Usbekistan

Intershop in der Steppe

Abends um halb zehn landet ein grauer Airbus auf dem Flughafen von Termez. Die Scheinwerfer der Maschine tauchen die Rollbahn in gleißendes Licht. Für den Provinzflughafen im Süden Usbekistans ist die Ankunft der Riesen-Maschine aus Köln ein Ereignis. Am Rand des Flughafens erinnern ein paar altersschwache Antonow-Doppeldecker an die Zeiten als Termez noch Provinz und Außengrenze der Sowjetunion war. Die Rollbahn besteht aus einfachen Betonplatten. Doch sie entsprechen den Sicherheitsanforderungen der Bundeswehr. Der militärische Teil, den die Bundeswehr kontrolliert, ist ständig in Bewegung. Deutsche CH 53-Hubschrauber starten zu Flügen in die nordafghanischen Städte Kunduz und Mazari Sharif. Eine schwedische Hercules versorgt eine kleine schwedische Einheit, die ebenfalls in Termez stationiert ist.

Termez ist von der Sicherheitslage her ein „idealer Standort“, meint der Leiter des Stützpunktes, Oberst Jörg Lebert. In Südusbekistan gibt es keine radikalen Islamisten und die Bevölkerung verhalte sich ruhig, so der 45-Jährige, dessen Familie in Bonn lebt. Natürlich sei es „schwierig“ in einem Land ohne Pressefreiheit zu operieren. Zu der 2002 errichteten Nachschubbasis mit ihren jetzt 300 deutschen Soldaten gäbe es jedoch keine Alternative. Als Ersatz zu Termez käme nur ein Flugplatz in Nordafghanistan in Frage. Den aber technisch und logistisch entsprechend herzurichten, sei „äußerst schwierig“.

In Berlin hat man sich über eine mögliche Verlegung des Nachschubstützpunkts ernste Gedanken gemacht. Die EU hatte Sanktionen gegen Usbekistan beschlossen. Der Grund: Im ostusbekischen Andischan waren im Mai Hunderte protestierende Menschen von Sicherheitskräften erschossen worden. Die westlichen Staaten forderten von Taschkent die Einrichtung einer unabhängigen Untersuchungskommission. Doch die usbekische Führung wies diese Forderung als Einmischung in die inneren Angelegenheiten zurück. „Gott sei Dank“ habe es bisher keine „negativen Reaktionen“ auf die Sanktionen der EU gegeben, meint Oberst Lebert. Eine Störung der für Afghanistan übernommenen militärischen und zivilen Verpflichtungen will Berlin auf keinen Fall riskieren. Den Dialog mit Taschkent will man trotz der Sanktionen aufrechterhalten. Dass in Usbekistan auf Zivilisten geschossen wurde, lässt die Soldaten nicht kalt. Alternativen sehen sie jedoch nicht. „Ich weiß, das dass hier ein Polizeistaat ist“, meint ein Soldat aus Koblenz. „Aber das ist halt so. Es wird halt benötigt. Und dafür zahlen wir ja nicht wenig Geld.“

In Termez wird rund um die Uhr gearbeitet. Besonders Belastete, wie die Wartungs-Soldaten oder Nachrichten-Spezialisten sind nicht länger als zwei Monate im Einsatz. Im Nachrichten und Sicherheits-Bereich wird in 24-Stunden-Schichten gearbeitet. Ein älterer Soldat, der die Berichte über die Sicherheitslage im Luftraum über Afghanistan zusammenstellt, berichtet: „Vorletzte Nacht habe ich nur zweieinhalb Stunden geschlafen. Die letzten Dateien kommen um halb neun Uhr abends rein.“ Dann müssen die Daten ausgewertet und ins Kartenwerk umgesetzt werden. „Vor ein Uhr kommt man nicht in den Schlaf-Container. Um vier Uhr klingelt schon wieder der Wecker, weil um 4:30 das erste Briefing ist.“ Doch es bleibt noch Zeit zum Ausschlafen. Alle zwei Tage ist schichtfrei.

Dienstag- und Freitagabend landet in Termez der Bundeswehr-Airbus aus Köln. Dann beginnt eine gigantische Umladeaktion. 150 Passagiere – Soldaten des deutschen Afghanistan-Kontingents und Soldaten anderer Staaten - werden in die Willkommens-Zone gebracht. Gepäck, Feldpost, Lebensmittel, Sanitätsmaterial, Munition und militärische Ausrüstung wird abgeladen. Das Gepäck der Soldaten wird von jungen Soldaten und Soldatinnen zum Weiterflug mit der Transall nach Afghanistan auf einzelne Paletten verteilt. Nach einer kurzen Stärkung werden Decken verteilt und die Neuankömmlinge gehen in die Zelte zum Schlafen. Am nächsten Morgen geht es weiter mit Transall-Maschinen nach Kabul oder Kunduz.

