte er wörtlich die ausländischen Investoren. Es wird daher in Deutschland erwartet , dass ihre Regierung den Merkel-Besuch nutzt, um für ein besseres Klima zu sorgen. Können Sie diesen Wunsch erfüllen?

MARCINKIEWICZ: „Polen ist offen für neue Investoren, und wir werden diesen Zustand noch verbessern. Unser Regierungsprogramm ist geradezu eine Einladung für Investoren, für polnische, für deutsche, für alle. Ich kann Ihnen versprechen, dass sie buchstäblich unsere Liebe spüren werden. Ich werde mich persönlich darum kümmern, dass sie sich in Polen wohl fühlen.“

FRAGE:… das hat sich aber anders angehört, als Ihre Regierung vorgeschlagen hat, die Filialnetze der großen internationalen Handelskonzerne zu begrenzen, etwa der deutschen Metro Gruppe oder der französischen Carrefour. Wollen Sie den Einzelhandel in Polen nationalisieren?

MARCINKIEWICZ: „Diese riesigen Supermärkte haben den Polen viel Gutes gebracht, vor allem günstige Preise. Aber für uns ist auch der kleine Einzelhandel bei der Stadtentwicklung sehr wichtig. Daher wollen wir uns um Gleichberechtigung im Handel kümmern. Auch in Deutschland und Frankreich gibt es Gesetze, die die Verkaufsfläche von Supermärkten in den Städten regulieren.“

FRAGE:… wollen Sie den Einzelhandel also nationalisieren?

MARCINKIEWICZ: „Das ist eine törichte Frage! Natürlich nicht.“

FRAGE: Wie wollen sie den Kampf gegen die Korruption gewinnen, die den Alltag der Polen, aber auch die Arbeit ausländischer Investoren lähmt?

MARCINKIEWICZ: „Ich habe schon gesagt, dass die polnische Wirtschaft überreguliert ist, und wir wollen diesen Ballast abwerfen. Vor allem die staatlichen Firmen haben einen schlechten Einfluss. Noch haben wir 2000 davon, wir werden aber nur 100 übrig lassen. Und bei der öffentlichen Auftragsvergabe werden wir mehr Transparenz durchsetzen. Ich habe bereits das Gefühl, dass die Korruption seit unserer Regierungsübernahme weniger wurde, weil die Leute Angst vor Repressionen haben.“

FRAGE: Leszek Balcerowicz, der Präsident Ihrer Nationalbank, sagt, dass nur ein schneller Euro das Wirtschaftswachstum vergrößert. Können sie ein Referendum über die Euro-Einführung 2010 garantieren?

MARCINKIEWICZ: „Zuerst wollen wir alle Kriterien des Maastricht-Vertrages erfüllen. Ich will zum Euro keinen Termin nennen. Denn zunächst benötigen wir alle möglichen Instrumente, auch die Geldpolitik, um die Wirtschaft anzukurbeln, und um den EU-Durchschnitt zu erreichen. Erst danach werden wir über die Euro- Einführung nachdenken.“

FRAGE: Werden Sie Angela Merkel auffordern, die eingeschränkte Arbeitnehmerfreizügigkeit für Polen in Deutschland zu lockern?

MARCINKIEWICZ: „Das Arbeitsverbot für Polen in Deutschland ist keine gute Lösung. Schauen Sie doch nach Groß-Britannien: Dort arbeiten tausende Polen; und sowohl Polen als auch Briten sind damit zufrieden. Die Polen haben sich dank dieser Politik in die englische Sprache verliebt. Und das nächste Land, das für polnische Arbeiternehmer seine Grenze öffnet, kann nur gewinnen.“

FRAGE: … und die Dienstleitungsrichtlinie?

MARCINKIEWICZ: „Wirtschaftliche Freiheit und Konkurrenz belebt die Wirtschaft. Und die Freiheit der Dienstleistungen wird bald auch für einzelne Deutsche in Polen sehr günstig sein.“

FRAGE: Das Verhältnis zwischen Russland und Polen ist momentan sehr angespannt. Könnte Deutschland in diesem Konflikt vermitteln, so wie Polen angeboten hat, beim deutsch-amerikanischen Verhältnis zu helfen?

