Ukraine

„Die Bundesrepublik ist ein offenes Land“ / Interview mit dem deutschen Botschafter Dietmar Gerhard Stüdemann in Kiew

Dietmar Gerhard Stüdemann ist seit dem Jahr 2000 Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Kiew. Ins Rampenlicht geriet Stüdemann unfreiwillig infolge des Visa-Untersuchungsausschusses, durch den die Opposition die rot-grüne Regierung im Frühjahr 2005 in die Defensive zwang und der möglicherweise eine wahlentscheidende Wirkung zukommt. n-ost Korrespondentin Marianna Kavka sprach mit Stüdemann über die Affäre, deren längerfristigen Auswirkungen auf die deutsch-ukrainischen Beziehungen und über die Ukraine-Politik einer möglichen Kanzlerin Angela Merkel.


Herr Stüdemann, hat die Visa-Affäre das deutsch-ukrainische Verhältnis nachhaltig belastet?

Stüdemann:
Ich habe den Eindruck, dass die Visa-Affäre das Verhältnis nicht wirklich belastet oder betroffen hat. Die Flexibität des deutschen Visa-Systhems hat sich insgesamt als richtig erwiesen. Wenn man von massenweisem Visa-Missbrauch spricht, sollte man vielleicht auch von den hunderttausenden ukrainischen Staatsbürgern reden, die dank der flexiblen Visa-Regelung in den vergangenen Jahren nach Deutschland reisen konnten, die wieder zurückgekehrt sind und mit ihren Erfahrungen im Westen schließlich zu Trägern der Orange-farbenen Revolution geworden sind.

Die Deutsche Botschaft in Kiew hat also keine Fehler gemacht?

Stüdemann:
Dass es zu Missbrauch gekommen ist, steht außer Frage. Ich kann für die Deutsche Botschaft in Kiew sagen, dass wir uns die größten Mühen gegeben haben, kriminelle Strukturen bei der Visa-Vergabe zu verhindern. Wenn es nicht in allen Fällen gelungen ist, hing dies vor allem mit der Beschneidung unseres Instrumentariums zusammen, das uns nicht mehr in die Lage versetzt hat, mit der nötigen Intensität auch eine Tiefenprüfung der Visa-Anträge vorzunehmen.

Mit welchen Problemen hatte die deutsche Botschaft in Kiew genau zu kämpfen?

Stüdemann:
Wir haben es mit aller Deutlichkeit von Anfang an gesagt, die Archive und die Registraturen belegen es, wo wir die Gefahren gesehen haben. Die Botschaft ist zunehmend zum Bollwerk gegen Visa-Fälschung gemacht worden. Dabei hätte es in stärkerem Masse des Eingreifens und auch der koordinierten Mitwirkung der Innenbehörden bedurft. Vor allem die Behörden der Bundesländer, nämlich die regionalen Ausländerbehörden hätten bei der Dokumentensicherung und Prüfung der Antragsteller einbezogen werden müssen.

Am 1. Mai 2005 hat die Ukraine die Visapflicht für Deutsche und andere EU-Bürger aufgehoben. Ukrainische Staatsbürger, die in die EU einreisen wollen, müssen dagegen immer noch Visa vorweisen. Zudem handhabt die deutsche Botschaft nach den negativen Erfahrungen in der Vergangenheit die Vergabe sehr restriktiv. Wird sich das in Zukunft wieder ändern?

Stüdemann:
Mit der Aufhebung der Visapflicht hat die Ukraine einen klugen Schritt getan. Zumal die Zahl der Ukraine-Reisenden, insbesondere der Investoren und Touristen, stetig zunimmt. EU-Bürger werden jedoch nicht massenweise in die Ukraine strömen, um sich ihren Lebensunterhalt zu sichern. In der wirtschaftlich und sozial schwächeren Ukraine besteht diese Tendenz allerdings nach wie vor. Deshalb wird es für Deutschland auch über einen größeren Zeitraum hinweg notwendig sein, die Beziehungen der Menschen untereinander mit Hilfe von Visa zu organisieren.

Für ukrainische Staatsbürger wird es demnach keine Erleichterungen bei der Ausreise nach Deutschland geben?


Stüdemann: Man wird sich zwischen Brüssel und Kiew sicher verstärkt in Zukunft darüber unterhalten, ob es eine größere Flexibilität geben kann. Schon heute erlaubt das Schengener Abkommen ja in besonderen Fällen die Erteilung langfristiger Visa, die bis zu fünf Jahren gelten. Man darf hierbei auch nicht vergessen, dass die Bundesrepublik das höchste Visa-Aufkommen nach Polen im gesamten europäischen Raum vorzuweisen hat. Das zeigt, dass die Bundesrepublik ein offenes Land ist, und das sie ein Interesse daran hat, den Austausch von jungen Menschen, Geschäftsleuten, Journalisten, Politikern und Wissenschaftlern zu fördern.

Wird ein Regierungswechsel in Berlin die Beziehungen zur Ukraine verändern?

Stüdemann:
Nein. Die letzten Konsultationen zwischen dem Bundeskanzler und dem ukrainischen Präsidenten Juschtschenko haben mit aller Deutlichkeit gezeigt, dass die deutsche Regierung die Ukraine als einen strategischen Partner ernst nimmt. Juschtschenko ist im deutschen Parlament mit Enthusiasmus empfangen worden und mit der Bereitschaft, die Beziehungen weiter zu intensivieren. Das haben auch die politischen Gespräche mit Angela Merkel gezeigt. Darauf kann man im Fall eines Regierungswechsels aufbauen.


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