Polen

Der Deutschen-Schreck

„Berührungsängste vor Deutschland“

Interview mit Klaus Ziemer, Direktor des Deutschen Historischen Instituts in Warschau

Frage: Gefährdet Lech Kaczynski als neuer Staatschef in Warschau die
deutsch-polnischen Beziehungen?

Ziemer: Er hat sicher wenig Erfahrung im Umgang mit
ausländischen Partnern, besonders auch mit Deutschland. Die daraus resultierende Unsicherheit kann für den einen oder anderen kräftigen Ausspruch in den letzten Wochen verantwortlich sein. Man sollte das nicht so sehr auf die Goldwaage legen.

Frage: Sind Sie beunruhigt, wenn Lech Kaczynski,
Deutschland neben Russland als die „größte Gefahr“ für Polen bezeichnet?

Ziemer: Die Äußerung zeigt, in welchen Kategorien er und
zumindest Teile des neuen Regierungslagers denken. Sie finden sich
freilich in jüngster Zeit bestätigt durch die geplante Gaspipeline von
Russland durch die Ostsee nach Deutschland. Die Polen wurden dazu kaum
konsultiert, sondern haben im Grunde genommen aus der Zeitung davon
erfahren. Und das bei nicht dementierten Berichten, dass die Leitung
über die Ostsee fünfmal so teuer sein soll als auf dem Landweg und dass
sie ökologisch höchst bedenklich ist. Da fragt man sich in Polen: Was
führen die Deutschen im Schilde? Diese Zusammenarbeit zwischen Deutschen
und Russland über die Köpfe Polens hinweg muss hier zumindest Erstaunen
auslösen.

Frage: Lech Kaczynski hat sich nicht nur damit gebrüstet, dass er keinen
Kontakt zu deutschen Politikern hätte, sondern er hatte auch tatsächlich kein Interesse an einem Gespräch mit der CDU-Kanzlerkandidatin Angela Merkel und Bundespräsident Horst Köhler, als diese im August kurz hintereinander nach Warschau kamen.

Ziemer: Dabei mag es sich um Berührungsängste handeln, die offensiv gewendet werden. Er will Stärke demonstrieren, was es natürlich mit Nichten ist. Da wäre es gut, wenn deutsche Politiker mit entsprechendem
Verständnis für die andere Seite versuchen, diese Situation zu bereinigen.
Es ist nicht zu bestreiten, dass der Zweite Weltkrieg und die
unmittelbare Zeit danach in Polen ein ganz wichtiges Thema darstellen.
Das geplante Zentrum gegen Vertreibungen hat da zusätzlich als
Katalysator gewirkt.

Frage: Sind sie optimistisch, was die Entwicklung der deutsch-polnischen
Beziehungen betrifft?

Ziemer: Ich glaube, dass die Beziehungen mittelfristig tatsächlich gut werden können, weil die grundsätzlichen Interessen beider Seiten weitgehend übereinstimmen. Es gibt Unterschiede in der Beurteilung der Rolle der USA, auch der transatlantischen Beziehungen. Darüber muss man reden. Aber in der öffentlichen Diskussion wird zu wenig die Bedeutung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und die wachsende Intensität der
Beziehungen zwischen den beiden Gesellschaften gesehen. Es gibt sehr
viele Zeichen von Annäherung, Versöhnung und Zusammenarbeit, auch in den
früheren deutschen Gebieten, die für sich genommen nicht so spektakulär
sind, die aber doch einen größeren Umfang haben als man vielfach denkt.

Zur Person: Der Polenexperte Klaus Ziemer ist seit 1998 Direktor des Deutschen Historischen Instituts in Warschau und Politikprofessor an der dortigen Kardinal-Stefan-Wyszynski-Universität, der zweitgrößten staatlichen Universität in Warschau. Im Juni erhielt Ziemer von Bundesaußenminister Joschka Fischer und dessen Amtskollegen Adam Rotfeld den Deutsch-Polnischen Preis für herausragende Leistungen für die bilateralen Beziehungen verliehen.

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Polens neuer Präsident Lech Kaczynski im Porträt

Von n-ost-Korrespondent Oliver Hinz (hinzoliver@web.de, Tel. 0171-4891315)

Warschau (n-ost) – Frankreichs Präsident Jacques Chirac gratulierte ihm als erster künftiger Kollege. Euphorisch schrieb Chirac dem klaren Sieger der polnischen Präsidentenwahl, Lech Kaczynski: „Ich bin überzeugt, dass Polen unter ihrer Führung seine Rolle in Europa noch mehr stärkt.“ Der Einladung nach Paris will der nationalkonservative Politiker jedoch nicht als erstes folgen. Zunächst werde er nach Washington, Brüssel und in den Vatikan reisen, kündigte er an.

Deutschland steht noch nicht auf der Liste. Nicht von ungefähr, denn im Wahlkampf bezeichnete Kaczynski Deutschland neben Russland als die „größte Gefahr“ für Polen. Der 56-jährige brüstete sich sogar damit, keinen Kontakt zu deutschen Politikern zu haben. Das Angebot von Bundespräsident Horst Köhler, mit ihm bei seinem Polenbesuch vor einigen Wochen zu sprechen, ließ Kaczynski einfach unbeantwortet.

