Polen

Die Liebe einer Agentin

POSEN (n-ost) - Frauen sind so. Sentimental und in der Liebe närrisch. Deshalb hat sie den Brief nicht vernichtet, hat ihn den ganzen Krieg hindurch mit sich herumgetragen. Hätte man ihn bei ihr gefunden: Es wäre wohl ihr Tod gewesen. Und der des Geliebten auch.
Klementyna Gräfin Mankowska, polnische Adelige und Agentin des polnischen Widerstands, liebte Graf Edwin von Rothkirch, General der deutschen Wehrmacht und im Krieg zeitweiliger Oberkommandeur des Bezirks Lemberg.

Pfui, hätte man gesagt und ihren Ruf und den ihrer Familie durch den Dreck gezogen. Und Edwin wäre erschossen worden. Ein grausig-schmutziges Ende für eine kleine platonische Kriegsliebe. Um ihn und sich zu schützen, hat sie geschwiegen. Bis zu jenem Tag, an dem sie als alte Frau ihre Memoiren unter dem Titel „Odyssee einer Agentin“ schrieb und ihre nähere Umgebung von jenem Mann erfuhr, den sie die Liebe ihres Lebens nennt.

Männer sind so. Auch im Liebesrausch noch umsichtig, stets im Dienst. Keine Namen. Auch nicht auf der Karte, die in dem Rosenstrauß steckte, den er ihr auf ihr Zimmer stellen ließ, im Hotel, in dem sie vielleicht eine Liebesnacht geplant hatten, zu der es nicht mehr kam. „Auf Wiedersehen und viel Glück“, sie würde schon wissen, wer ihr das wünschte. Den Brief überreichte ihr sein Chauffeur, der sie an seiner statt vom Bahnhof abholte. Und darauf nur das Datum. „16. November 1941, Ich bin nach Berlin beordert worden und muß heute abend nach Deutschland fliegen. Das Übel, das sich ankündigte, ist eingetroffen. SS und Gestapo haben in der Provinz von Lemberg die Macht übernommen. Die Terrorherrschaft wird beginnen. Man wirft uns vor, zu nachsichtig gewesen zu sein. . . . Ich bitte Sie, umgehend nach Frankreich zurückzukehren. Ich werde warten, daß sich unsere Wege ein drittes Mal kreuzen. Ich träume davon . . . Von ganzem Herzen mit Ihnen für immer Ihr E.R“.
Als Postscriptum: „Vernichten Sie diesen Brief sofort nach dem Lesen!“

Eine schöne, heldenhafte Liebe! Sie, die polnische Agentin, reitet wie der Teufel, hat blonde lange Zöpfe, eine Amazonenfigur und eine schlagfertige Art. Frohgemut schmuggelt sie Botschaften für den in London sitzenden polnischen Widerstand, spioniert die Deutschen aus, schleicht sich durch die Frontlinien. Dabei bleibt sie elegant, damenhaft, witzig und stets Herrin der Situation.

Er ist Witwer, ein kunstfertiger Reiter und von den Nazis geschätzter General, führt die deutschen Truppen durch Polen, übernimmt Lemberg und ist seinen Untergebenen ein anständiger Vorgesetzter. Nicht antisemitisch, nicht aktiv jedenfalls, nicht gewalttätig, allerhöchstens aus Notwendigkeit. Ein Offizier vom Scheitel bis zur Reitstiefelsohle. Es gibt nichts Schlechtes, was man über ihn sagen könnte, höchstens, dass er in einer politisch schlimmen Zeit so unpolitisch war und das Vaterland samt seinen Bewohnern lieber aufrecht in den Abgrund geführt hätte, als sich geduckt zu verpieseln.

Zum ersten Mal treffen sie sich auf dem Gut der Mankowskis in Winnogora bei Posen. Edwin kommt mit der deutschen Wehrmacht, die ist noch sehr zahm und bittet höflich um die Übergabe der Hälfte der Räume. In den anderen Zimmern dürfen Klementyna, ihr Ehemann Adam und ihre beiden Söhne weiter logieren. Man ist sich wohlgesonnen, so von Adel zu Adel. Bei Tisch und gemeinsamen Ausritten führt man kluge Gespräche, auch gemeinsame Pferdeliebe verbindet. Das zweite Treffen findet in Lemberg statt, Klementyna will ihre kranke Mutter unerlaubt besuchen. Rothkirch, den sie zufällig in seinem Büro trifft, stattet sie mit falschen Empfehlungsschreiben aus, muss dann aber plötzlich nach Berlin. Ende der Affäre.

So wäre es gewesen, hätte Klementyna die Liaison im Alter nicht ans Licht gezerrt und ein ebensolches geworfen auf die Verklemmungen und Wunden der deutsch-polnischen Beziehungen. Ein Wehrmachtsgeneral und eine polnische Agentin?

