Polen

Die vergessene Heldin

Danzig (n-ost) – Es ist kurz nach 9 Uhr morgens. Hinter der riesigen, aschegrauen Werfthalle K–3, in der früher Schiffsrümpfe anfertigt wurden, sitzen ein paar Arbeiter in schmutzigen Werkanzügen auf Metallteilen herum und kauen ihre Frühstücksbrote. Umstellt sind sie von einem Ballett riesiger Werftkräne. Was wie ein gewöhnlicher Arbeitstag auf der Danziger Werft aussieht, ist in Wahrheit eine gestellte Filmszene. Normalerweise ist schon seit Jahren auf diesem Teil des Werftgeländes nichts mehr los. Die Arbeiter sind professionelle Schauspieler.

„Heute wurde die erste Szene gedreht“, verrät Michal Czesek, der sich auf dem Set in Danzig um die Kulissen kümmert. „Das belegte Brot, das die Werftarbeiter gegessen haben, wurde extra in historische Zeitungsblätter und graues Papier eingewinkelt“, erzählt Czesek. Rund 70 Leute sind am ersten Tag der Dreharbeiten am Set. Ihr Chef heißt Volker Schlöndorff.

Der deutsche Regisseur ist in Danzig bestens bekannt. Ende der 70er Jahre drehte er hier den Film „Die Blechtrommel“ nach dem Roman von Günter Grass, der als erster deutscher Film nach dem Zweiten Weltkrieg mit einem Oscar ausgezeichnet wurde. Eine der Hauptrollen spielte damals die junge Katharina Thalbach. Auch diesmal ist die gebürtige Berlinerin als Hauptdarstellerin mit von der Partie. Sie spielt Anna Walentynowicz, eine Kranführerin auf der ehemaligen Lenin Werft. „Eine vergessene Heldin“ – so lautet der Arbeitstitel des neuen Schlöndorff-Films. Er ist ein Tribut an die Frau, die sich als Betriebsrätin für bessere Arbeitsbedingungen einsetzte. Ihre Suspendierung durch die Werftleitung wurde zum Auslöser für die Streikwelle 1980. Anstatt die Leitung der entstehenden Gewerkschaft Solidarnosc zu übernehmen, verzichtete die bescheidene Frau zugunsten von Lech Walesa und geriet in Vergessenheit. Die wirkliche, heute 76-jährige Anna Walentynowicz, wohnt immer noch in Danzig. Wegen ihres schlechten Gesundheitszustandes gibt sie inzwischen aber keine Interviews mehr. Zuletzt warf sie anlässlich des 25. Jahrestags der Streikbewegung Walesa vor, er habe damals die Interessen der Streikenden verraten und mit dem polnischen Geheimdienst SB zusammengearbeitet.

Die Einzelheiten des Drehbuchs will auf dem Set niemand verraten. Immerhin kommen von Bogdan Oleszek, dem Direktor der Danziger Werft, einige Hinweise: „Die Techniker wollten, dass wir einen Miniaturkran für die Hauptdarstellerin konstruieren“. Die auf dem Gelände vorhandenen Kräne seien aber von den Filmtechnikern abgelehnt worden. Grund sei die Höhenangst von Hauptdarstellerin Thalbach. „Wenn es höher wird, hat sie Angst und kann nicht mehr spielen“, sei ihm gesagt worden, so Oleszek.

Der Werftchef ist Dreharbeiten auf seinem Gelände gewohnt. Zuletzt wurde hier für den Grass-Roman „Unkenrufe – Zeit der Versöhnung“ gefilmt, der gerade in den deutschen Kinos gezeigt wurde. Zudem entstanden zum 25. Geburtstag der „Solidarnosc“ im August eine Reihe von Dokumentarfilmen auf dem Gelände. Deshalb hängt immer mal wieder die alte Aufschrift „Lenin Werft“ über dem historischen Werfttor Nummer zwei. „Alle suchen immer nach der Büste Lenins. Und ich weiß ganz genau, die Werftarbeiter haben die in ihrer Wut einmal kaputtgemacht“, erzählt Oleszek.

