Rumänien

Bestechungsgeld für Justitia

Mitte der 90er Jahre kaufte Manuela Ionescu (Name geändert) für 10.000 Dollar ein Appartement von der Stadt Cluj (Klausenburg) und richtete sich häuslich ein. Eines Tages tauchte aus heiterem Himmel ein zweiter Eigentümer auf. Es kam zum Rechtsstreit vor dem Stadtgericht, den Manuela Ionescu gewann. Doch es gab eine Kehrtwende. Die Gegenpartei strengte einen zweiten Prozess an. Nichts schien mehr mit rechten Dingen zuzugehen. „In Rumänien sind Beziehungen oder Geld manchmal wertvoller als Beweise“, sagt Manuela Ionescu und ließ dem Richter vor der neuerlichen Urteilssprechung 3000 Euro zukommen. Trotz Bestechungsgeld verlor sie den Prozess: „Vermutlich hat die Gegenseite mehr gezahlt.“

Wie Manuela Ionescu misstraut die Mehrheit der Rumänen den Justizbehörden des Landes. Grund seinen die zahlreichen ungelösten Korruptionsfällen, in die prominente Politiker und Unternehmer verwickelt sind, sagt die Korruptionsexpertin Alina Mungiu-Pippidi vom „Think Tank“-Institut Societatea Academica Romana (SAR) in Bukarest.
Die Medien decken fast täglich neue Korruptionsvorfälle auf, quer durch alle Berufsgruppen: Zöllner, die sich am Ex- und Import bedienen; Unternehmer, die seit Jahren Steuersünder sind; Politiker, die EU-Mittel verschwenden und nicht zuletzt Juristen, die angeblich keine Beweise finden können. Selbst wenn nur ein Bruchteil aller medialen Verdächtigungen stimmt, drängt sich der Verdacht auf, Rumänien sei ein Selbstbedienungsladen für Politiker und Geschäftsleute. Dass die meisten juristischen Ermittlungen ohne Folgen bleiben, „liegt am Parteienfilz in der Justiz, der mächtiger ist als jede Bestechungssumme“, sagt Alina Mungiu-Pippidi. Nach dem Ende des Ceausescu-Regimes sei die Neuordnung des Justizwesens verpasst worden. Die neuen Köpfe seien „alte Kader“ gewesen, kritisiert Mungiu-Pippidi, „die politischen Seilschaften dienen, denen sie ihre Ämter verdanken“.

Dass die „Mehrheit der Richter im Amt politisch unter Druck steht“, prangert die EU-Kommission seit längerem in ihren Fortschrittsberichten an. Der Missstand kann zusammen mit anderen Kritikpunkten in Brüssel noch zum Zündstoff werden. So will die Kommission erst im Frühjahr 2006 entscheiden, ob Rumänien wie geplant 2007 der EU beitreten kann oder erst ein Jahr später. Fieberhaft arbeitet deshalb die Regierung in Bukarest daran, Brüssel vom generellen Reformwillen zu überzeugen. Bereits die sozialdemokratische Vorgängerregierung der jetzigen bürgerlich-liberalen Koalition nahm eine Umgestaltung des Justizwesens in Angriff. Seit rund einem Jahr erhalten Richter ihre Prozesse durch ein mathematisch ausgeklügeltes Zufallstreffer-System zugewiesen. Das Auswahlsystem, das auch die deutsche Justiz einsetzt, soll die Einflussnahme durch politische Seilschaften verringern. Die Bukarester Regierung wollte sogar in jedem Prozess zwei Richter einsetzen; sie sollten sich gegenseitig kontrollieren. Diese Doppelbesetzung wäre eine Weltneuheit gewesen. Doch die Idee wurde ad acta gelegt, nicht weil ihr der Sinn fehlte, sondern das Personal.

Die neue parteilose Justizministerin Monica Macovei, die sich vor der Amtsübernahme als prominente Anwältin für Menschenrechte engagierte, gilt als „Einzelkämpferin, die mit niemandem auf Schmusekurs geht, aber selbst eine harte Hand führt“. Eine Institution, mit der die Justizministerin in Kürze der EU-Kommission konkrete Ergebnisse präsentieren könnte, ist die Nationale Antikorruptionsbehörde PNA. Spitzenpolitiker und Top-Manager hatten die Behörde, die seit 2002 existiert, bislang am wenigsten zu fürchten. Das soll sich jetzt ändern. Die Justizministerin tauschte vor Wochen die Mannschaft von Staatsanwälten „wegen Ineffizienz“ aus und lässt die Nachfolger jetzt gegen Betrugsvorfälle ermitteln, bei denen ein Millionenschaden zu vermuten ist.

Die EU-Kommission drängt unterdessen mit ihrem aktuellen Fortschrittsbericht lauter denn je auf konkrete Ergebnisse im Kampf gegen die Korruption. Für den Delegationschef der EU-Kommission in Bukarest, Jonathan Scheele, ist es unverständlich, dass große Korruptionsfälle bis heute ungeklärt geblieben seien: „Wie soll man damit von der breiten Bevölkerung erwarten, die Finger von der alltäglichen Korruption zu lassen?“

Die ehemalige Wohnungsbesitzerin Manuela Ionescu aus Cluj beispielsweise weist darauf hin, sie habe „das Bestechungsgeld einsetzen müssen, weil es zu den juristischen Spielregeln gehört“. Die Grenzen von Recht und Unrecht verschwimmen eben, wenn Urteile käuflich sind und Willkür statt Justiz herrscht. Dass die Gesetzgebung in Kürze auf dem neuesten EU-Stand sein werde, bezweifelt Ionescu: „In der Theorie waren wir schon immer gut. Für die Umsetzung in die Praxis werden wir aber noch Jahrzehnte brauchen.“ So lange wolle sie nicht warten; sie lässt ihren Rechtsstreit deshalb jetzt noch einmal beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte prüfen. Das kostet Zeit und Nerven, vielleicht wird sie den Fall erneut verlieren. Doch Manuela Ionescu wird beim Straßburger Urteil wissen, das diesmal wirklich Recht gesprochen wurde.


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