Polizeieinsatz bei Technoparty löst innenpolitische Krise aus und spaltet die tschechische Gesellschaft
Prag (n-ost). Die öffentliche Diskussion in Tschechien ist seit zwei Wochen nahezu ausschließlich von einem Thema beherrscht: CzechTek. Die Auflösung der gleichnamigen Technoparty im westböhmischen Bezirk Tachov am letzten Juli-Wochenende durch die Polizei hat nicht nur eine innenpolitische Krise ausgelöst, sondern auch die tschechische Öffentlichkeit gespalten – in ein Lager der Befürworter und ein etwa ebenso großes Lager der Gegner des Polizeieinsatzes. Tagtäglich finden in Tschechien Protestkundgebungen statt, zeitweise sollen sich vor dem Innenministerium auf dem Prager Letna-Plateau mehr als 6.000 Demonstranten versammelt haben – für das sonst eher demonstrationsmüde Tschechien eine bemerkenswerte Zahl. Dabei sind Technopartys in Tschechien bei weitem kein neues Phänomen, CzechTek sollte in diesem Jahr bereits zum elften Mal stattfinden.
In diesem Jahr hatte ein 1000 Mann starkes Einsatzkommando der Polizei die rund 5000 Teilnehmer – zum großen Teil aus dem Ausland angereiste Raver – unter massivem Einsatz von Tränengas und Wasserwerfern vom Ort der Veranstaltung vertrieben, bevor die Party richtig begonnen hatte. Dabei hatte es über 100 Verletzte auf beiden Seiten gegeben. Man habe Privatgrundstücke schützen wollen, die die Raver zusätzlich zu dem für die Party angemieteten Grundstück betreten hatten, so die offizielle Begründung.
Präsident Vaclav Klaus bezeichnete den Polizeieinsatz als „groben Fehler“, durch den das Land innenpolitisch weiter gespalten und das Vertrauen in die Polizei erschüttert worden sei. Die Opposition warf Paroubek, der seit seinem Amtsantritt vor gut 100 Tagen einen ungeahnten Popularitätszuwachs verbuchen konnte, eine klare politische Motivierung des Polizeieinsatzes vor. Er habe mit dem rasanten Vorgehen politische Punkte sammeln und Stärke zeigen wollen. Regierungschef Paroubek dagegen stellte sich zunächst klar hinter seinen Innenminister und verteidigte das Vorgehen: Tschechien dürfe nicht zum Ziel von «Krawalltouristen» werden. In der vergangenen Woche waren dann aber auch kritische Töne zu hören: Bublan habe die politische Seite nicht genügend berücksichtigt und hätte mit Blick auf die Wahlen im kommenden Juni eine Politisierung der Angelegenheit auf der Rechnung haben müssen, so Paroubek.
Eine Politisierung ist zweifelsohne eingetreten. Sie hat zu einem beträchtlichen Popularitätsverlust des tschechischen Ministerpräsidenten geführt, der – gerade einmal 100 Tage im Amt – zunächst einen bemerkenswerten Senkrechtstart vorgelegt hatte.
Es wird erwartet, dass sich der innenpolitische Streit auch ins Parlament verlagert, wenn das tschechische Abgeordnetenhaus am Dienstag zu einer außerordentlichen Plenartagung während der Sommerpause zusammentrifft.
In Tschechien fühlen sich viele Beobachter durch den Polizeieinsatz an alte Zeiten erinnert. Man habe bei Tachov eine „ähnlich sinnlose Demonstration von Macht“ vorgeführt bekommen, wie man sie aus der Zeit vor 1989 gewohnt sei, urteilt etwa die Wochenzeitung „Respekt“.
Gegner des Einsatzes warnen auf einer eigens eingerichteten Webseite vor dem Polizeistaat und fordern in einer Petition eine gründliche Aufklärung der Vorgänge. So habe die Polizei beispielsweise gelogen, als sie als Argument für den Einsatz angeführt hatte, ein benachbarter Grundstücksbesitzer sei mit der Veranstaltung nicht einverstanden. Der betreffende Mann hatte später in einem Zeitungsinterview bestritten, sich gegen die Technoparty ausgesprochen zu haben.
Umstritten ist vor allem die Frage, ob der massive Polizeieinsatz den Ereignissen im Vorfeld und zu Beginn der Technoparty angemessen war.
Die Kritik der Technofans sowie von Teilen der tschechischen Öffentlichkeit richtet sich in erster Linie gegen Innenminister Frantisek Bublan und Ministerpräsident Jiri Paroubek, der den Einsatz von seinem Urlaubsort aus veranlasst hatte. Dass ausgerechnet der parteilose Bublan heute für viele den Polizeistaat verkörpert, erscheint paradox. Bublan ist ausgebildeter Priester und war vor der politischen Wende selbst ein Opfer staatlicher Repressionen. Nachdem er sich der Menschenrechtsbewegung Charta 77 angeschlossen hatte, erhielt er von den Kommunisten Berufsverbot. Bublan selber verteidigte die Auflösung der Technoparty in den vergangenen zwei Wochen immer wieder gegen Kritiker. Verstöße einzelner Polizisten räumte er ein, die Zweckmäßigkeit des gesamten Polizeieinsatzes stellte er nicht in Frage. Wenn es um den Schutz von Privateigentum gehe, sei auch ein aufwändiges Polizeiaufgebot gerechtfertigt.
