Polen

Der Bismarck-Stein des Anstoßes

Olsztyn (n-ost) - In einem 700-Seelen-Ort im Nordosten Polens ist Streit um einen Gedenkstein für Otto von Bismarck entbrannt. Von 1899 bis 1965 stand das Denkmal in Nakomiady (früher Eichmedien in Ostpreußen), bei Straßenbauarbeiten verschüttet, wurde es erst in diesem Jahr entdeckt, renoviert und wieder aufgestellt. Die Befürworter wollen den Stein mit der Aufschrift „Dem grossen Kanzler Fürsten v. Bismarck gewidmet 1899“ als Zeugen der Geschichte stehen lassen, die Gegner, unter anderen der polnische Rat zum Schutz nationaler Gedenkstätten wollen das Denkmal für Otto von Bismarck möglichst schnell demontieren.

„Den Stein geben wir nicht wieder her“ sagt Halina Szara kämpferisch. Als Mitglied des Stadtrates der Kreisstadt Ketrzyn (Rastenburg) hatte sie die Wiedererrichtung des Gedenksteines initiiert. „Schließlich haben wir das Denkmal nicht neu aufgestellt, sondern nur renoviert“, fügt sie entschieden hinzu. Trotz ihrer Entschlossenheit wirkt sie ein wenig müde. „Mit soviel Aufruhr habe ich nicht gerechnet“.

Nicht nur in Nakomiady, einem verschlafenes Dörfchen in der Wojewodschaft Ermland und Masuren herrscht seit Anfang Oktober große Unruhe. Die regionalen Medien berichten täglich über den Streit, die renommierte polnische Tageszeitung Rzeczpospolita widmete dem Thema einen Artikel und auch der staatliche polnische Fernsehsender TVP1 berichtete in den Hauptnachrichten.

Auslöser des Streits war die Beschwerde eines Bewohners des Ortes, der sich durch den Gedenkstein für Bismarck beeinträchtigt fühlt. Die Angelegenheit ging an den polnischen Rat zum Schutz nationaler Gedenkstätten in Warschau, der verlangte umgehend, dass der Stein demontiert werden müsse. Der Gemeindevorsteher von Nakomiady, Slawomir Jarosik, hätte einen Antrag stellen müssen, bevor der Stein aufgestellt wird, diesem wäre nicht stattgegeben worden. „Für Bismarck ist in Polen kein Platz“, äußerte der Sekretär des polnischen Rates zum Schutz nationaler Gedenkstätten, Andrzej Przewoznik.

Dass Bismarck in Polen negative Emotionen weckt, hat Gründe. Der 1871 bis 1890 amtierende Reichskanzler wird hier mit drei Schlagworten in Verbindung gebracht: Kulturkampf, Germanisierungs- und Ostmarkenpolitik. Während ersterer sich vor allem gegen die katholische Kirche richtete, wurde im Zuge der Germanisierungspolitik der Gebrauch der polnischen Sprache in den von Preußen annektierten Gebieten Nord- und Westpolens an Schulen verboten und im amtlichen und geschäftlichen Verkehr eingeschränkt. Die Ostmarkenpolitik schließlich ging mit dem Aufkauf polnischer Güter durch deutsche Siedler einher. Noch heute ist die Politik Otto von Bismarcks daher in Polen untrennbar mit dem Adjektiv „antipolnisch“ verbunden.

„Ein Gedenkstein für Bismarck überschreitet die Grenze der Toleranz für die Spuren deutscher Kultur in der Region Nordpolen“, meint auch Wiktor Knercer, Historiker und Mitarbeiter der Behörde für Denkmalschutz in Olsztyn, der Hauptstadt der Wojewodschaft Ermland und Masuren. „Ich meine damit nicht, dass das Denkmal zerstört werden soll. Diese Zeiten haben wir hinter uns.“ Nach 1945 waren auf Erlass der kommunistischen Regierung viele deutsche Inschriften und Denkmäler beseitigt worden.

Knercer selbst beschäftigt sich als Vorstandsmitglied der Olsztyner Kulturgemeinschaft „Borussia“ mit der Erforschung der wechselvollen Vergangenheit der Region. Seit 1992 initiiert der Verein unter anderem deutsch-polnische Jugendtreffen zur Pflege historischer Orte und wurde dafür 2004 mit dem Lew Kopelew Preis für Frieden und Menschenrechte. „Wenn Sie die erneuerten deutschen Friedhöfe zu Allerheiligen besuchen, werden Sie sehen, dass die Bewohner der anliegenden Ortschaften Grablichter auf den Gräbern angezündet haben. Von einer Ablehnung dieser Spuren deutscher Geschichte kann also keine Rede sein.“ Es müsse aber den Polen das Recht vorbehalten werden, zu entscheiden, welche Kulturdenkmäler ihre Heimat prägen. Der Bismarck- Stein sei deshalb besser in einem Museum aufgehoben als auf dem Dorfplatz von Nakomiady.

„Wir sollten stolz darauf sein, einen solchen Zeugen der Geschichte in unserem Ort zu haben“, meinen dagegen die Befürworter des Bismarck-Denkmals in Nakomiady. Sie hoffen, dass der Bismarck-Stein Touristen in den Ort lockt. „Die Leute haben recht, sollte der Gedenkstein in Nakomiady stehen bleiben, wird er viele Touristen aus ganz Polen anlocken und auch aus Deutschland“, bestätigt Miroslaw Harajda, Direktor des regionalen Amtes für Tourismusförderung. „Wirtschaftlich gesehen ist das für die Bewohner des Ortes natürlich ein Gewinn“, fügt er hinzu.

Bei einer Bürgerversammlung sprachen sich die Bewohner Nakomiadys in der vergangenen Woche mehrheitlich dafür aus, dass der Stein in Nakomiady stehen bleiben soll. Die regionale Lokalpresse berichtete freundlich darüber und sprach von einer demokratischen Entscheidung. Das letzte Wort haben allerdings die regionalen Behörden. Sie werden darüber entscheiden, ob Nakomiady sich von seinem Bismarck-Stein wieder trennen muss.


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