Belarus

„Die Menschen haben von den Lügen die Nase voll“

Minsk (n-ost) – Vor genau einem Jahr begann die orange-farbene Revolution in der Ukraine. Weißrussland ist von einer vergleichbaren Situation noch weit entfernt. Immerhin hat sich ein „Kongress der Demokratischen Kräfte“ in Minsk, an dem im Oktober 800 Delegierte teilnahmen, auf Alexander Milinkewitsch als gemeinsamen Oppositionsführer geeinigt. Milinkewitsch will bei den weißrussischen Präsidentenwahlen im kommenden Jahr gegen Alexander Lukaschenko antreten und Belarus zu einer Demokratie westlichen Musters weiterentwickeln. Der 58-jährige Physikprofessor ist parteilos und entstammt der polnischen Minderheit des Landes. Er hat in den USA studiert und spricht Englisch und Französisch. International ist er dennoch wenig bekannt. Unsere Korrespondentin Tatjana Montik sprach mit Milinkewitsch darüber, wie er die Menschen davon überzeugen will, dass Weißrussland einen Politikwechsel braucht.

FRAGE: Herr Milinkewitsch, wie hat Ihre Familie auf ihre Wahl zum Oppositionsführer reagiert?

MILINKEWITSCH: Natürlich ist sich meine Familie im Klaren darüber, dass meine Position nun mit einer noch größeren Gefahr und mit noch größeren Risiken verbunden sein wird. Trotzdem freuen sie sich über meinen Erfolg. Sie haben mir zum Sieg gratuliert und dabei gesagt: „Pass auf dich auf!“

FRAGE: Was glauben Sie, welche Gefahren Ihnen als Kontrahent von Alexander Lukaschenko drohen?

MILINKEWITSCH: Es ist doch für niemanden ein Geheimnis, was in der weißrussischen Politik alles passieren kann, dass Menschen nicht nur verhaftet, sondern auch für ihre politischen Überzeugungen ins Gefängnis kommen können. Viele Gegner Lukaschenkos sind verschwunden und niemand weiß, was mit ihnen geschehen ist.

FRAGE: Wie wollen Sie um das Präsidentenamt kämpfen?

MILINKEWITSCH: Die Massenmedien werden mich auf Druck Lukaschenkos boykottieren. Mein Team und ich werden zum Beispiel überhaupt nicht im Fernsehen zu sehen sein. Das wissen wir. Deswegen kann man uns weißrussischen Oppositionellen keine Vorwürfe machen, dass sie bei der Bevölkerung wenig bekannt sind. Denn gerade das Fernsehen macht einen Menschen bekannt, und in unserem Fernsehen ist nur ein Politiker zu sehen: Alexander Lukaschenko. Der Wahlkampf wird sehr schwer werden.

FRAGE: Wie wollen Sie sich dann bei der Informationsblockade durchsetzen?

MILINKEWITSCH: Den ersten Schritt in diese Richtung haben mein Team und ich schon gemacht. Es ist richtig, dass sich die weißrussische Opposition geeinigt und mich als gemeinsamen Kandidaten aufgestellt hat. Nur gemeinsam sind wir stark und haben eine Chance. Sicherlich wird das Wichtigste in meinem Wahlkampf sein, von Tür zu Tür zu gehen, um mit den Menschen zu sprechen und mich bekannt zu machen.

FRAGE: Eines der größten Probleme der weißrussischen Problem war ihre Zerstrittenheit, die es Lukaschenko einfach gemacht hat. Wie sind Ihre Beziehungen zu Anatolij Lebedko, dem Chef der Vereinigten Bürgerpartei, von dem viele gedacht haben, er werde der Kandidat der Opposition sein?

MILINKEWITSCH: Ich als Parteiloser berate jetzt mit Anatolij Lebedko gemeinsam, wie wir die Koalition in der neuen Form aufrechterhalten und stärken können. Wir sind keine Konkurrenten mehr.

FRAGE: Die Menschen im Land kennen Sie kaum. Wird es Ihnen gelingen, sich als Alternative zum jetzigen Präsidenten zu etablieren?

MILINKEWITSCH: Ja, das wird mir gelingen. Im Land gibt es eine starke Proteststimmung. Ungefähr 50 bis 70 Prozent der Menschen wollen Veränderungen. Es gibt also Chancen für die Opposition, nur stehen uns zu wenige Mittel im Wahlkampf zur Verfügung.

FRAGE: Haben Sie vor, mit Leuten aus der Präsidentenadministration zusammenzuarbeiten?

MILINKEWITSCH: Es wird viel darüber geredet, dass es in der Nomenklatura Menschen gibt, die der jetzigen Situation kritisch gegenüberstehen. Ja, die Nomenklatura kann zweifelsohne eine bestimmte Rolle spielen, aber sie wird nur dann mit uns zusammenarbeiten, wenn wir eine ernst zu nehmende Alternative zur bestehenden Macht bieten. Zu Beginn des Wahlkampfes wird wohl keiner von Lukaschenkos Mannschaft das tun. Sie werden einfach Angst haben, ob es sich lohnt, ihre Posten zu riskieren.

FRAGE: Haben Sie vor, bei Ihrem Wahlkampf auf die Erfahrungen der Revolution in der Ukraine zurückzugreifen? Werden Sie sich zum Beispiel von ukrainischen Politikern und Politologen beraten lassen, die viele Erfahrungen beim Organisieren des Wahlkampfes gesammelt haben?

MILINKEWITSCH: Ja, das werden wir tun. Das ist für uns sehr wichtig, denn sie verstehen die Situation besser als westliche Experten. Wir stehen einander näher, wir haben die gleiche kommunistische Vergangenheit. Aber andererseits muss man sagen, dass die Situation in Weißrussland für eine Revolution viel ungünstiger ist, als sie damals in der Ukraine war.

FRAGE: Wo liegt der Unterschied zwischen Weißrussland und der Ukraine?

MILINKEWITSCH: Erstens haben wir keinen einzigen oppositionellen Fernsehkanal, sie alle sind bei uns absolut der Macht unterstellt. Hinzu kommt, dass wir keine Selbstverwaltung haben und dass alle Bürgermeister bis hin zu den Kolchosleitern von Lukaschenko ernannt wurden. Die Macht ruiniert die private Wirtschaft. Der Staat wird somit zum einzigen Arbeitgeber. Die Menschen sind abhängig von Lukaschenko.

FRAGE: Welche Methoden Lukaschenkos könnten Sie auch in Ihrem Wahlkampf verwenden?

MILINKEWITSCH: In Lukaschenkos Methoden kann ich nichts für mich finden. Er ist ein begabter Populist und belügt ständig die Wähler. Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit sind das, was unsere Menschen jetzt brauchen. Sie haben von den Lügen die Nase voll.

FRAGE: Mit welcher Hilfe aus dem Ausland rechnen Sie?

MILINKEWITSCH: Wir brauchen Hilfe sowohl vom Westen als auch von der Ukraine, von Russland, von Polen und von Litauen. Solidarität ist wichtig in unserem Kampf.

FRAGE: Wie schätzen Sie den Beschluss der Deutschen Welle ein, Programme für Weißrussland zu machen?

MILINKEWITSCH: Die wenigen Sendungen, die ich seit dem Sendestart am 3. Oktober gehört habe, , haben mir gut gefallen, vor allem dank der Qualität der Informationen. Das Wichtigste ist nur, dass für diesen Sender weißrussische Journalisten arbeiten. Denn diese kennen sich besser in der Situation in ihrem Land aus.

Ende

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Angaben zur Autorin:
Name der Autorin: Tatjana Montik
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