Polen

Die Danziger Werft 25 Jahre nach den Streiks


Danzig(n-ost) – Es ist kurz vor 14 Uhr. Ludwig Pradzynski schweißt noch ein letztes Metallteil zusammen, dann hat er Feierabend. Seine Schicht beginnt jeden Tag um 6 Uhr morgens und dauert die üblichen acht Stunden. Pradzynski arbeitet in der Sektion K – 3, die auf der Danziger Werft Schiffsrümpfe anfertigt.

Der 48-jährige Mann ist hager. Seine Augen sehen gestresst, die Hände verbraucht aus. Von den 1100 Zloty (umgerechnet 280 Euro) Gehalt im Monat, muss er sich, seine Frau und die vier Kinder unterhalten. Er ist enttäuscht, wenn er an die 80er Jahren denkt. „Wenn ich heute vor dem Entschluss stände, ob man mit Streiks anfangen soll oder nicht, dann würde ich nicht mehr mitmachen.“
1980 war Luwig Pradzynski einer von 15.000 Werfarbeitern, die für eine finanzielle Verbesserung ihrer Lage, für politische Unabhängigkeit und persönliche Freiheit kämpften.
Der Streik auf der Danziger Werft begann am 14. August. Seine direkte Ursache war die Entlassung der Kranführerin Anna Walentynowicz, die sich als Betriebsrätin für verbesserte Arbeitsbedingungen eingesetzt hatte.

Um sich den Streikenden anzuschließen, sprang damals der Elektriker Lech Walesa über die Mauer, die das Werftgelände von der Stadt trennt. Unter seiner Führung wurde in der Nacht vom 16. auf den 17. August das „Überbetriebliche Streikkomitee“ gegründet. Die Stettiner Werft und Großbetriebe in den oberschlesischen Kohlegruben folgten dem Beispiel, eine Front entstand, die das kommunistische Regime in Warschau zu Verhandlungen zwang.

In Danzig stellten die Streikenden nicht weniger als 21 Forderungen auf, sie verlangten die Rücknahme von Preiserhöhungen, das Ende der Zensur und „die Zulassung von unabhängigen, freien Gewerkschaften“. Der Protest in Danzig wurde ein großes Ereignis für alle Einwohner der Stadt. Um den Streikenden Mut zu geben, sammelten sich jeden Tag Tausende von Danzigern vor dem Werfttor. Viele brachten Essen, warme Kleidung oder Decken. Der Priester Henryk Jankowski von der nahe gelegenen Sankt Brigitten Kirche zelebrierte Messen unter freiem Himmel.

Am 31. August wurde endlich ein Abkommen von Mieczyslaw Jagielski, dem Stellvertretenden Ministerpräsidenten, und Lech Walesa unterzeichnet. Walesa benutzte dabei einen legendär gewordenen Kugelschreiber mit dem Bildnis des Papstes. Als der Arbeiterführer damals am Tor Nummer 2 der Danziger Werft den historischen Satz verkündete: „Wir haben freie, unabhängige Gewerkschaften“, jubelten ihm tausenden von Menschen zu.

Im November 1980 wurde die Freie Gewerkschaft „Solidarnosc“ gerichtlich eingetragen. Es war die erste Organisation im Ostblock, die sich ihre Unabhängigkeit von einem staatlichen Regime erkämpft hatte. Selbst die Inhaftierung von Lech Walesa und das Kriegsrecht, das in Polen am 13. Dezember 1981 ausgerufen wurde, konnten den polnischen Weg zur Freiheit nicht bremsen.

Auch Ludwig Pradzynski hat sich damals wie ein Held gefühlt. Doch heute sind seine alten Ideale tot. „Ich weiß, im Allgemeinen war der Kommunismus schlecht. Aber auf dem Rücken der Werftarbeiter haben viele Geschäfte und Karieren gemacht. Ich fühle mich betrogen“, sagt der Schlosser. „Die Idee war groß aber unsere Erwartungen wurden nicht erfüllt. Ich bin sehr enttäuscht. Meine Kollegen mit denen ich arbeite auch“. Fünf bis sieben Schiffe werden jährlich noch auf der Danziger Werft gebaut, zu wenig Arbeit für die einst 15.000 Werftarbeiter.

Doch, nicht alle sind so pessimistisch wie Pradzynski. Für den 57-jährigen Elektriker Kazimierz Trawicki waren die Streiks ein großer Schritt nach vorne. „Damals im Jahre 1980 haben wir für die Freiheit und Zukunft unserer Kinder gekämpft“. Kazimierz Kinder sind jetzt 31 und 35 Jahre alt. „Sie haben heute andere Perspektiven als ich damals. Für mich gab es damals nur Arbeit, Schlaf und die Mühe, etwas zum Essen zu bekommen. Mir war nicht bewusst, dass es so viele Möglichkeiten gibt. Heutzutage muss man nur Mut haben. Und in meiner Zeit - selbst wenn man einen großen Mut hatte, etwas zu verändern - gab es überall Mauern“.

Darum ist Trawicki bei Solidarnosc geblieben. Die Gewerkschaft, die auf dem Höhepunkt ihrer Macht bis zu 10 Millionen Mitglieder hatte, zählt derzeit noch knapp 750 000 Mitglieder. Unter den Werftarbeitern in Danzig liegt der Prozentsatz immerhin noch bei 66 Prozent. Mit seinen Kollegen aus dem Verband versucht Trawicki mit dem gleichen Mut wie damals vor 25 Jahren die Lebensbedingungen der heutigen Arbeiter zu verbessern. Keine leichte Aufgabe.

Die Danziger Werft wurde im Dezember 1998 nach einem Konkursverfahren von der Werft in Gdynia (Gdingen) übernommen. Aber die Schuldenlast drückt immer noch schwer: Nach inoffiziellen Angaben sind es 800 Millionen Zloty, umgerechnet 200 Millionen Euro. Doch Bogdan Oleszek, Leiter der Danziger Werft glaubt noch an den Erfolg. Er ist optimistisch. „Ich glaube, dass wir uns auf dem Markt halten können: Wir haben eine gute Marke. Ein deutscher Unternehmer hat mal gesagt, dass die Danziger Werft einen guten Ruf in der Welt hat, so wie der Mercedes“.


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