Europaskeptiker gewinnt Parlamentswahl in Polen
Warschau (n-ost) - Die Wahlen zum polnischen Parlament haben dem Land die politische Wende zu Gunsten des bürgerlichen Lagers gebracht: Im nächsten Sejm wird eine große Koalition unter Führung der nationalkonservativen „Partei Recht und Gerechtigkeit“ (PiS, 28,3 Prozent) mit der liberalkonservativen Bürgerplattform (PO, 26,5) regieren. Ob das für eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Sejm reicht, stand am Wahlabend noch nicht fest. Das endgültige Wahlergebnis wird für Dienstag erwartet. Die bislang regierenden Ex-Kommunisten (SLD) sind mit 11 Prozent überraschend die dritte Kraft im Sejm noch vor den ultrapopulistischen Parteien Samoobrona (Selbstverteidigung, 10,3 Prozent) und der nationalen „Polnischen Familienpartei“ (LPR, 8,3 Prozent). Auch die polnische Bauerpartei (PSL, 5,7 Prozent) hat es über die Fünf-Prozent-Hürde geschafft. Die deutsche Minderheit wird mit einem Sitz – statt bisher zwei Sitzen – im neuen Sejm vertreten sein. Die Wahlbeteiligung lag bei 40 Prozent. Diese Zahlen ergeben sich aus der Hochrechnung des Meinungsforschungsinstitut GFK für den Nachrichtensender TVN 24. Andere Institute kamen nur zu unwesentlichen Abweichungen.
Was das neue Kräfteverhältnis für die 39 Millionen Polen und die Außenpolitik bedeutet, hängt nun von der Rollenverteilung innerhalb der künftig regierenden großen Koalition ab – die von der Partei PiS des 56-jährigen promovierten Juristen Jaroslaw Kaczynski geführt werden wird. PiS konnte sich knapp vor der liberalkonservativen PO (Partnerpartei der CDU) seines künftigen Koalitionspartners Jan Rokita, 46, durchsetzen.
PO und PiS hatten bereits vor Monaten eine große Koalition angekündigt, die am Wahlabend von beiden Parteien bestätigt wurde. Beide haben ihre Wurzeln in der Solidarnosc-Bewegung der 80er Jahre – auf unterschiedlichen Flügeln. Als Premierminister will Kaczynski sich für eine „starken Staat“ einsetzen. In seinem Auftritt vor Parteianhängern am Wahlabend sprach er davon, „ein starkes Polen zu schaffen“, das sich auf nationale Traditionen und die eigene Geschichte beruft. Kaczynski ist ein Sozialkonservativer, der die angekündigten Wirtschaftsreformen der Bürgerplattform im Wahlkampf stets als „liberale Experimente“ abgetan hat. Die PiS fordert ein verschärftes Strafrecht – bis hin zur Todesstrafe. Außenpolitisch führte Kaczynski im Wahlkampf einen Konfrontationskurs in Richtung Russland, Deutschland und EU. Zwei Tage vor der Wahl warf er dem russischen Präsidenten Putin noch vor, dass sein Umgang mit polnischen Diplomaten schlimmer sei als die Methoden, denen Hitler sich bedient hätte. Bei anderer Gelegenheit beschwerte er sich gegen die – aus seiner Sicht – Bevormundung deutscher Politiker gegenüber Polen.
Noch am Wahlabend allerdings schlug er vor, dass der liberale Jan Rokita als Vize-Premier das Amt des Außenministers übernehmen könne. Das sei eine „europäische Tradition“. Rokita selbst gratulierte dem Wahlsieger gefasst, wollte aber unmittelbar nach der Wahl nicht auf dieses Angebot eingehen. Er ist mit einer deutschen Frau, Nelli Rokita, verheiratet, die in der ehemaligen Sowjetunion aufgewachsen ist und lange in Deutschland gelebt hat. Die Bürgerplattform hat mit diesem Ergebnis einen starken Dämpfer für die angekündigten radikalen Wirtschaftsreformen erhalten: Rokita steht für ein lineares Steuersystem, bei dem Einkommens-, Mehrwert- und Gewerbesteuer auf jeweils 15 Prozent gesenkt werden, die Entbürokratisierung des Staatsapparates und einen kurzen Weg Polens in die Euro-Zone. Kaczynski will keinen schnellen Euro.
Der Wahlausgang wird auch die kommende Präsidentschaftswahl (9. Oktober) beeinflussen. Dort führt Rokitas Parteifreund Donald Tusk die Umfragen deutlich vor dem Zwillingsbruder von Jaroslaw Kaczynski an, dem Warschauer Buergermeister Lech Kaczynski (PiS). Auch bei dieser Wahl vertreten beide Kandidaten das Programm ihrer jeweiligen Partei, wie sie sich vor der Sejm-Wahl präsentiert haben. Donald Tusk gilt als großer Reformer der polnischen Wirtschaft. Und Finanzanalysten hatten von der PO kurzfristig einen Impuls für die Warschauer Börse und mittelfristig einen Anstieg des Wirtschaftswachstums erwartet.
Gemeinsamkeiten sehen PO und PiS vor allem im Kampf gegen die Korruption. Erst wenn sie dabei einen greifbaren Erfolg haben, gelingt ihnen die tatsächliche Wende. Denn die klare Entscheidung der Wähler gegen die Linke gründet auf den Skandalen der alten Seilschaften, in denen viele post-kommunistische Abgeordnete verstrickt sind, die sich vor allem bei der Privatisierung der Wirtschaft persönlich bereichert haben. Jan Rokita selbst hat sich als Ankläger in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss profiliert – gemeinsam mit dem wahrscheinlichen Justizminister Zbigniew Ziobro (PiS). Der 35-jährige Verwaltungsjurist gilt als kommender Mann bei den Konservativen und als Pragmatiker, der in einer Koalition als Bindeglied funktionieren kann.
Auch in der Frage der Vergangenheitsbewältigung sind sich PO und PiS einig: Sie beklagen, dass es nach 1989 keine Entkommunisierung gegeben hat und sich die kommunistischen Funktionäre der Macht im neuen System zuwenden konnten. Nun soll es eine ausgebliebene Öffnung sämtlicher Geheimdienstakten geben. Gemeinsam mit den Erfolgen im Kampf gegen die Korruption soll das zur „moralischen Erneuerung“ führen. Fest steht jetzt schon, dass es einen Generationswechsel in der polnischen Politik gegeben hat.
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