Ein junger Soldat berichtet: „Wir haben immer voll zu tun. 15 Stunden ist Standard. Es geht von sieben Uhr morgens bis abends um zehn. Es ist erst Schluss, wenn alle Maschinen flugbereit sind.“ In Termez ist alles anders als in Deutschland. „Zuhause ist jeder für seinen Bereich zuständig. Hier drehen alle an einem Rad.“

Spätabends hocken die Soldaten zusammen und entspannen. Über der Steppe weht ein warmer Wind. Man raucht und trinkt ein Glas Rotwein. Über dem Platz leuchten die Sterne. Es ist still. Nur die Kühlcontainer und Generatoren brummen vor sich hin. Hauptfeldwebel Plaster hat sich schon das zweite Mal freiwillig für Termez gemeldet. „Ich wollte mitreden können.“ Normalerweise dient Plaster als Computerspezialist im Lufttransportgeschwader 62 in Wunsdorf bei Hannover. Er war auch schon mal acht Monate in Namibia. Plaster reizen Auslandseinsätze, weil es da einen besonderen Kameradschaftsgeist gebe. Der 45-Jährige aus Mecklenburg hat früher bei der NVA gedient. Zuhause warten eine Frau und zwei erwachsene Kinder. Familiengefühle gibt es aber auch in Termez. Man halte hier eng zusammen. „Das ist besonders wichtig, wenn es Tote gibt, wenn aus der Transall auf einmal ein Sarg getragen wird.“ In solchen Momenten kümmert man sich umeinander, beruhigt Kameraden, spricht ein paar tröstende Worte. Während Plaster erzählt, röten sich seine Augen und seine Lippen zucken. Termez ist nur Hinterland. Aber der Tod ist manchmal ganz nah.

Der deutsche Stützpunkt besteht vor allem aus Containern. Einige sind vollgestopft mit hochempfindlicher Nachrichtentechnik. Dann gibt es noch Sani-Container, in denen Verletzte behandelt werden. Doch meistens liegen hier Soldaten mit Infektionskrankheiten. Schließlich sind da noch die Wohncontainer für die Soldaten im Bereitschaftsdienst. Der Großteil der Soldaten wohnt in einfachen Hotels in der Stadt. An manchen Ecken wirkt der Stützpunkt wie ein deutsches Dorf. An dem gelben Postcontainer hängt ein echter Briefkasten der Post. In einem zünftigen Holzhäuschen ist die Feldwäscherei untergebracht und vor dem Sitz des Stabes haben sich die einzelnen Bundesländer mit kleinen Bäumchen verewigt. Es mangelt nicht an Kuriositäten. Neben der Gepäckverteilung gibt es ein Art „DDR-Intershop“. Hier gibt es Schokolade, Zigaretten und Alkohol. Mehr als zwei Flaschen Bier am Tag, sind jedoch nicht erlaubt. Die privaten Ruhezonen zwischen den Containern haben sich die Soldaten mit ganz persönlichen Warnschildern „abgesichert“.

Kleine Freiheiten sind bei dem anstrengenden Job besonders wichtig, erklärt Presseoffizier Petersen. So dürfen die Soldaten die Namensschilder auf ihren Wüstentarnanzügen persönlich gestalten. Man liest „Super-Micha“, „Susi“, oder einfach nur „Tom“. In dem gelben Post-Container arbeitet ein Briefträger aus Berlin-Moabit. Er ist froh über die Abwechslung, denn die Arbeitsbedingungen in Berlin seien zurzeit schwierig. Die „Feldpost“ bietet fast alle Leistungen eines normalen deutschen Postamtes, vom Einschreiben, der Postbank-Einzahlung bis zum Verschicken eines Pakets. Der Post-Soldat aus Moabit kann nicht klagen. Sein Gehalt bei der Post bekommt er weiter gezahlt. Außerdem bekommt er seinen Wehrsold und zusätzlich noch eine Auslandsverwendungsvergütung von 52 Euro am Tag. „Das ist ein angenehmes Zubrot. Und man macht was Sinnvolles.“

Die größte Belastung für die Soldaten ist jedoch nicht die harte Arbeit sondern das Leben fern von der Familie. Bis nach Deutschland sind es 5.300 Kilometer. Die Rückkehrer brauchen immer ein paar Tage um sich wieder zurechtzufinden.

Der Bonner Offizier Jörg Lebert hofft, dass der Stützpunkt in Usbekistan erhalten bleibt. „Mittelfristig müssen wir dazu kommen, dass die Afghanen in der Lage sind, ihre Sicherheit selbst zu gewährleisten,“ meint Lebert. Aber bis es soweit sei, werde noch viel Zeit vergehen. „Ich denke, wir werden hier noch die nächsten fünf bis zehn Jahre als Bundeswehr im ISAF-Auftrag bleiben.“


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