Ein unangenehmer Nachbar
Warschau (n-ost) - Die gute Nachricht zuerst: Der nächste polnische Präsident, Lech Kaczynski, mag den deutschen Literaturnobelpreisträger Thomas Mann; dessen Epochenroman „Der Zauberberg“ ist das Lieblingsbuch des 56-Jährigen, der die Stichwahl um das Präsidentenamt in Polen für sich entschieden hat. Doch „Zauberberg“ hin oder her, als deutschfreundlich kann man den rechtskonservativen Warschauer Bürgermeister nur schwer bezeichnen. Noch in den letzten Tagen des Wahlkampfes hatte der Kandidat der Partei „Recht und Gerechtigkeit“ ein Gutachten zur Zerstörung Warschaus vor 61 Jahren vorlegte. Demnach seien die Deutschen dafür noch über 40 Milliarden Dollar an Reparationen schuldig.
Nach einer Umfrage halten 64 Prozent der Polen derartige Forderungen für gerechtfertigt, ein Wählerpotenzial, das Kaczynski offenbar mit Erfolg angesprochen hat. Wochenlang hatte in allen Umfragen Kaczynskis Konkurrent Donald Tusk mit zeitweise über zehn Prozent Vorsprung vorne gelegen, am Ende zog er mit 46 zu 54 Prozent überraschend deutlich den Kürzeren. Tusk erklärte mehrfach, dass „die Beziehung zu Deutschland ganz wesentlich für Polens Stellung innerhalb der Europäischen Union“ seien. Aus und vorbei.
Der Sieger Kaczynski wurde am Wahlabend von seinen Anhängern mit dem Singen der Nationalhymne und mit wehenden rot-weißen Fahnen im Warschauer Kulturpalast begrüßt. Sein Dank ist symptomatisch für den Wahlkampf: „Ohne diejenigen, die in Warschau das neue Aufstandsmuseum gebaut haben, wäre mein Sieg niemals möglich gewesen“, sagte Kaczynski unter tosendem Jubel. Das Museum erinnert an die Zerstörung durch die Deutschen. In den Reihen der Warschauer Widerstandskämpfer von der Heimatarmee befand sich damals auch Kaczynskis Vater. Kurz nach seinem Wahlsieg waren von Kaczynski aber auch versöhnliche Töne zu hören. „Ich bin voll guten Willens bezüglich der polnisch-deutschen Beziehungen.“ Bundeskanzler Gerhard Schröder gratulierte Kaczynski in einem artigen Telegramm, in dem er ihm für seine zukünftigen Aufgaben „eine glückliche Hand“ wünschte.
Ermöglicht wurde Kaczynskis Erfolg in letzter Minute auch durch einen Pakt mit der Bauernpartei des Populisten Andrzej Lepper. Kurz vor Toresschluss erfüllte Kaczynski noch zwei wesentliche Forderungen der rechtspopulistischen Europagegner: Zum einen sprachen sie sich gegen eine erneute Amtszeit des marktliberalen Präsidenten der Nationalbank (NBP), Leszek Balcerwowicz, aus, der als Vater des polnischen Wirtschaftswunders in den 90er Jahren gilt und für eine schnelle Einführung des Euro in Polen steht. Und zum anderen kündige er an, die Kandidatur von Lepper für das Amt des stellvertretenden Parlamentspräsidenten zu unterstützen. In der Stichwahl stimmten schließlich 83 Prozent der Wähler der Bauernpartei für Kaczynski. Lepper hatte im ersten Wahlgang den dritten Platz hinter Tusk und Kaczynski erreicht.
„Ich werde ein starker Präsident sein und für ein starkes Polen kämpfen“, sagte Kaczynski nach der Wahl. Vor allem auf dem Lande hatte nach Informationen des Meinungsforschungsinstitut GfK Polonia Tusk mit 68 Prozent der Stimmen klar geschlagen hat. In den großen Städten kam er lediglich auf 42 Prozent, und: Die östlichen Wojewodschaften (Regierungsbezirke) haben für Kaczynski gestimmt, die westlichen für Tusk. Darunter auch die an Deutschland grenzenden Regionen Lubuskie, Niederschlesien und Westpommern, wo die Wahlbeteiligung am niedrigsten war. Am höchsten war sie im Osten.
Die meisten Intellektuellen und Prominente Polen stimmten nicht für Kaczynski, sondern für Tusk: so die international bekannten Schrifststeller Jerzy Pilch und Stefan Chwin oder die Fußballlegende Zbigniew Boniek (ehemals Juventus Turin) und der aktuelle Nationalspieler Sebastian Mila (Austria Wien). Für den ehemaligen Staatspräsidenten Lech Walesa ist „die Niederlage von Donald Tusk auch meine Niederlage“. Walesa hatte sich im Wahlkampf massiv für Tusk eingesetzt. Auch der scheidende Präsident Aleksander Kwasniewski stand – wenn auch sehr zurückhaltend – auf Tusks Seite. Am Wahlabend gratulierte er dem Wahlsieger Kaczynski aus dessen künftigen Präsidentenpalast mit steinernen Miene. Der Verlierer, Donald Tusk, gab sich geknickt: „Ich muss ja nichts vortäuschen, natürlich bin ich traurig“. In seinem engeren Umfeld heißt es, dass er nun Parlamentspräsident werden wolle.
Der Präsident Lech Kazcynski steht für einen starken Staat, eine aktive Arbeitsmarktpolitik, die Widereinführung der Todesstrafe und für den Kampf gegen die Korruption, „den er in seiner eigenen Stadt bisher nicht gewinnen konnte“, so Julia Pitera von der Antikorruptionsorganisation „Transparency International“. In die Korruption sind auch viele Politiker verstrickt, ein Grund für die niedrige Wahlbeteiligung von 50,6 Prozent. Die 49,8 Prozent aus dem ersten Wahlgang war die niedrigste Wahlbeteiligung bei einer Präsidentenwahl im demokratischen Polen.
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