Rumänien

Ganze Dörfer versinken im Schlamm


Sibiu (n-ost) - Das Wasser haben die Rumänen mittlerweile satt. Seit dem Frühling prasseln Dauerregen auf das Land herunter, am vergangenen Wochenende rollte bereits die vierte Flutwelle in diesem Jahr über Felder und Dörfer hinweg. Diesmal traten vorwiegend kleinere Bäche über die Ufer, die die Wassermassen nach stundenlangen Niederschlägen von bis zu 80 Litern auf einem Quadratmeter nicht halten konnten. Mindestens 500 Bauernhäuser sind überschwemmt worden, betroffen sind diesmal die Bukowina, das gebirgige Zentrum des Landes und erneut der flache Süden.

Die Serie fataler Überschwemmungen begann im April im Banat in Westrumänien. Vor einem Monat rollte dann eine Jahrhundertflut aus zahlreichen Flüssen über das südliche Oltenien und die Provinz Moldau im Osten des Landes. 24 Menschen kamen dabei ums Leben, 6500 Häuser wurden zerstört und Schäden in Höhe von geschätzten 672 Millionen Euro entstanden.

Beispiel Urechesti, ein moldauisches Dorf an der südlichen Grenze des Kreises Bacau, mit 4100 Einwohnern: „700 Häuser sind überschwemmt worden, über 350 Häuser sind wesentlich betroffen, auch von der Bausubstanz her, 100 Familien haben wirklich alles verloren“, berichtet Nicolae Talaba, Bürgermeister von Urechesti. „Ein Teil davon sind kinderreiche Familien, die schon vor der Flut Sozialfälle waren, und jetzt mit dem Allernötigsten – Essen und Kleidung – versorgt werden müssen“.

Eine solche Familie sind die Radus, die am Rande des Ortes leben. Vater Florin Radu steht neben einem Haufen sperrigen Mülls, bedeckt von einer dicken Schicht Schlamm. Aus diesem Matsch- und Gerümpelberg ragt ein Gasherd, der einzige noch in seiner Struktur erkennbare Haushaltsgegenstand. Drei seiner fünf Kinder hüpfen auf der Wiese neben dem Haufen herum, der Mann bewegt sich langsam, wie in Trance. Der Müllhaufen war mal sein Haus, die Überschwemmung hat sein Heim – einen simplen Bau aus Holz und Lehmziegeln – zerstört, buchstäblich in Einzelteile zerspült. Außer Frau und Kindern konnte er nur ein Ferkel retten. Kleidung, Möbel, Dokumente, Fotos, alles andere versank unter den Schlammmassen, die der angeschwollene Fluss Trotus über den Ort rollen ließ.

Mitten in einer lauen Julinacht kam das trübe Flusswasser nach Urechesti, stand dann drei Tage lang auf den Straßen, in den Gärten und Häusern. Nach Wochen hat es sich zurückgezogen, übrig geblieben ist der Schlamm. Die Menschen schippen ihn noch heute, vier Wochen nach der Katastrophe, aus ihren Häusern und Höfen. Und erkennen langsam und mit Bitterkeit, dass die Folgen der Flut lange ihr Leben prägen werden. „Über 1.000 Hektar landwirtschaftliche Fläche und Weideland sind unbenutzbar, eine der Spätfolgen ist, dass die Tiere im Dorf nicht mehr ernährt werden können“, so der Bürgermeister. 10 Tonnen an Tierkadavern wurden eingesammelt.

Ein beißender Geruch liegt über dem Dorf. Gheorghe Cernautanu, in dessen Haus vor der Flut vier Familien wohnten, hat ein Zimmer einigermaßen frei schippen können, hat eine kleine Kommode hineingestellt, das einzige Möbelstück, das er vor dem Wasser gerettet hat. „Wir müssen unser Haus eben wieder herrichten, zurzeit wohnen wir alle bei einem Nachbarn. Hier wird man ja krank, wenn man in diesem Gestank wohnt.“

Die ersten Hilfstransporte brachten auch Spaten nach Urechesti, gefragte Utensilien in diesen Tagen. Monotones Schaufeln ist die Hauptbeschäftigung der Dorfbewohner. In die Moldau wurden mittlerweile Hilfsgüter aus 20 Ländern geliefert, auch nach Urechesti rollen die Transporte. Um Lebensmittel und Wasser streiten sich die Menschen in den Straßen, sobald ein Laster im Ort halt macht, jeder ist sich selbst der nächste. Die Angst, man könnte jetzt – einige Wochen nach dem Unglück – von den Hilfsorganisationen vergessen werden, sprechen sie offen aus. Die Not in Urechesti wird aber in den nächsten Wochen noch bitterer werden. Vor allem der kommende Winter macht den Menschen jetzt schon Angst.

Die Obdachlosen, denen das Wasser ihre Matratzen und Möbel weggespült hat, schlafen auf stinkenden Strohsäcken. Bald kommt der Winter und die zerstörten Felder werden doch im Herbst keine Früchte tragen. Bis zum nächsten Jahr ist an Selbstversorgung durch die Landwirtschaft nicht zu denken. Und die neuen Überschwemmungen zerstören immer mehr Existenzen im ganzen Land, indem sie die Lehmhäuser der aller Ärmsten aufweichen und einstürzen lassen.

*** Ende ***


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