Unterwegs im Land des „Goldenen Vlies“
Der Weg von der russischen Grenze ins Landesinnere Georgiens führt durch unwegsame Landschaften, über Pistenwege, durch Staub und entlang von Flussläufen. Schroffe Berge und Gebirgsketten, die in unzähligen Kurven immer weiter und höher zu erklimmen sind. Unterwegs zu sein auf der „Georgischen Heerstraße“, das ist eine Reise durch die Zeit, ein Weg durch eine der ältesten Kulturlandschaften.
Schon in der Antike war diese Strecke eine der wichtigsten Verbindungen zwischen Europa und Asien. Im 19. Jahrhundert baute das russische Zarenreich sie zu einem Nachschubweg für die Eroberung des Kaukasus aus. So kam sie zu ihrem Namen „Heerstraße“.
Die Fahrt geht, nahe am Abgrund, die steile Passstrasse hinauf. Kreuze und Kerzen sind auf den Felsvorsprüngen befestigt. Menschen verneigen sich vor Ikonenbildern und trinken vom Quellwasser religiöser Stätten. Es sind Pilger auf einer Wallfahrt zum Kloster Tsminda-Sameba („Heilige Dreifaltigkeitskirche“), die im Schatten des riesigen Berges Kasbek liegt. Die Tsminda-Sameba ist die größte und eine der ältesten Heiligenstätten in den zerklüfteten Bergregionen Georgiens, die die Jahrhunderte und die Zeit des Kommunismus weitestgehend unbeschadet überstanden haben.
Auf dem Marktplatz von Kasbegi sammeln sich scharenweise Pilger, die sich auf den Weg hinauf zum Berg machen - mit Schuhen oder barfuss, mit Stock, Kopftuch und Gebetsbüchern, in stiller Andacht oder spiritueller Erfüllung. Junge Männer scherzen unter dem Denkmal Alexander Kasbegis, dem berühmten Schriftsteller und Sohn des Städtchens. Schweine suchen grunzend Essensreste hinter den Straßenläden, die sich am Platz aufreihen. Hammel werden an Stricken vorbeigezerrt, es sind Opfergaben für das religiöse Fest an „Maria Entschlafung“.
Versteckt hinter Mauern und Bäumen finden Spaziergänger das Museum Alexander Kasbegis. Ein Denkmal mit dem Kopf des berühmten Mannes in Marmor weist den Pfad zur Ausstellung, vorbei an Bänken und begrünten Flächen. Mehr als 15.000 Exponate geben Einblick in das Leben und Schaffen des berühmten Mannes. Gestiftet wurden sie von Freunden, Verwandten und direkten Angehörigen des Intellektuellen. Altertümliche Herdstellen, handgearbeitetes Zaumzeug, eiserne Kessel und Harken erinnern an ein Leben voller Entbehrungen, das für die Bauern in dem zerklüfteten Landstrich auch heute noch Alltag ist.
Mit selbstgefertigten Rechen und Pflügen aus Holz, vor die sie Ochsen spannen, ruft das Krähen des Hahnes sie morgens zur Knochenarbeit. Stundenlang wird an den steilsten Hängen die Saatkartoffel ausgebracht, der Acker bestellt, das Heu eingefahren. Und erst wenn die Sonne hinter den Gebirgsketten verschwindet, ist auch für die Kleinbauern Zeit, mit der Natur zur Ruhe zu kommen.
Mery Sakaidse sitzt stumm hinter einem klapprigen Tischchen. Hier, an dem mit 2.395 Metern höchsten Punkt der „Heerstraße“, zieht sich die Schotterstraße steil hinauf zum Kreuzpass. Reisende treten an die Schüsseln der Bäuerin, gefüllt mit selbst gemachtem Käse. Schon ein viertel Jahrhundert verbringt die 43-Jährige den Sommer mit ihren Kühen hier oben. Eigentlich kommt sie aus dem nur wenige Kilometer entfernten Skiort Gudauri. Früher, erinnert sie sich mit einem Lächeln auf den Wangen, hätte ihr Mann Arbeit in einer russischen Fabrik bei Tiflis, der georgischen Landeshauptstadt, gehabt. Aber nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion sei er arbeitslos geworden. Viel hat die Familie nicht zum Leben. Ein wenig Fleisch, ein bisschen Käse und das, was der Verkauf bringt. Müde ruhen die Augen auf den grünen Gipfeln. Eine Ausbildung hat sie nicht. Schon ihre Eltern und deren Eltern waren Bauern. Ohne Arzt und Medikamente ist es nicht leicht, bei Gesundheit zu bleiben. Ein Sozialsystem gibt es nicht. „Wir müssen für uns selbst sorgen. Es gibt Heilpraktiker in den Bergen“, erzählt sie. „Behandlungen können wir uns nicht leisten“. Freundlich packt sie den Lastwagenfahrern einige Brocken Käse in Tüten und erzählt von dem Friedhof, der sich in einiger Entfernung befindet.
