Polen

Ausflug in verwunschene Schilflandschaften

Olsztyn (n-ost) Leise plätschert das Wasser am Bug des Kanus. Das Schilf wispert im Wind, blauschimmernde Libellen surren über die Wasseroberfläche. Eine setzt sich auf die Spitze des Bootes- zarte Galionsfigur und kurzzeitige Begleiterin auf dem Weg die Krutynia abwärts Richtung Ruciane Nida.
Die Reise beginnt in Sorkwity, einer Ortschaft 80 Kilometer östlich von Olsztyn, der Hauptstadt der Region Ermland und Masuren. Hier am Lampackie-See hatten abwechselnd polnische und deutsche Adelsfamilien ihren Sitz auf dem Gut Sorkwity.
An seinem Ufer sieht man die letzten Häuser hinter Bäumen, dann zeigt sich für eine Weile kein Zeichen mehr von Zivilisation. Auf den ersten zehn Kilometern sind drei langgezogene Seen zu durchqueren, die durch schmale Zuflüsse miteinander verbunden sind. Der Blick auf kiefernbestandene Ufer wechselt sich ab mit Schilflandschaften, die den Blick auf die Verbindungen zwischen den Seen oft erst bei genauerem Hinschauen freigeben.
Der erste Abschnitt der Krutynia-Route wirkt wie ausgestorben. Andere Boote sind selten zu sehen, erst abends auf dem Campingplatz gibt es den Beweis, dass man nicht alleine unterwegs ist und auch die Bekanntschaften vom Vortag die Krutynia weiter entlang paddeln. Auf dem Wasser dagegen trifft man sich selten. Dafür sind am Ufer immer häufiger Spuren von Bibern zu entdecken: Gefällte und angenagte Bäume, eine Biberburg, deren Bewohner sich aber nicht blicken lassen. Für die fehlenden Biber entschädigt bei der Weiterfahrt eine Kranichkolonie am Biale-See. Schon von weitem kündigt sie sich durch die trompetenartigen Rufe der eleganten Vögel an. Morgens und abends kann man immer wieder ganze Schwärme über dem See kreisen sehen.
Nach 23 Kilometern am Ortseingang des Dörfchens Babieta müssen die Boote das erste Mal umgetragen werden. Zum Glück gibt es auf der gesamten Route nur fünf Mal Umtragestellen,- an den meisten werden Bootswagen verliehen. Jugendliche verdienen sich hier ein Trinkgeld, laden die Kanus samt Gepäcktonnen und Packsäcken auf klapprige Karren und schaffen sie auf dem Landweg übers Wehr. Ein wenig halsbrecherisch sieht das aus, wenn sie den schwankenden Wagen die Böschung hinaufzerren und auf der anderen Seite wieder hinunterschlittern. Aber Anpacken gilt nicht, die Jungs wollen das alleine schaffen.
An der Umtragestelle in Babieta lohnt sich ein Spaziergang durchs Dorf. Dunkle Holzhäuser und herbstlich bunte Bauerngärten reihen sich hier zu einer ländlichen Kulisse aus schon vergangen geglaubten Zeiten.
Der Zyzdroj-See ist der erste größere See, durch den die Krutynia-Route in ganzer Länge führt. Kleine Inseln mit Biwakplätzen laden hier zum Zelten ein. Abends am Strand im Licht der untergehenden Spätsommersonne überkommt einen das Gefühl, als Familie Robinson an unbewohnten Ufern gelandet zu sein. Ein Fischotter schwimmt vorbei, ein Kormoran taucht nach Fischen, die tiefe Stille wird nur von Enten unterbrochen, die im Schilf quaken.
Das Herzstück der Paddelroute ist die Krutynia. 27 Kilometer lang schlängelt sich das oft nur ein Meter tiefe Flüsschen durch die Johannisburger Heide. Die Bäume am Ufer bilden einen grünen Tunnel, Eisvögel jagen nach kleinen Fischen im klaren, schnell fließenden Wasser.
Beliebtester Ferienort an der Krutynia ist Krutyn, in dessen Umgebung buntes Treiben auf dem Wasser herrscht. Neben den Touristengruppen, die sich mit Kähnen über das Flüsschen staken lassen, sind hier vor allem Tagesausflügler im Kanu unterwegs. Gruppen, die im Zickzack die Krutynia entlang paddeln und Familien, die mit Kind und Schosshund auf dem Arm, den Proviantkorb zwischen den Sitzen verstaut, sich gemütlich flussabwärts treiben lassen. Kommunikativ geht es zu: Beim Überholen müssen Warnungen gerufen werden, manchmal auch Entschuldigungen, wenn doch ein Kanu das andere gerammt hat, und ein älteres Ehepaar erkundigt sich lachend bei den deutschen Touristen, ob sie in den großen, blauen Gepäcktonnen etwa Benzin transportieren.
Am Ufer machen Kinder lohnende Geschäfte. Porzellanenten als Souvenir, einen Blumenstrauß oder soll es doch lieber ein Blaubeerhörnchen sein? Der Steg wird zum Flohmarkt.
Knapp eine halbe Fahrtstunde hinter Krutyn ist es dann wieder ruhig. Die Krutynia fließt hier durch eine weitläufige, verwunschen wirkende Schilflandschaft. Seitenarme des Flusses winden sich um Inseln, auf denen abgestorbene Bäume ihre kahlen Äste in den Himmel recken.
Eine kleine Kapelle mitten in der Krutynia zeigt an, dass wieder eine Ortschaft nahe ist. Auf einem Pfahl steht sie im Wasser, hinter Glas eine Jesusfigur aus Treibholz und eine Plastikmargerite. Hinter der nächsten Biegung liegt Ukta. Von hier aus ist es nicht weit zum Kloster in Wojnowo, das 1823 von russischen Altgläubigen, den Philliponen, gegründet wurde.
Drei Kilometer hinter der Krutynia-Mündung im Gardynskie-See mit seinen riesigen Seerosenfeldern grenzen am linken Ufer Holzpalisaden das Gelände eines Feilichtmuseums und Hotels ab. Skulpuren- große, wild dreinblickende Figuren aus Holz- erinnern die Reisenden daran, dass sie durch eine Landschaft fahren, in der einstmals Perkunos in heiligen Hainen herrschte. Er wurde als Gott des Donners und der Sonne von den Galindern verehrt, einem Prussenstamm, der in Masuren lebte, bevor die Ritter des Deutschen Ordens den Stamm im 13. Jahrhundert vernichteten.
Heutzutage spielen die Hotelgäste des „Galindia“ das Leben der Prussen, ihre Sitten und Bräuche nach. Ein altprussischer Abenteuerspielplatz für ruhebedürftige Stadtbewohner.
Für die Paddler ist es mit der Ruhe vorbei, sobald sie sich auf den Beldanysee hinauswagen. Zwar gilt er als einer der schönsten Seen Masurens, mit kleinen Booten ist seine Überquerung aber ungemütlich. Wellen bringen das Kanu zum Schaukeln, Segel- und Motorboote kreuzen den Weg. Der Beldany-See markiert damit das Ende des ruhigen Naturerlebnisses auf der Krutynia-Route. Von hier an werden die Schiffe immer größer und spätestens beim Anblick der Ausflugsdampfer am Hafen von Ruciane-Nida, dem Ende der Reise, hat man sich wieder an die Zivilisation gewöhnt.