Bei einer ähnlichen Veranstaltung im vergangenen Jahr war der Polizei von den Medien und der Opposition Untätigkeit vorgeworfen worden, nachdem Raver tagelang unerlaubt auf fremdem Gelände gefeiert hatten. Aufgrund dieser Erfahrungen sei klar gewesen, dass man das nächste Mal nicht so zögerlich vorgehen dürfe, sagt Bublan, der wenige Tage nach CzechTek 2004 zum Innenminister ernannt wurde.
Die Technofans zogen jedoch auch ihre Lehren aus der Vorjahresveranstaltung und mieteten diesmal eine eigene Wiese an. Gleichwohl spielte sich der Beginn der diesjährigen Party offensichtlich auch auf angrenzenden Grundstücken ab. Ob dieser Umstand allerdings den Einsatz von 1000 Polizisten rechtfertigte, ist umstritten.
Ein Treffen mit Regierungschef Paroubek und Innenminister Bublan lehnten die Technofans bislang ab. Beide Politiker hätten gezielt gelogen, um den Polizeieinsatz zu rechtfertigen, hieß es zur Begründung aus den Reihen der Demonstranten.
Ex-Präsident Vaclav Havel bemüht sich gegenwärtig um Vermittlung zwischen den Demonstranten und der sozialliberalen Regierung. „Herr Havel hat einen so starken Kredit bei der tschechischen Öffentlichkeit und ist so konsequent in seinem Verhältnis zur Zivilgesellschaft, dass wohl allein er als Vermittler in Frage kommt“, sagte eine Vertreterin der Technoszene nach einem Treffen mit Havel am Freitag.
Havel, der sich mit der Bewertung innenpolitischer Ereignisse seit seinem Ausscheiden aus dem Amt bewusst zurück hält, hat im Fall von CzechTek klar Position bezogen: „Eine Technoparty ist ein bereicherndes Element für die Bürgergesellschaft, das man in unserer von Egoismus geprägten Zeit begrüßen sollte“, so Havel.
Diese Einschätzung sorgte selbst bei einigen von Havels Befürwortern für Befremden. Mit seiner allgemeinen, aus den Erfahrungen des vergangenen Regimes resultierenden Sympathie für alternative Kultur werde er dem Phänomen Techno nicht gerecht und überschätze dessen gesellschaftliche Bedeutung, hielten ihm Kritiker entgegen. Den Vorwurf des Egoismus müssten sich umgekehrt die Technofans mit ihrer rücksichtslosen Selbstbezogenheit gefallen lassen.
Eine Reihe von Künstlern stellte sich indes hinter die Technofans und kritisierte in einer Petition den Polizeieinsatz. Einige Künstler überlegten gar, den Technofans für künftige Veranstaltungen ein eigenes Grundstück zu spenden.
In einem Protestsong („Schon wieder schlagen sie Kinder“) vergleicht der bekannte Liedermacher Jarek Nohavica die jüngste Technoparty mit den Studentenprotesten vom November 1989, deren Niederschlagung die Samtene Revolution ins Rollen brachte. Damals hätte die Polizei die Studenten geschlagen, heute die Technofans. Eine Parallele, die sich auch anderen Beobachtern aufdrängt, die aber umstritten ist. Die Studenten hätten sich damals für die Menschenrechte eingesetzt, die heutigen Technofans würden nur ihre individuellen Rechte kennen und seien nicht bereit, die Rechte anderer zu respektieren, schreibt etwa eine Teilnehmerin der Studentenproteste von 1989 in einem Zeitungskommentar und lehnt jede Parallele zwischen beiden Phänomenen ab: „Wenn es eine Analogie gäbe, dann wären der Mut und die Opfer der Studenten von 1989 vergeblich gewesen.“
Regierungschef Jiri Paroubek macht keinen Hehl daraus, dass die Technoparty-Teilnehmer seiner Meinung nach keine Bereicherung, sondern eine Bedrohung für die Gesellschaft sind. Der engere Kern der Technofans bestehe aus „besessenen Menschen mit anarchistischen Neigungen“, die zudem international vernetzt seien und massive, von Alkohol und Drogen begleitete Demonstrationen gegen die friedliche Gesellschaft provozieren, schrieb der Ministerpräsident in einer Stellungnahme zur Technoparty.
Die Technofans selber unterstrichen wiederholt den unpolitischen Charakter ihrer Protestveranstaltungen. Es gehe nicht darum, gegen die eine oder andere politische Partei zu demonstrieren, sondern eine rechtsstaatliche Aufklärung der Vorgänge um den Polizeieinsatz zu fordern. Insbesondere auf die Frage, warum der Polizeieinsatz überhaupt nötig gewesen sei, habe man noch keine überzeugende Antwort bekommen.
Die Demonstranten fordern daher die Einrichtung einer unabhängigen parlamentarischen Untersuchungskommission.
Das Abgeordnetenhaus wird voraussichtlich auf einer seiner nächsten Sitzungen darüber entscheiden. Diskutiert werden soll dann auch über mögliche Gesetzesänderungen im Zusammenhang mit Technopartys und vergleichbaren Großveranstaltungen.
*** Ende ***
Silja Schultheis