Wenn sich dichter Nebel über den Pass legt, bekommt dieser Friedhof etwas Gespenstisches. Kaum sichtbar, ragen graue Kreuze aus dem weißen Dunst. Deutsche Soldaten ruhen hier, als Kriegsgefangene bauten sie Häuser und Straßen. Wie viele in dieser Gegend unter Stalins Knute starben und wer sie waren, darüber ist an diesem Ort nicht mehr zu erfahren.
Die Straße, auf der der harte Winter seine Spuren sichtbar hinterlassen hat, ist im Schleier, der sich über das raue Land legt, kaum noch zu sehen. Vorsichtig rollt der Wagen den Pass hinunter. Gas geben, abbremsen, um die tiefen Löcher herumfahren, so geht es hinunter nach Mleta, einem unscheinbaren Ort. Ganz allmählich reißt die Wolkendecke auf. Im Schein der Sonnenstrahlen, die mehr und mehr die Strecke erhellen, ist ein liegen gebliebener Wagen zu erkennen. Giwi Sudshaschwili hat sich tief in den Motorraum gebeugt. Frau und Kinder haben es sich im Innern des Ladas bequem gemacht. Ruhig schraubt Sudshaschwili am Vergaser. Ersatzteile liegen zuhauf im Kofferraum. Es sei nicht das erste Mal, dass er eine unfreiwillige Pause auf der Fahrt nach Tiflis mache, erzählt er.
Reisehinweise Georgien
EU-Bürger können mit einem Reisepass visafrei einreisen. Direktflüge nach Tiflis können von Köln-Bonn mit Germania (380 €) oder mit der Lufthansa von München (550 €/zuzgl. Gebühren) gebucht werden. KLM, Czech Airlines, Austrian Airlines und Georgian Airways bieten weitere Möglichkeiten.
Reiseveranstalter sind neben anderen Kaukasus-Reisen (www.kaukasus-reisen.de) und Erka Reisen (www.erka-reisen.de). Beide Unternehmen werden von deutschen Reiseunternehmern geführt, die seit Jahren in Georgien leben und sehr gute Landeskenntnisse haben. Betreut werden auch kleine Gruppen oder Einzelpersonen. Beide bieten ein breites Spektrum an Aktivitäten wie Bergwandern, Reiten, Trekking, Familien- oder Sprachreisen an.
Individualisten sei der „Lonely Planet – Georgia, Armenia & Azerbaidjan“ (ISBN: 1 7405 9138 0, englisch, 2004) als ausführlichster Reiseführer zu empfehlen. Wer zuvor mehr über die Mentalität der Georgier erfahren möchte, kann dies mit dem „Kulturschock Kaukasus“ (ISBN 3-8317-1293-X, 14,90 €) tun. Allgemeine Informationen und Nachrichten können im Internet unter www.georgienseite.de und www.georgien-nachrichten.de angeklickt werden.
Überall entlang der Strecke formt die Natur Skulpturen an den Berghängen. Wenn Tiefenwasser aus der Erde tritt und verdunstet, hinterlassen die mineralischen Ablagerungen gelb-orange Spuren. Bizarre Formationen, genährt durch den steten Strom der Gebirgsfälle. Die grell leuchtende Färbung stammt von Mikroorganismen, die in der salzigen Lake leben. Ein Naturschauspiel, das von weitem anmutet wie eine nicht getaute Schneelawine.
Je näher das Tal kommt, desto besser werden Sicht und Fahrbahnbelag. Stolz ragt die Turmspitze der Wehrkirche Ananuri über dem Zhinvali Speichersee. In ihm spiegelt sich die wohl bekannteste Sehenswürdigkeit entlang der „Georgischen Heerstraße“ majestätisch wider. In kriegerischen Zeiten war Ananuri als strategische Anlage für das ganze Land von Bedeutung. Die Wände sind mit gemeißelten Steinen ausgestattet und reich an Ornamenten. Westlich der Hauptkirche liegt die ältere Erlöserkirche, sowie ein Wohn- und ein Wehrturm.
Immer weiter auf der Straße Richtung Tiflis wird das Land ebener. Mzcheta, die einstige Landeshauptstadt, ist bekannt für ihre historischen Anlagen. Ihre mehr als 3.000jährige Geschichte erzählt viel über die Kultur. Hier steht auch die berühmte „Sweti-Zchoweli-Kathedrale“ („Kathedrale der lebensspendenen Säule“). Ein Gewand von Jesus soll hier gefunden worden sein. Mzcheta ist, wie viele Regionen Georgiens, überreich an Schätzen, die zum Weltkulturerbe der UNESCO zählen und den Kaukasus als „Völkerpforte“ legendär machen. Keinen anderen geographischen Raum haben so viele unterschiedliche Völker geprägt.
Mehr als 200 Kilometer sind zurückzulegen, bis die heutige Landeshauptstadt Tiflis das Ende der „Georgischen Heerstraße“ bedeutet. Vier Stunden dauert die Fahrt über schlaglochreiche Straßen, Steilpässe und dichte Nebelschwaden. Allmählich wird der Verkehr dichter. Die hektische Metropole Tiflis kommt abends zu Ruhe, wenn der heraufziehende Regen die Straßen fast menschenleer spült.