“Das Zentrum gegen Vertreibung können wir niemals akzeptieren“
WARSCHAU (n-ost) - Donald Tusk (49) ist Parteichef des rechtsliberalen Bürgerforums (PO), der Partnerpartei der CDU in Polen. Er führt zur Zeit sämtliche Umfragen für die Präsidentschaftswahlen am 9. Oktober klar an. Auch bei den polnischen Parlamentswahlen am 25. September hat Tusks Partei beste Chancen auf den Posten des Premierministers. Besonders mit seiner Forderung, die polnischen Steuersätze pauschal auf 15 Prozent abzusenken, hat der gelernte Historiker für Furore gesorgt.
Tusk ist verheiratet, hat drei Kinder und wohnt im mondänen polnischen Badeort Sopot bei Danzig. Der Favorit für das polnische Präsidentenamt und die CDU-Vorsitzende Angela Merkel haben sich zuletzt mehrfach in Berlin und Warschau getroffen.
Herr Tusk, Sie gelten in Polen als der Präsidentschaftskandidat mit der größten Wirtschaftskompetenz: Das durch den Beitrittsboom ausgelöste Wirtschaftswachstum von bis zu sechs Prozent ist in den vergangenen Monaten deutlich abgeflacht, wie wollen Sie es wieder ankurbeln?
Meine Ansicht war es schon immer, dass die Chance für die polnische Wirtschaft – auch nach deren EU-Beitritt – in der Deregulierung des Marktes liegen, also auch in Steuersenkungen. Wir sind uns aber auch dessen bewusst, dass es noch lange dauern wird, bis wir innerhalb der EU wettbewerbsfähig sind - bezogen auf das Kapital und die neueste Technologie. Aber unsere Stärken liegen bei den niedrigen Arbeitskosten und den Kompetenzen unserer Arbeitnehmer. Wir haben sehr qualifizierte Arbeitskräfte, denn die Polen haben begriffen, welche Chancen die Bildung nach sich zieht. Ich bin stolz auf den Bildungsboom in Polen, die Leute hier wollen lernen und ich glaube, dass wir auch darauf stolz sein dürfen, dass wir die höchste Studentenrate in der EU haben.
In Deutschland sorgt der designierte CDU-Finanzminister Paul Kirchhof mit dem Ziel, den Steuersatz auf 25 Prozent abzusenken, für Wirbel. Sie selbst werben sogar mit der Steuerformel drei mal 15: Das heißt, drastische Absenkung der Mehrwertsteuer, Einkommenssteuer- und Gewerbesteuer, ist das nicht sehr gewagt?
Unser Angebot drei mal 15 bringt mit den Steuersenkungen und der gleichzeitigen Streichung der Freibeträge eine radikale Vereinfachung des Steuersystems mit sich. Wir sind uns aber dessen bewusst, dass wir wegen der Haushaltsdisziplin, die wir beibehalten müssen, weil wir der Eurozone beitreten wollen, andere Quellen finden müssen, um den Haushalt zu schließen.
Es gibt verschiedene Dinge, die zwischen Deutschland und Polen in den nächsten Jahren geregelt werden müssen: Beispielsweise die Freizügigkeit auf dem Arbeitsmarkt und bei den Dienstleistungen. Da gibt es Gesetze, die flexibel sind, weil Deutschland etwa die Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit für Polen aufheben kann. Erwarten sie das von einer möglichen Merkel-Regierung?
Ja, wir würden uns das sehr wünschen, und wir hoffen sehr, dass die CDU/CSU nach einem möglichen Wahlsieg eine Liberalisierung des Marktes voran bringt, die unseren Vorstellungen entgegen kommt. Ich habe schon immer gesagt, dass die Liberalisierung der Märkte für alle in der EU eine Chance ist. Und deshalb hoffe ich, dass die Erfahrung der polnischen Firmen in Berlin, wo sie aus unserer Sicht all zu streng kontrolliert werden und in ihrer Freizügigkeit beschränkt werden, nicht andauern. Es wird wohl auch nicht mehr lange dauern, bis Deutsche sich einen Arbeitsplatz in Polen suchen werden – und auch dann sollte der Markt offen sein.
Angela Merkel tritt für ein „Zentrum gegen Vertreibung“ in Berlin ein und stellt sich damit hinter ihre in Polen so umstrittene Parteifreundin Erika Steinbach vom Bund der Vertriebenen. Können sie das akzeptieren?
Nein! Die Polen können das niemals akzeptieren, unabhängig davon, wer in Deutschland die Regierungsverantwortung hat.
Zuletzt gab es auch starke polnische Kritik an der neuen Ostsee-Gaspipeline, die Bundeskanzler Schröder mit seinem Freund Wladimir Putin vereinbart hat und die polnisches Territorium bewusst ausspart. Wollen Sie die nächste deutsche Regierung in diesem Punkt zum Umdenken zwingen?
