Langzeittherapie gegen die Rückfälligkeit
Sura Mica (n-ost). Es sieht abgeschieden aus und alt. Doch das Pfarrhaus, „Haus Nazareth“ genannt, in dem rumänischen Dorf Sura Mica in den Karpaten, ist ein Ort modernster Behandlungsmethodik. Hier wird die einzige Langzeittherapie für Alkoholkranke angeboten; 22 Plätze für Männer im Haus „Nazareth“ und acht weitere für Frauen in einem Nachbarort stehen zur Verfügung. Es ist eine kleine alkoholfreie Zone in einem Land, in dem Schnaps bei nahezu jeder Gelegenheit getrunken wird, oft schon am frühen Morgen. Und in dem viel Alkohol anzubieten und zu trinken zu den traditionellen Bildern von Gastfreundschaft gehört.
Wie groß das Problem der Alkoholabhängigkeit in Rumänien wirklich ist, kann niemand genau sagen. Der rumänische Staat beziffert den Konsum seiner Bürger auf 13 Liter reinen Alkohols pro Kopf und Jahr. Dr. Holger Lux, Leiter der Einrichtung in Sura Mica, vermutet, dass von den 22 Millionen Bürgern rund eine Million alkoholkrank sind. Schuld daran seien vor allem die offiziellen Methoden. „Viele meiner Patienten haben zuvor in den psychiatrischen Abteilungen der staatlichen Kliniken eine Entziehungskur gemacht, doch kaum waren sie draußen, haben sie wieder mit dem Trinken angefangen“, erzählt Lux.
Zu den Rückfälligen gehörte auch Peter Diaconescu. Mehrmals hat er in Krankenhäusern versucht, von seiner Alkoholsucht freizukommen. Trank der 48-Jährige vor ein paar Jahren noch jeden Tag anderthalb Liter Wodka, ist er seit seinem Aufenthalt im Haus „Nazareth“ vor drei Jahren trocken. „Ich habe aus den verschiedensten Gründen getrunken. Wenn ich zum Beispiel viel arbeiten musste und ein anstrengendes Projekt hatte, dann habe ich zur Flasche gegriffen, um meinen Kopf wieder frei zu kriegen“, erzählt der Designer. Heute arbeitet er im Haus „Nazareth“ als Ergotherapeut und ist froh, dass er etwas für Alkoholkranke tun kann.
Im Haus Nazareth wurden seit der Gründung im Jahr 1993 600 Alkoholiker therapiert. 80 Prozent davon schließen unter guten Voraussetzungen ab. Die Behandlung ist nach westlichem Vorbild konzipiert. Sie dauert drei bis sechs Monate und besteht aus Einzel-, Gruppen- und Beschäftigungstherapie. Die Betroffenen sind in der Landwirtschaft tätig, bauen Gemüse an, ernten Äpfel, um daraus Saft zu produzieren, oder reparieren und verkaufen Fahrräder. Der dadurch erzielte Erlös fließt in die Einrichtung zurück. „Die Hilfesuchenden tragen für ihren Therapieplatz soviel bei, wie es ihnen finanziell möglich ist“, so Lux. Sie bekommen während ihres Aufenthalts kein Krankengeld oder einen Einkommensausgleich. Viele verlieren deshalb ihre Arbeitsstelle. Mit rund 20 Prozent beteiligt sich der rumänische Staat an den Kosten. Zur Deckung der restlichen Ausgaben ist man auf Spenden angewiesen. „Wir wissen, dass unsere Mittel bei weitem nicht ausreichen, um die Betreuung von Alkoholkranken in Rumänien auf ein angemessenes Niveau zu bringen“, hält Lux fest. Daher versucht er, Selbsthilfegruppen aufzubauen, die ehemalige Patienten nach ihrer Entlassung betreuen sollen und die das Bewusstsein in der Gesellschaft dafür stärken, dass Alkoholismus eine Krankheit ist.
Bei dem 57-jährigen Thomas Bühlmeier* gehört dieses Bewusstsein inzwischen zur Grundausstattung. Der Deutsche, der seit über einem Jahr in Rumänien lebt, hofft, dass er mit der therapeutischen Unterstützung sein Alkoholproblem in den Griff bekommt. „Ich bin hier aus reiner Langeweile in die Kneipe gegangen und habe gut und gerne jeden Tag zehn Bier getrunken“. Den Ausschlag, sich selbst bei der therapeutischen Einrichtung anzumelden, gab die Geburt seines Sohnes im Januar. „Ich kann es jetzt einfach nicht mehr vereinbaren, dass mein Denken und Fühlen vom Alkohol bestimmt wird.“ Auch Costel Vaduva ist inzwischen trocken. Der 39-jährige Vater von sechs Kindern macht bereits zum zweiten Mal eine Therapie in der Einrichtung. Jetzt, nach weiteren sechs Monaten im Haus Nazareth, ist er felsenfest davon überzeugt, dass er es kann: Ein Leben ohne Alkohol zu führen.
*Name geändert
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