Geprägt hat ihn und seinen Zwillingsbruder Jaroslaw, der vor vier Wochen die Parlamentswahl gewann, die Kindheit in dem von Deutschen im Zweiten Weltkrieg völlig zerstörten Warschau. Der Vater Rajmund, der beim Warschauer Aufstand 1944 verwundet wurde, starb früh. Auch heute noch sitzt das Misstrauen der beiden gegenüber Deutschland tief.

Dennoch lehnen es Experten ab, den Rechtspopulisten Lech Kaczynski pauschal als „antideutsch“ einzustufen. Der Breslauer Politikwissenschaftler Piotr Buras sagt: „Kaczynski schreckt nicht vor scharfen Sprüchen gegen Deutschland zurück, aber er ist kein Nationalist. Auch mit Jörg Haider kann man ihn nicht gleichsetzen.“

Über das negative Medienecho in Deutschland beklagte sich der oft aufbrausende Kaczynski: „Die deutsche Presse greift mich scharf an. Die Präsidentenwahl ist keine Angelegenheit der Deutschen, sondern der Polen.“ Er habe mehrfach erklärt, dass ihm „gute Beziehungen zu Deutschland wichtig sind“. Das betont der sonst manchmal zerstreut wirkende Politiker auch nach seinem Wahlsieg. Schon als er vergangene Woche als Warschauer Oberbürgermeister eine Dokumentation zu den Kriegsschäden der Hauptstadt vorlegte, bestritt er folglich, dass er einen deutschlandfeindlichen Wahlkampf führe. Die Rechnung über 45 Milliarden Euro diene nur als „Instrument der Verteidigung, nicht des Angriffs.“ Das Ganze sei lediglich eine Antwort auf deutsche Vertriebene, die 60 Jahre nach dem Krieg ihr verlorenes Eigentum von Polen zurückfordern.

„Es darf den Deutschen nicht erlaubt werden, sich als die zweite Opfergruppe des Zweiten Weltkriegs nach den Juden darzustellen“, warnt Kaczynski beharrlich vor der Verfälschung der Geschichte. Auch die Ostsee-Pipeline von Russland nach Deutschland will er verhindern, weil sie polnische Interessen verletze. Doch die Deutschlandpolitik war nur ein Randthema seines Wahlkampfs. Vielmehr will der einstige Justizminister, der für volle Gefängnisse sorgte, mit seiner „moralischen Revolution“ Polen wieder auf Kurs bringen und Schluss machen mit der Korruption, der Vetternwirtschaft der Postkommunisten und der Kriminalität. Als Oberbürgermeister verbot er dieses und voriges Jahr eine Schwulenparade durch Warschau, während er gleichzeitig eine „Parade der Normalität“ von Rechtsextremen tolerierte. Sogar die Wiedereinführung der Todesstrafe befürwortete Kaczynski.

Schon lange gibt Lech Kaczynski den patriotischen Saubermann, doch fast alle Polen kennen ihn noch als Lausbub Jacek. Vor über 40 Jahren beging der leicht nuschelnde, pausbäckige Politiker im Filmklassiker „Von zweien, die den Mond stahlen“ mit seinem Zwillingsbruder Jaroslaw fröhlich Streiche, was beide zu Kinderstars machte. Doch auch später entpuppten sich beide als Lausbuben, wenn sich der eine für den anderen ausgab.

Selbst die Sicherheitskräfte des Parlaments fielen schon auf die polnische Variante des doppelten Lottchens herein, als sie Lech reinließen, obwohl er im Gegensatz zu seinem Bruder Jaroslaw schon länger kein Abgeordneter mehr ist. Die Verwechslungsgefahr räumt Lech auf seiner Website unumwunden ein: Seine zweijährige Enkelin Ewa halte manchmal Jaroslaw für ihren Opa. Sie sind eben schwer auseinander zuhalten. Das gelingt eigentlich nur wegen Lechs Muttermal neben der Nase und seinem Ehering. Denn Jaroslaw lebt bis heute solo bei seiner Mutter - folglich fehlt ihm ein Ring.

Auch politisch trennt die 56-jährigen Zwillinge nichts voneinander. Gemeinsam gründeten die beiden Juristen vor vier Jahren die ganz auf sie zugeschnittene Partei Recht und Gerechtigkeit, die bei der Parlamentswahl mit 27 Prozent vorn lag. Auf den ihm als Spitzenkandidaten zustehenden Posten des Premierministers verzichtete Jaroslaw jedoch, um die Siegchancen seines um 45 Minuten jüngeren Bruders bei der Präsidenten-Stichwahl zu erhöhen. Zwei Kaczynskis in den beiden wichtigsten Ämtern des Staates, das sei kaum zu vermitteln, räumen die eineiigen Zwillinge selbst ein. Dabei lief ihre politische Karriere schon oft im selben Takt: sie wurden gemeinsam Senatoren (1989), dann Abgeordnete (1991) und flogen auch gleichzeitig wieder aus dem Parlament (1993).

Obwohl die Kommunisten ihn als Mitstreiter des Revolutionsführers Lech Walesa 1981 und 1982 für zehn Monate internierten, unterscheidet heute Kaczynskis Wirtschaftspolitik nichts von einem Sozialisten. Er stellt sich voll auf die Seite der kleinen Leute. Selbst lebt der neue Präsident - angeblich bescheiden - in einer Warschauer Wohnung mit seiner Frau Maria, der Katze Rudolf und dem Terrier Tytus. Nun ist er am Ziel seiner Träume angekommen und zieht im Dezember in den Präsidentenpalast ein.

*** Ende ***


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