Vor einigen Wochen haben wir schon mit Frau Merkel über die Ostsee-Pipeline gesprochen. Aber wir sind da leider zu keinem Ergebnis gekommen. Ich befürchte, dass sowohl die jetzige Bundesregierung, als auch die nächste einen Standpunkt vertreten wird, den wir schwer begreifen können. Denn die Ostsee-Pipeline ist viel teurer als die beiden Alternativen, die auf dem Tisch liegen: Das ist zum einen die Erweiterung des bereits existierenden Jamalsystems – und die andere durch das Baltikum . Wir begreifen nicht, warum in so einer Situation die deutsche Bundesregierung darauf beharrt, dass ein so viel teueres Projekt realisiert wird
Außenpolitische Unterschiede zwischen Deutschland und Polen gibt es auch im Verhältnis zu den USA, wenn es um den Militäreinsatz im Irak geht. Werden Sie als Präsident dafür sorgen, die polnischen Truppen aus dem Irak abzuziehen?
Ich sehe die Chancen einer großen Veränderung der deutschen Position in Bezug auf das Verhältnis zu Amerika. Ich glaube, dass sich nach einem möglichen Wahlsieg der CDU/CSU die deutsche Position in Bezug auf die transatlantischen Beziehungen verändern, und sich der polnischen annähern wird. Die polnische Position in Bezug auf den Irak war sehr gut durchdacht und konsequent. Die Grundvoraussetzung für unsere Politik ist die Gemeinschaftlichkeit zwischen Europa und Amerika und ich glaube, dass wir alles tun sollten, um die aufrecht zu erhalten. Denn die enge Zusammenarbeit zwischen Europa und den USA ist lebensnotwendig. Was die Anwesenheit unserer Soldaten im Irak anbetrifft: Die war ein Element dieser Gemeinschaftlichkeit. Es war notwendig, unsere Soldaten dorthin zu schicken, um diese Gemeinschaftlichkeit aufrecht zu erhalten, das war eine richtige Entscheidung. Ich glaube, dass wir uns bei den Überlegungen über einen möglichen Rückzug unserer Soldaten aus dem Irak von den Terroristen aber nicht unter Druck setzen lassen dürfen. Wir dürfen nicht unter dem Druck des Terrors kapitulieren, so wie es andere Länder getan haben.
Polen hat momentan eine schwierige Beziehung zu Weißrussland, weil dessen Präsident Aleksander Lukaschenko dort die polnische Minderheit im Land drangsaliert. Welche konkreten politischen Schritte erwarten Sie von Deutschland, wenn es um Weißrussland geht?
Es steht außer Frage, dass wir in Europa generell auf die Einhaltung der Menschenrechte drängen müssen. Egal ob Lukaschenko eine Nähe zu Putin hat, oder ob etwa China eine Großmacht ist. Ich muss ganz ehrlich sagen, dass mich die Gespräche mit Frau Merkel in dieser Hinsicht optimistisch stimmen. Ich glaube, dass Deutschland und Polen in der EU eine Vorreiterrolle übernehmen können, um daran zu erinnern, dass die EU eine Macht ist, die auf der Aufrechterhaltung und Durchsetzung der Menschenrechte beharrt. Dabei geht es auch um die Rechte nationaler Minderheiten, wie der polnischen, die jetzt in Weißrussland von Lukaschenko mit Füßen getreten werden.
Im nächsten Jahr sind Präsidentschaftswahlen in Weißrussland. Werden Sie als möglicher nächster polnischer Präsident die Opposition in Weißrussland unterstützen, um Aleksander Lukaschenko zu stürzen?
Ich habe da keine Illusionen, auch nach meiner letzten Reise ins weißrussische Grodno (Anm. des Autors.: Stadt im Westen des Landes, in der ein Großteil der polnischen Minderheit lebt) weiß ich, dass der Weg der Weißrussen zur Demokratie wirklich lang sein wird, und dass Veränderungen dort nicht von heute auf morgen passieren werden. Ich glaube die Weißrussen müssen diese Entscheidung selbst treffen. Sie müssen die andere Alternativen wählen. Es ist aber die Pflicht der EU, diejenigen zu unterstützen, die demokratische Veränderungen dort durchsetzen wollen. Deutschland und Polen haben hier eine sehr wichtige Aufgabe zu erfüllen … nämlich, dass wir den freien Zutritt für freie Informationen für Weißrussland zur Verfügung stellen, und hier beziehe ich mich nicht nur auf das deutsche Angebot, im Auslandssender „Deutsche Welle“ Programme für Weißrussland auszustrahlen, sondern vielleicht auch einen gemeinsamen Sender zu entwickeln, der die richtigen Informationen nach Weißrussland sendet …
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