Polen

Die graue Eminenz des neuen Polen

POLEN: Neue Regierung abhängig von Rechtspopulist Andzrej Lepper (n-ost)

Die neue polnische Minderheitsregierung baut auf die Unterstützung von rechts. Nachdem die nationalen Parteien Premierminister Kazimierz Marcinkiewicz im Parlament das Vertrauen ausgesprochen haben, muss der nun mit den Geistern, die er rief, auch seine Regierungspolitik gestalten: Mit dem Rechtspopulisten Andrzej Lepper und mit der in Teilen rechtsradikalen „Liga der polnischen Familien“. n-ost Korrespondent Olaf Sundermeyer berichtet aus Warschau über den zementierten Rechtsruck.

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Mit freundlichen Grüßen

Matthias Echterhagen, n-ost-Büro Berlin

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WARSCHAU (n-ost). Am Tag, nachdem die Nationalen zum Regierungspartner wurden, weht auf dem Balkon von Jacek Wróblewski in der Warschauer Ulica Nowolipki schon früh die rot-weiße Fahne. Mit einer deutlichen Mehrheit wurde die neue Minderheitsregierung von Premierminister Kazimierz Marcinkiewicz (PiS, „Recht und Gerechtigkeit“) nach neunstündiger Debatte bestätigt. Alle national gesinnten Abgeordneten im Parlament stimmten für sie, außerdem die beiden Abgeordneten der deutschen Minderheit, die dafür schon mal vorab einen Stellvertreterposten in der Bezirksregierung von Opole (Oppeln) bekamen. Die Schwesterpartei der deutschen CDU, die Bürgerplattform (PO) als zweitstärkste Fraktion, und die abgewählten Sozialdemokraten stimmten gegen die Regierung, Enthaltungen gab es keine. Polen ist politisch gespalten, wenn auch die Fahne auf Wróblewskis Balkon für die Einheit der Nation steht. Schließlich ist Polnischer Unabhängigkeitstag. „Das Abstimmungsergebnis kenne ich noch gar nicht“, sagt der Nachbar, der heute frei hat und im Morgenmantel das rot-weiße Banner im Qualm seiner Kippe aufgehen lässt. „Zeitungen gibt es heute ja nicht“.

Und wenn es sie gäbe, dann würden sie alle wohl das stets sonnenbankgebräunte Gesicht des Rechtspopulisten Andrzej Lepper auf den Titelseiten zeigen. Für die Zeitungen war er schon vor der Abstimmung die graue Eminenz der so genannten IV. Republik, die mit dem Machtwechsel zu Gunsten des konservativen Lagers in diesem Herbst eingeleitet wurde. Ohne Leppers Wähler hätte der Warschauer PiS-Bürgermeisters Lech Kaczynski nicht die Präsidentschaftswahl für sich entscheiden können, und nun hängen von seiner Gunst auch der Premierminister und seine Minderheitsregierung ab. Denn die ist auf die Stimmen von Leppers rechtspopulistischer Bauernpartei Samoobrona (Selbstverteidigung) angewiesen, der drittstärksten Fraktion, weil sie im Sejm keine eigene Mehrheit hat. Und auf die Unterstützung der nationalkonservativ-klerikalen „Liga der polnischen Familien“ (LPR), die in weiten Teilen ihrer Anhängerschaft rechtsradikal ist: Immer wieder tauchen in den polnischen Medien Fotos von örtlichen Parteiversammlungen und anderen Zusammenkünften auf, bei denen Mitglieder den rechten Arm zum Hitlergruss strecken. Abgeordnete der LPR fordern öffentlich „Umerziehungslager für Homosexuelle“, und der Parteivorsitzende Roman Giertych sieht in der EU-Mitgliedschaft eine „Untertanenschaft gegenüber Brüssel, so wie wir ehemals Untertanen Moskaus waren“.

Premier Kazimierz Marcinkiewicz kündigte währenddessen Antworten auf die „generellen Probleme“ seines Landes an - sein neues Regierungsprogramm wird er nicht ohne die Samoobrona und LPR durch bekommen. Die höchste Arbeitslosigkeit in der EU (18 Prozent) will seine Regierung mit aktiven Qualifizierungsprogrammen, einer „solidarischen Wirtschaftspolitik“, bekämpfen. In der Gesundheitspolitik will die Regierung trennen zwischen „öffentlichen und privaten Aufgaben“. Außerdem soll Englisch zum Pflichtfach ab der ersten Klasse werden. Der Kampf gegen Korruption und das organisierte Verbrechen soll durch eine zügige Gerichtsbarkeit verbessert werden; die ursprünglich von der PiS geforderte Todesstrafe taucht im Regierungsprogramm nicht auf. Sie gehört allerdings zu den zentralen Forderungen von Andrzej Lepper und Roman Giertych. Und schließlich soll Polen eine wichtigere Rolle in EU und NATO spielen. „Allerdings sollten die europäischen nicht mit den transatlantischen Beziehungen konkurrieren – sie sollten harmonieren“, sagte der Premierminister, ohne das Wort „Irak“ zu zitieren.

Den raschen Abzug der polnischen Truppen aus dem Irak fordert indes Andrzej Lepper, dem das Regierungsprogramm „nicht konkret“ genug ist: „Das hört sich ja alles ganz hübsch an. Aber nun werden wir mal sehen, was diese Regierung daraus macht“. Der PO-Vorsitzende Donald Tusk sieht in dem Programm keine Lösungen für die wirtschaftlichen Probleme: „Das Regierungsprogramm sollte etwas darüber sagen, wie der Premierminister seine Wahlkampfversprechen einlöst, stattdessen kommt er mit den nächsten Versprechungen“. Polen wartet auf einen Wachstumsschub, nachdem sich das Wirtschaftswachstum binnen eines Jahres mehr als halbiert hat, auf 2,3 Prozent. "Ich weiß nicht, wie die Regierung einerseits 30 Mrd. Zloty Haushaltsdefizit abbauen, und andererseits die angekündigten Sozialausgaben bestreiten will", sagte Lars Bosse, Hauptgeschäftsführer der deutsch-polnischen Handelskammer, in einer ersten Reaktion. Auch warnte er vor den „zusätzlichen politischen Kräften“, die nun eine Rolle spielten. Zum Beispiel am Unabhängigkeitstag und anderen Sonn- und Feiertagen, an denen auf Wunsch der „Liga der polnischen Familien“ künftig alle Geschäfte geschlossen bleiben sollen - die ersten Regierungspolitiker haben sich der Forderung schon angeschlossen. Ob Nachbar Jacek Wróblewski den Tag heute zum Einkaufen nutzt? „Solang das noch geht, warum nicht?“

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