Polen erwartet keinen K.O.-Sieg in der ersten Runde
WARSCHAU (n-ost) - Wenn am Sonntagabend um acht Uhr in Polen die Wahllokale schließen, werden die 30 Millionen Wähler noch keinen Nachfolger des sozialdemokratischen Präsidenten Aleksander Kwasniewski gefunden haben. Keiner der zwölf Kandidaten hat Aussichten, die im ersten Wahlgang geforderte Marke von 50 Prozent der Stimmen zu erreichen. Als sicher gilt aber, dass die Polen den liberalen „Vermittler“ Donald Tusk (PO, Bürgerplattform) und den rechtskonservativen „starken Präsidenten“ Lech Kaczynski (PiS, Partei Recht und Gerechtigkeit) in die Stichwahl der beiden besten Bewerber schicken werden, die zwei Wochen später stattfindet.
In der aktuellen Umfrage der konservativen Tageszeitung „Rzeczpospolita“ (Quelle: GFK Polska) führt Donald Tusk (42 Prozent) mit neun Punkten vor dem Warschauer Bürgermeister Lech Kaczynski. Auf Platz drei käme demnach der Rechtspopulist Andrzej Lepper (12 Prozent) von der Samoobrona (Selbstverteidigung). Als chancenlos gilt bei dieser Wahl die Linke. Der Sozialdemokrat Marek Borowski (SDPL) liegt abgeschlagen bei acht Prozent. Andere Umfragen kommen zu ähnlichen Ergebnissen.
Bereits bei den Parlamentswahlen am 25. September nahm die konservative Wende in Polen ihren Anfang: Hier lag überraschend die rechtskonservative PiS, geführt von Jaroslaw Kaczynski, dem eineiige Zwillingsbruder des PiS-Präsidentschaftskandidaten Lech, knapp vor Donald Tusks Bürgerplattform. Die bisher regierende Linke, die für zahllose Skandale und Vetternwirtschaft verantwortlich gemacht wird, verschwand als Zehnprozentpartei in der Opposition.
Sollte Lech Kaczynski in der Stichwahl doch noch Tusk überflügeln und damit die PiS die beiden wichtigsten Ämter im Staate übernehmen, wäre die ultra-konservative Wende in Polen perfekt, die sich die Zwillingsbrüder auf die Fahnen geschrieben haben: „Wenn das Parlament ein Gesetz zur Wiedereinführung der Todesstrafe beschließen würde, würde ich es unterzeichnen“, sagte Lech Kaczynski beispielsweise bei einem Wahlkampfauftritt in dieser Woche. Zusätzlich fordert er eine noch stärkere Rolle des Präsidenten, wenn es um eigene Gesetzesinitiativen geht: „Ich will ein starker Präsident sein“. Der würde allerdings häufig auf Kollisionskurs zur Europäischen Union (EU) und insbesondere zu Deutschland gehen.
Als Warschauer Bürgermeister fordert Kaczynski bereits Reparationen von Deutschland für die Zerstörung seiner Stadt während des Zweiten Weltkrieges in zweistelliger Milliardenhöhe. Mit einem multimedialen Museum über den heldenhaften Warschauer Aufstand und die Vernichtung der Stadt durch die Deutschen hat sich Bürgermeister Lech Kaczynski bereits ein Denkmal in der Hauptstadt gesetzt. Der Vater der Brüder Kaczynskis hat selbst an dem Aufstand gegen die Deutschen teilgenommen. Öffentliche Auftritte mit deutschen Politikern im Wahlkampf hat Lech Kaczynski bewusst vermieden.
Anders Donald Tusk, der im Gespräch mit dieser Zeitung sagte, „unsere Beziehungen zu Deutschland sind maßgeblich für unseren Stellenwert innerhalb der EU“. Tusk traf sich mit der CDU-Vorsitzenden und Kanzlerkandidatin Angela Merkel in Berlin und in Warschau; in Paris empfing ihn der konservative französische Innenminister Nicolas Sarkozy, der seinerseits Ambitionen auf das –französische – Präsidentenamt hat. Tusk glaubt an das so genannte „Weimarer Dreieck“ zwischen Paris, Berlin und Warschau. Bis zur Stichwahl am 23. Oktober werden die Unterschiede zwischen ihm und Kaczynski noch deutlicher werden.
Der Präsidentenwahlkampf hat bislang die Bildung einer neuen polnischen Regierung überschattet. PiS und Bürgerplattform wollen eine große Koalition bilden, wobei Parteichef Jaroslaw Kaczynski vorerst einmal auf den Posten des Regierungschefs verzichtete hat, um die Aussichten seines Bruders auf den Posten des polnischen Präsidenten nicht zu gefährden. Zwillinge in den beiden wichtigsten Ämtern des Landes, dies sei international kaum zu vermitteln, räumten die Brüder selbst ein. Als Ersatzkandidat wurde der PiS-Wirtschaftspolitiker Kazimierz Marcinkiewicz präsentiert. Die bekannte Fernsehjournalistin Anna Maruszecko (TVN) spricht von „wahltaktischen Spielchen“. „Man könnte Marcinkiewicz eine Marionette von Jaroslaw Kaczynski nennen“, spricht Maruszecko das aus, was viele Polen denken.
Die Aufstellung der endgültigen Regierungsmannschaft soll erst nach Abschluss der Präsidentschaftswahl feststehen, heißt es bei der PiS. Und die PO fordert bereits eine Garantie dafür, dass Lech Kaczynski im Falle einer Niederlage nicht mit einem Regierungsamt versorgt wird.
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