MARCINKIEWICZ: „Das ist eine gute Idee. Besser wäre aber, wenn nicht nur Deutschland dabei hilft, sondern wenn wir eine gemeinsame europäische Russlandpolitik entwickeln. In der Außenpolitik ist ein gemeinsames Handeln der Union effektiver, weil dann nicht nur die Interessen einzelner Mitgliedsstaaten eine Rolle spielen. Dabei kann Deutschland sich ja stark einbringen, weil es das größte Land in Europa ist.“

FRAGE: Auch Weißrussland steht zwischen Moskau und Warschau, nicht nur geografisch. Werden sie bei den Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr die Opposition unterstützen, zum Beispiel Aleksander Milinkiewitsch, den polnisch-stämmigen Kandidaten?

MARCINKIEWICZ: „Es ist im Interesse der gesamten EU, in Weißrussland Freiheit und Demokratie zu fördern. Das ist vor allem eine sicherheitspolitische Frage. Es geht dabei nicht nur um die polnische Minderheit in Weißrussland, sondern um die Menschenrechte im Allgemeinen. Wir Polen kennen den Preis der Freiheit, und wir wissen, dass es sich lohnt, ihn zu zahlen.“

FRAGE: … werden Sie also den Präsidentschaftskandidaten Aleksander Milinkiewitsch unterstützen?

MARCINKIEWICZ: „Wir respektieren jede Entscheidungen des weißrussischen Volkes und werden Distanz halten. Aber wir geben die Hoffnung auf Freiheit und Demokratie in Weißrussland nicht auf.“

FRAGE: Zur neuen Ostpolitik Merkels soll auch gehören, dass Deutschland sich um die Menschenrechte in Weißrussland kümmert. Merken sie davon schon etwas?

MARCINKIEWICZ: „Ich denke, dass auch andere EU-Regierungen die Entwicklung der Demokratie in Weißrussland unterstützen sollten. Denn die EU ist nicht nur eine wirtschaftliche Gemeinschaft. Wenn wir uns nicht um die Menschenrechte kümmern, schadet das auch der Wirtschaft.“

FRAGE: Wann wird die Radiostation auf Sendung gehen, die von Polen aus Weißrussland mit frei zugänglichen Informationen versorgen soll?

MARCINKIEWICZ: „Als Regierung können wir so etwas nicht initiieren, wir können eine solche Initiative nur unterstützen. Aber während des Kommunismus haben wir selbst erfahren, wie wichtig der Zugang zu freien Information ist.“

--Ende--


Porträt:
Kazimierz Marcinkiewicz

Kazimierz Marcinkiewicz von der rechtskonservativen Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) ist seit 10. November polnischer Ministerpräsident. Er führt eine Minderheitsregierung an, die sich aber im Parlament auf die Stimmen der nationalistischen Liga polnischer Familien und der radikalen Bauernpartei Samoobrona stützen kann. Marcinkiewicz ist 45 Jahre alt und stammt aus dem westpolnischen Gorzow (Landsberg an der Warthe). Der gelernte Physiklehrer schloss sich 1983 der damals verbotenen Gewerkschaft „Solidarnosc“ an und stieg nach der Wende 1992/93 zum Vizeminister im Bildungsministerium auf. 1999/2000 war er Kanzleramtschef unter dem Ministerpräsidenten Jerzy Buzek. In der abgelaufenen Legislaturperiode profilierte er sich als Wirtschaftsexperte und leitete den Privatisierungsausschuss des Parlaments. Seine Wahl zum Ministerpräsidenten wurde möglich, nachdem der Parteichef der bei den Parlamentswahlen siegreichen Partei PiS, Jaroslaw Kaczynski, überraschend auf dieses Amt verzichtet hatte, um die Chancen seines Zwillingsbruders Lech bei den anschließend stattfindenden Präsidentenwahlen nicht zu gefährden.


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