Polen

Gartenzwerge gegen die Arbeitslosigkeit


Nowa Sol (n-ost) – Würde Grzegorz Nowak in Deutschland leben, er wäre ein guter Kandidat für „Was bin ich?“. Der 60-Jährige Pole ist Gartenzwergproduzent aus Nowa Sol (Neusalz) an der Oder. Die Stars in seinem Sortiment sind der „Laternenträger“, der „Schubkarrenfahrer“ und der „Jäger“. Aber auch obszöne Wichte wie „Nacktarsch“, „Perverser“ und „Stinkefinger“ finden ihr Zuhause - vornehmlich in deutschen Gärten.

Die Geschichte dieses ungewöhnlichen polnischen Produktionszweiges ist schnell erzählt: Bis zum Fall der Mauer war der Gartenzwerg noch so typisch Deutsch, wie der Deutsche Schäferhund und das Reinheitsgebot für Bier. Die Zwerge wurden vor allem in Gräfenroda im Thüringer Wald produziert, wo sie 1890 auch das Licht der Welt erblickten. Anfang der 90er Jahre gingen dann im polnischen Nowa Sol, einer Stadt mit 40.000 Einwohnern in Schlesien, zwei Großbetriebe Pleite. 8.000 Menschen wurden mit einem Schlag arbeitslos. Die meisten Familien verloren ihre einzige Einkommensquelle. Doch Nowa Sol fand schnell ein Rezept gegen die Arbeitslosigkeit: die Gartenzwergherstellung für den deutschen Markt.

Fast über Nacht wurde Nowa Sol die Stadt mit den meisten Gartenzwergherstellern der Welt: 300 Betriebe wurden Mitte der 90er Jahre gezählt. Eine regelrechte Goldgräberstimmung brach aus: in Kellern, Scheunen und Garagen, überall wurden die kleinen Menschen aus Gips gefertigt. Mittlerweile aber schrumpft die Branche. Nun gibt es noch 40 Betriebe, die sich nach neuen Märkten umsehen und neben den herkömmlichen Gartenzwergen auch Tiere oder Elvisfiguren herstellen.

Nowak hat diese Entwicklung von Anfang an mitgemacht. Vor ein paar Jahren schickte er wöchentlich mindestens einen LKW mit über 4000 Gartenzwergen in 200 verschiedenen Ausführungen nach Deutschland. 60 Arbeiter hat er beschäftigt, sie verdienten bis zu 175 Euro in der Woche - so viel wie ein durchschnittlicher Monatslohn in Polen. Mit der Sättigung des Marktes in Deutschland musste er seine Belegschaft auf 20 Arbeiter reduzieren, der Wochenlohn wurde auf 40 Euro gekürzt. In der gesamten Stadt kletterte die Arbeitslosenrate auf erschreckende 35 Prozent.

Diesen schleichenden Tod der Gartenzwerge wollen die Menschen in Nowa Sol nicht mehr tatenlos hinnehmen, deshalb planen sie nun ein Gartenzwerg-Museum, das sich zum Anziehungsmagnet für Touristen entwickeln und gleichzeitig die Nachfrage nach Zwergen ankurbeln soll. Die Idee kam vom Stadtpräsidenten Wadim Tyszkiewicz persönlich. Der hatte neulich den Botschafter der Vereinigten Staaten in Polen, Victor Ashe, in der Stadt zu Gast. Der war völlig hingerissen von den Zwergen hiesiger Produktion und bat darum, selbst einen zu bekommen. Viele Amerikaner würden sich solche Zwerge aus Nowa Sol gerne anschauen, so Ashe. Daraufhin befahl Tyszkiewicz so schnell wie möglich die Einrichtung eines Museums.

„Manche denken, dass sei kitschig und vielleicht stimmt das ja auch“, erzählt Wadim Tyszkiewicz. „Aber es geht mir nicht nur um die Kunst, sondern um das Symbol. Um ein Denkmal für unsere Stadtbewohner, für ihre besonderen Fähigkeiten, ihren Fleiß und ihre Kreativität“. Eine ganze Gartenzwerginfrastruktur könnte entstehen – mit Gartenzwergpostkarten, Werbeartikeln, Gartenzwergbars und -hotels. Sogar über ein Gartenzwergfilmfestival denkt Tyszkiewicz nach. „In Nowa Sol wird bald von EU-Geldern ein neuer Oder-Hafen entstehen. Wir werden ein Touristenboot kaufen. Und was zeige ich den Touristen, wenn sie aus dem Boot aussteigen? Selbstverständlich Gartenzwerge!“, sagt Tyszkiewicz.

Die Wichte sind überall und sie inspirieren zu immer seltsameren Ideen. „Heute morgen beim Rasieren“, erzählt der Stadtpräsident, sei ihm eine neuer Gedanke gekommen. Man könne neben dem Gartenzwergmuseum doch eine Schießbude platzieren. „Die Deutschen schießen gerne auf Gartenzwerge.“ Das gelte zwar nicht als besonders human - aber man könne das ja auf andere Märchenfiguren ausweiten.

Tabus scheint es in der polnischen Gartenzwergproduktion ohnehin längst keine mehr zu geben. In den Verkaufshallen stehen nackte Wichte neben heiligsten Jesusfiguren. Hit der neuen Saison ist aber zweifellos die zwei Meter große Figur des verstorbenen Papstes Johannes Paul, die 80 Kilogramm auf die Waage bringt. Dessen Schöpfer ist der König der Gartenzwerge aus Nowa Sol, Bogdan Zakrzewski, seit Jahren ein führender Kopf in der Branche. „Der herkömmliche Gartenzwerg ist Vergangenheit“, sagt Zakrzewski. „Heute sind Dekorationsfiguren und Blumentöpfe der Trend. Mit den Papstfiguren bin ich der Nachfrage entgegen gekommen“. Billig ist der Papst nicht. Eine Figur kostet ca. 1.000 Euro. Fürs neue Museum wäre er ein idealer Blickfang.

Dass es bereits ein Gartenzwergmuseum im thüringischen Gräfenroda gibt, wusste Stadtpräsident Tyszkiewicz übrigens nicht. „Wir wollen niemandem Konkurrenz machen“, versichert er. Den Namen für unser Projekt können wir auch gerne ändern – zum Beispiel in ´Märchenfiguren-Museum`“. Ob er selbst einen Gartenzwerg im Garten stehen habe? Tyszkiewicz schüttelt lachend den Kopf. „Das wäre mir entschieden zu viel der Gartenzwerge“.


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