*** Ende ***


Informationen zur Krutynia-Route:

Reisezeit: Empfehlenswert ist die Vorsaison im Mai und die Nachsaison ab dem 1. September, nach dem Ende der polnischen Schulferien.
Anreise: Mit dem Flugzeug nach Warschau oder Danzig. Von dort aus mit dem Zug nach Olsztyn (Zugfahrpläne unter www.pkp.pl - auch auf Deutsch). Von Olsztyn aus fahren fast stündlich Busse nach Sorkwity.
Mit dem Zug von Berlin aus mit dem Berlin-Warschau-Express nach Posen. Von dort aus Direktverbindungen nach Olsztyn.
Mit dem Auto von Olsztyn aus auf der Strasse 16 Richtung Mragowo. Der Verleiher AS-TOUR bietet kostenlose bewachte Parkplätze für die Zeit der Kanureise an. Der Transport zur Einstiegsstelle und vom Endpunkt der Route aus zurück nach Krutyn kosten umgerechnet 20 Euro pro Boot.
Unterkünfte: Die Campingplätze und die Feriendörfer des polnischen Touristenverbandes PTTK sind in der Regel vom 1. Mai bis zum 30. September geöffnet. Eine Nacht im Zelt kostet hier durchschnittlich 6 Euro pro Person, die Übernachtung im Campingblockhaus 8 Euro pro Person.
Pensionen gibt es in allen Ortschaften entlang der Route.
Bootsverleih und Ausrüstung: AS Tour (www.splywy.pl),Masuren-Team (www.masurenteam.pl). Auf beiden Internetseiten Informationen auf Deutsch. Auch beim Touristenverband PTTK in Sorkwity können Boote und Ausrüstung ausgeliehen werden. Preise für den Bootsverleih pro Tag: zwischen 5 und 10 Euro.
Die Leihgebühr für Boote und Ausrüstung wird vor Ort gezahlt, Verlängerungen sind spontan möglich und werden am Ende der Tour abgerechnet. Eine Festlegung auf das Routenende im Voraus ist nicht notwendig, die Verleiher holen die Paddler überall entlang der Strecke ab.
Streckenbeschreibungen und Karten:
- Stein, Conrad, Meyer-Fembach,Frank: Outdoor-Handbuch Bd. 96, Polen: Kanutouren in Masuren, Conrad-Stein-Verlag 2002, ISBN: 3-89392-638-0
- Kwaczonek, Marek: Kanuführer Krutynia, Pollner Verlag 2005, ISBN: 3-89392-638-0 Streckenbeschreibungen auf Deutsch und Karten sind außerdem vor Ort bei der PTTK-Station in Sorkwity erhältlich.



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