Einige der Werftarbeiter arbeiten auf dem Set zu Schlöndorffs Film als Statisten. „Ich musste nur im Stehen den Helm ausziehen. So. Das alles hat nur ein paar Minuten gedauert“, sagt Andrzej. Für diese Arbeit bekommt er pro Tag 60 Zloty, umgerechnet 15 Euro.
Für die Kostüme ist Ewa Krauze zuständig, die erst im September 2005 in Gdynia für ihre Arbeit prämiert wurde. Für die „Heldin“ musste sie gleich einige Tausend Kostüme entwerfen. „Das meiste sind Uniformen für die Werftarbeiter, außerdem normale Kleidung für jede Jahreszeit“, erzählt Krauze. Die Kostüme sollen den Zeitraum 1960 bis 1980 in Polen wiederspiegeln. „Ich habe nach originellen Mustern aus kommunistischer Zeit gesucht“. Viel „Spielraum“ habe sie aber nicht gehabt, erzählt die Schneiderin. „Man weißt ja, im kommunistischen Polen war alles grau und gleichförmig. Man hat sich nur alle zehn Jahre einen Mantel geholt.

Das Drehbuch für den Schlöndorff-Film stammt von Andreas Pflüger. Finanzielle Unterstützung kam vom Medienboard Berlin- Brandenburg und vom Film- und Fernsehfonds (FFF) Bayern. Alle größeren Rollen neben Katharina Thalbach wurden mit polnischen Schauspielern besetzt, darunter sind die in Polen sehr bekannten Andrzej Chyra und Wojciech Pszoniak. Hinter der Kamera steht der Deutsche Andreas Höfer. „Das ist kein Film über Solidarnosc. Die historischen Ereignisse sind nur der Hintergrund“, erzählt der Kameramann. „Es geht darum, wie eine Person, die eigentlich nichts besonders plant, nur ihren Ideen treu ist, den Lauf der Geschichte verändert. Weil diese Frau ruhig ist und stur und hart wie ein Stein, entwickelt sie die Kraft, die den Zug der Geschichte aus seiner festgelegten Bahn wirft“, beschreibt Höfer die Philosophie des Films.

Schließlich lässt sich auch Oskarpreisträger Volker Schlöndorff ein paar Sätze entlocken: „Wenn Anna Walentynowicz nicht so stark in ihrer Überzeugung und ihrer Handlung gewesen wäre, würde die Mauer in Berlin vielleicht heute noch stehen“, erklärte Schlöndorff in Danzig. Er betont, dass es sich um einen Spielfilm handele. „Das ist kein eins zu eins Porträt. Ich mache ja keine Dokumentarfilme, aber sie ist mir eine Inspiration für diesen Film gewesen.“ Die „Heldin“ vergleicht er mit dem tapferen Priester und KZ-Häftling Abbe Krämer aus seinem jüngsten Film „Der neunte Tag“.

Offiziell will Völker Schlöndorff seinen neuen Film erst Mitte November in Danzig vorstellen. „Erst müssen wir auf dem Drehplan miteinander klar kommen“, meint der Regisseur. Der neue Film auf der Danziger Werft wird auf Polnisch gedreht. „Am Anfang war ich skeptisch. Dieses Thema muss man in der polnischen Sprache machen und ich kann die polnische Sprache nicht“. Darum hat Volker Schlöndorff sogar extra einen Polnischsprachkurs besucht. Ausreichend sei dies nicht gewesen, doch er hofft, dass er anhand der Melodie der Sprache erkennen kann, ob etwas gut ist oder nicht. „Das ist keine Frage der Grammatik. Ich fühle, wenn der Schauspieler gut ist“. Mit dem Drehort verbindet Schlöndorff beste Erinnerungen: „Der Stadt Danzig verdanke ich meinen Ruhm.“

*** Ende ***


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