Polen

Kwasniewski und das Ende des Post-Kommunismus

WARSCHAU (n-ost) - An einem Runden Tisch haben sie beide gesessen, Hans Modrow und Aleksander Kwasniewski. Im Deutschland und im Polen der Wendezeit. An Runden Tischen saßen sie als kommunistische Funktionäre den Bürgerrechtlern vom „Neuen Forum“ und von der „Solidarnosc“ gegenüber. Während der letzte DDR-Ministerpräsident Modrow danach politisch kaum eine Rolle mehr spielte, ging es für Kwasniewski in Polen bald wieder steil nach oben. Der ehemalige Jugendminister der „Sozialistischen Volksrepublik“ brachte es bis zum Präsidenten und führte sein Land während seiner zehnjährigen Amtszeit in die einst verhasste NATO und in die Europäische Union. Dabei kam er beinahe täglich am alten Runden Tisch vorbei, der heute als Museumsstück im Erdgeschoss des Warschauer Präsidentenpalastes steht.



In den kommenden Wochen nun läuft Kwasniewskis zweite und letzte Amtszeit aus. Gleichzeitig steht Polen ein Rechtsruck bevor. Die Wahlen – zum Parlament am 25. September und für das Präsidentenamt zwei Wochen später – werden allen Umfragen zufolge die bürgerlichen und rechtskonservativen Parteien deutlich gewinnen. Den Sozialdemokraten, wie sich die Post-Kommunisten längst nennen, steht nach langen Jahren des Regierens ein Desaster ins Haus. Für mehr als ein paar Plätze auf den Hinterbänken des Parlaments wird es kaum reichen. Das polnische Volk ist der Skandale müde, in die über alte Seilschaften beinahe jeder post-kommunistische Abgeordnete verwickelt zu sein scheint. Sie erst haben eine Diskussion über die Vergangenheit des Landes ausgelöst, die in der Ex-DDR bereits vor 15 Jahren stattfand.



Verursacht wurde die erhebliche Zeitverzögerung durch den so genannten „dicken Strich“, den 1989 der erste nichtkommunistische Premierminister Tadeusz Mazowiecki unter die polnische Vergangenheit gezogen hat. Der „dicke Strich“ schob die Vergangenheit bei Seite, der Versöhnung wegen, frei nach der polnischen Bauernregel „die Wahrheit schmerzt, deswegen muss man sie nicht immerzu erwähnen“. Anders als in Deutschland wurden in Polen die Akten der Sicherheitsdienste aus der Volksrepublik unter Verschluss gehalten. Eine Stasi-Übeprüfung, wie deutsche Eliten sie regelmäßig über sich ergehen lassen müssen, hat es in Polen nur in Einzelfällen gegeben.



Ausgerechnet Adam Michnik, ein ehemaliger Dissident und Herausgeber der meinungsführenden Tageszeitung „Gazeta Wyborcza“, gehört zu den entschiedensten Befürwortern des Schlussstrichs. Die von den nationalkatholischen Kräften Anfang der neunziger Jahre lautstark geforderte Entkommunisierung vergifte das öffentliche Leben und führe zu einer Hexenjagd, warnte Michnik, der sich mit General Wojciech Jaruzelski dazu öffentlich zu einer Aussprache traf. Der General war 1981 für die Verhängung des Kriegsrecht und die Verfolgung der „Solidarnosc“ verantwortlich.



Die Rechnung über dem „dicken Strich“ schien aufzugehen: Während Deutschland durch den Sumpf der Stasiakten watete, feierte Polen in den neunziger Jahren seine wirtschaftliche Freiheit. Die Wahl Aleksander Kwasniewskis 1995 zum Präsidenten symbolisierte die erfolgreiche Integration der alten Kräfte. Nicht der Solidarnosc-Kämpfer Lech Walesa, sondern der Wendekommunist wurde zum Hoffnungsträger des neuen Polen. Mit Leszek Miller brachte es dann nach der Jahrtausendwende ein zweiter ehemaliger kommunistischer Jungfunktionär zum Premierminister.



Doch mit den Postkommunisten kamen die Affären um Korruption bei der Privatisierung ehemaliger Staatbetriebe. Allen voran der größte polnische Konzern, der Öl-Multi PKN Orlen, der auch in Deutschland Tankstellen betreibt und einen fortlaufenden Untersuchungsausschuss des polnischen Parlaments beschäftigt: Zahlreiche linke Politiker steckten sich bei der Privatisierung vermutlich die Taschen voll. Nach Leszek Miller stürzte vor wenigen Tagen der sozialdemokratische Präsidentschaftskandidat Wlodzimierz Cimoszewicz über die Affäre und zog entnervt seine Kandidatur zurück. Und zum Ende seiner Amtszeit droht auch Kwasniewski selbst in den Strudel aus Verdächtigungen zu geraten. Der Parlamentsausschuss zur Affäre will ihn und sechs weitere Politiker wegen Amtsmissbrauchs vor ein Sondergericht stellen.



Polen sei reif für eine moralische Erneuerung, für eine „IV. Republik“, wie Bronislaw Wildstein den Wechsel nennt. Der Warschauer Journalist hatte im Januar 2005 unerlaubt eine Liste mit 160 000 Personen aus dem „Institut des Nationalen Gedenkens“ (IPN) - der polnischen Variante der Birthler-Behoerde - veröffentlicht. Auf der „Wildstein-Liste“ stehen Menschen, über die der polnische Geheimdienst eine Akte angelegt hatte. Täter genauso wie Opfer. Bis Anfang 2005 hatten sich erst 25 000 Polen beim IPN um Akteneinsicht bemüht. Zum Vergleich: In Deutschland waren es seit 1992 mehr als 2,2 Millionen Personen, darunter auch viele Journalisten, für die das in Polen nur sehr eingeschränkt möglich ist.



„Wildsteins Liste“ wurde zum Riesenskandal und wirbelte urplötzlich die Vergangenheit des Landes wieder auf, die so fein säuberlich zugeschaufelt worden war. Vor allem die Konservativen profitieren nun davon. Das prominente rechtskonservative Brüderpaar Lech und Jaroslaw Kaczynski von der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), die voraussichtlich Teil in einer bürgerlichen Koalition werden wird, bezeichnet die ausgebliebene Entkommunisierung als Geburtsfehler der III. Republik. Die ausgebliebene Debatte solle nun nachgeholt werden. Verbündete haben sie in der rechtsliberalen Buergerplattform (PO) gefunden, die voraussichtlich den neuen Premierminister Polens und mit Donald Tusk den Nachfolger von Aleksander Kwasniewski stellen wird. „Klar will ich eine vollständige Öffnung der Akten“, kündigt Tusk bereits an. Wenn er demnächst am Runden Tisch vorbei zu seinem Arbeitsplatz im Präsidentenpalast geht, könnten die Zeiten des „dicken Strichs“ nunmehr endgültig zu Ende gehen.



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