Vom Schreibtisch in die Gefängniszelle
Weder Opfer noch Held habe er sein wollen, schreibt Josip Jovic in einem Brief an seine Familie und Kollegen. Es gehe ihm vielmehr um seine Grundrechte – als Bürger und als professioneller Journalist. Seit nunmehr einer Woche sitzt der ehemalige Chefredakteur und Kolumnist der drittgrößten kroatischen Tageszeitung „Slobodna Dalmacija“ in einem Gefängnis in seiner Heimatstadt Split. Der Grund: Jovic war der Aufforderung des UN-Kriegsverbrechertribunals für das ehemalige Jugoslawien nicht nachgekommen, in Den Haag auszusagen. Das internationale Gericht sah seine Autorität verletzt und schickte einen Haftbefehl nach Split, der vorige Woche im Bezirksgericht eingetroffen war. Jovic wurde prompt vor laufender Kamera des Staatsfernsehens „HRT“ festgenommen, dem er gerade ein Interview gegeben hatte –Zufall oder Absicht spekulieren die Medien.
Josip Jovic sorgte in den vergangenen Wochen fast täglich für Schlagzeilen: Dem 55-jährigen Journalisten war vom UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag vorgeworfen worden, die Identität eines Zeugen aus dem Schutzprogramm preisgegeben zu haben. Jovic hatte dessen Namen in seiner Artikelserie der Zeitung „Slobodna Dalmacija“ im November/Dezember 2000 mehrfach veröffentlicht. Das Tribunal hatte die Medien zuvor ausdrücklich darauf hingewiesen, dies zu unterlassen. Jener Zeuge ist kein geringerer als der heutige Staatspräsident Stipe Mesic, der zum Zeitpunkt seiner Aussage 1997 noch in der Opposition war. Mesic hatte im Prozess gegen General Tihomir Blaskic ausgesagt, der wegen Kriegsverbrechen in den Den Haag verurteilt worden war und im Vorjahr überraschend freikam.
Josip Jovic ist jedoch nicht der einzige kroatische Journalist, dem die Preisgabe der Identität eines geschützten Zeugen vorgeworfen wird: Fünf weitere Kollegen mussten sich bereits dem UN-Tribunal in Den Haag stellen, konnten jedoch noch am gleichen Tag nach Kroatien zurückkehren. Nur Josic blieb stur: Er werde erst in Den Haag aussagen, wenn alle gerichtlichen Instanzen in Kroatien ausgeschöpft seien, wiederholte er mehrfach. Ein Abkommen mit dem UN-Tribunal räumt diesem das Recht ein, in bestimmten Fällen direkten Einfluss auf kroatische Gerichte zu nehmen. Bislang ist noch ungeklärt, wie die Journalisten überhaupt an die Zeugenaussagen gekommen sind.
Die Inhaftierung seines Kollegen habe ihn besonders verbittert, schreibt der derzeitige Chefredakteur Mladen Plese in der heutigen Ausgabe von „Slobodna Dalmacija“. Es gäbe keinerlei Grund, den Journalisten weiterhin festzuhalten, da es weder zu einer Wiederholungstat kommen könne, noch zu einer Einflussnahme auf den Zeugen.„Wir sind vermutlich der einzige Staat in Europa, in dem ein Journalist wegen des geschriebenen Wortes im Gefängnis sitzt“, erbittert sich Plese.
Die Festnahme eines Journalisten sei prinzipiell ein Rückschlag für die Medienfreiheit in Kroatien – unabhängig davon, ob dies nun im Fall Jovic gerechtfertigt sei oder nicht, sagte der Vorsitzende des Kroatischen Journalistenverbandes, Dragutin Lucic. Internationalen Rückhalt bekommt er vom Weltdachverband der Journalisten sowie von der Organisation „Reporter ohne Grenzen“.
Aus Wien kommt gleich doppelte Solidarität: Zum einen verurteilte der Österreichische Journalistenverband die Verhaftung des Journalisten in einer Rundmail, zum anderen bat der Medienbeauftragte der OSCE, Miklos Haraszti, in einem Brief an das UN-Tribunal um die Freilassung Jovics. Er schätze die Institution des Zeugenschutzes in jeder Hinsicht, ebenso müsse das Tribunal jedoch die Prinzipien der Medienfreiheit schätzen, heißt es in dem Schreiben. Die Tatsache, dass ein führender Politiker vor Gericht ausgesagt habe, sei in jeder Demokratie von öffentlichem Interesse – und daher ganz selbstverständlich Thema der Berichterstattung. Er hoffe, dass diese einfache Wahrheit bei der Verurteilung der Journalisten in Betracht gezogen werde, so Haraszti.
Präsident Stipe Mesic wollte den Fall unterdessen nicht kommentieren, da er selbst involviert sei, betonte er gegenüber dem Staatsfernsehen „HRT“. Doch nur Mesic allein könne Jovic noch retten, titelt die Tageszeitung „Vecernji list“ in ihrer heutigen Ausgabe. Indem der Präsident auf seinen Status „geschützter Zeuge“ verzichte, würde er allen Anschuldigungen die Grundlage entziehen – der Fall Jovic wäre somit hinfällig, spekuliert das Blatt optimistisch.