Natürlich wäre es schön, im dem General keinen hormonverwirrten Kerl, sondern einen heimlichen Hitlerfeind zu sehen, der den polnischen Widerstand unterstützte, in dem er dessen schönste Vertreterin, Klementyna, warnte. Zudem intervenierte, als diese später in Frankreich kurz vor der Verhaftung stand, und ihr das Leben rettete. Leider ist all dies nur durch die Gräfin verbürgt, und was soll man von einem Buch halten, in dem die Besetzung Polens und all die Folgen sich wie die bloße Rahmenhandlung für Klementynas Heldenmut ausnehmen?

Warum denn nicht? sagt Leopold Graf Rothkirch, Edwins einziger Sohn. Sein Vater sei schließlich ein gut aussehender charmanter Mann gewesen, die Beziehungen zwischen dem deutschen und dem polnischen Adel stets hervorragend. Die Gräfin habe in seinem Vater ganz sicher keinen Feind gesehen, schließlich habe sich dieser doch wie ein Gentleman benommen. Leopolds Mutter starb früh an einer Blutvergiftung, der General zog das Kind groß, wenn ihm die Schlachten an der Ost- und später an der Westfront dazu Zeit ließen. Zog ihn groß, wie es ein Mann in solchen Zeiten eben konnte. Gradlinig, konsequent, freundlich streng und ohne Zärtlichkeit. Man war unpolitisch, sagt Leopold Graf Rothkirch heute über die militärisch-preußische Adelskaste, der er angehörte. Man mochte Hitler nicht und die schlechten Manieren der Nazis auch nicht. Aber man stand loyal zum Vaterland. Man war wieder wer, das fand man gut. Und man hatte nichts gegen die Polen, im Gegenteil. Ein schönes Wort, dieses „man“. Viele Kellerleichen lassen sich dahinter verstecken.
Selbstredend, dass der Vater dem Sprössling gegenüber die Gräfin nie erwähnte und „Poldi“ erst davon erfuhr, als er abgeklärt genug war, alles mit Amüsement zu nehmen. Dieser Schlawiner, sein Vater. Nur das mit dem Brief hat den Sohn erschreckt. Fast habe ihm das Herz still gestanden, als er die Gräfin vor Jahren besuchte und sie „mit einem Griff“ den Brief aus einer Schatulle zog. „Wenn der gefunden worden wäre, Gott oh Gott!“
Damals habe er übrigens auch den Sohn der Gräfin kennen gelernt, der sei ihm aus dem Weg gegangen. „Dem war die Geschichte offenbar peinlich, er wollte mich nicht kennen lernen.“

Den jungen Rothkirch, nein, den kenne er gar nicht, sagt Klementynas Sohn Christoph Mankowski, auf dessen eleganter Büttenpapiervisitenkarte kein gräflicher Titel verzeichnet ist. Eine Bescheidenheit, die gut zu seiner distinguierten Art passt, die er sich in langen Lebensjahren in England und Frankreich angeeignet hat. Mankowski lebt erst seit einigen Jahren wieder in Posen. Winnogora, das elterliche Schloss, hat er zurückgekauft. Unterhalten kann er es nicht, weshalb es an einen Hersteller von Toilettenbecken verpachtet wurde.

Mankowski erachtet die Liebesbekenntnisse seiner Mutter für wenig glaubwürdig. Ja, Rothkirch sei nach Winnogora gekommen, seine Mutter sei vielleicht sogar mit ihm ausgeritten. Sie sei eine begnadete Schauspielerin gewesen, eine Frau voller Temperament und Fantasie. Letzteres sei ihr beim Verfassen ihrer Autobiografie wohl durchgegangen. Gelogen sei die Geschichte mit dem General nicht. Nur ein wenig „Vom Winde verweht“, mit dieser scarlettschen Tragik behaftet worden. „Man“, sagt auch der Graf - und meint alle, die auf die romantischen Fantasien seiner Mutter hereinfallen -, man müsse bedenken, Klementyna sei damals eigentlich mit einem Mann verheiratet gewesen, der sich nur für seine Studien interessierte. Seine Mutter sei emotional sicherlich verhungert, da könnten die Wünsche schon mal die Wirklichkeit überdecken.

Die ganze Geschichte ist sowieso nur in der deutschen Ausgabe der „Odyssee einer Agentin“ zu lesen. In der polnischen kommt Rothkirch gar nicht vor. Wie viel Wirklichkeit und wie viel Dichtung in den Memoiren steckt, wird man nicht mehr erfahren. Der letzte Brief, sicher bewahrt, blieb zum Glück ohne Konsequenzen, Rothkirch genoss die Wertschätzung seiner Vorgesetzten bis zum letzten Kriegstag. Ob die beiden nach dem Krieg nacheinander suchten? Vielleicht taten sie es, und die Umstände waren gegen sie. Vielleicht ließen sie die Vergangenheit ruhen, weil es nichts gab, was sie wirklich aneinander verloren.

*** Ende ***


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