Polizeieinsatz bei Technoparty löst innenpolitische Krise in Tschechien aus
Prag (n-ost) - Nach 100 Tagen im Amt, in denen sich der neue tschechische Ministerpräsident Jiri Paroubek und seine sozialdemokratische Partei einen kaum für möglich gehaltenen Popularitätszuwachs erarbeiten konnten, ist die Regierungskoalition unvermittelt in eine tiefe Krise geschliddert:
Seit Anfang der Woche demonstrieren ununterbrochen mehrere tausend junge Leute vor dem Innenministerium auf dem Prager Letna-Plateau. Zeitweise sollen sich dort mehr als 6.000 Demonstranten versammelt haben – für das sonst eher demonstrationsmüde Tschechien eine bemerkenswerte Zahl. Anlass für die Proteste ist ein massiver Polizeieinsatz vom vergangenen Wochenende.
Ein 1000 Mann starkes Einsatzkommando der Polizei hatte damals die Technoparty „CzechTek“ aufgelöst, die im westböhmischen Tachov, nur einen Steinwurf von der deutschen Grenze entfernt, stattfinden sollte. Unter massivem Einsatz von Tränengas und Wasserwerfern waren die rund 5.000 Teilnehmer – zum großen Teil aus dem Ausland angereiste Raver – vom Ort der Veranstaltung vertrieben worden, dabei hatte es über 100 Verletzte gegeben. Man habe, so die offizielle Begründung, Privatgrundstücke schützen wollen, die von den Ravern ohne Erlaubnis der Eigentümer betreten worden seien. Nach einer ähnlichen Veranstaltung im vergangenen Jahr hatten Medien und Opposition der Polizei Untätigkeit vorgeworfen, nachdem Raver tagelang unerlaubt auf fremdem Gelände gefeiert hatten. In diesem Jahr war von den Veranstaltern deshalb ein eigenes Grundstück angemietet worden.
Ex-Präsident Vaclav Havel bemüht sich derzeit vergeblich, ein Treffen zwischen den Demonstranten und der sozialliberalen Regierung zu vermitteln. Havel, der sich mit der Bewertung innenpolitischer Ereignisse seit seinem Ausscheiden aus dem Amt bewusst zurück hält, hat im Fall des Polizeieinsatzes klar Position bezogen: „Eine Technoparty ist ein bereicherndes Element für die Bürgergesellschaft, das man in unserer von Egoismus geprägten Zeit begrüßen sollte“, sagte Havel, der sich auch unter die Demonstranten vor dem Prager Innenministerium mischte.
In Tschechien weckt der Polizeieinsatz bei vielen Beobachtern ungute Erinnerungen an alte Zeiten. Man habe am Wochenende eine „ähnlich sinnlose Demonstration von Macht“ vorgeführt bekommen, wie man sie aus der Zeit vor 1989 noch bestens kenne, urteilt etwa die Wochenzeitung „Respekt“.
Präsident Vaclav Klaus bezeichnete den Polizeieinsatz als „groben Fehler“, durch den das Land innenpolitisch weiter gespalten und das Vertrauen in die Polizei erschüttert worden sei.
Selbst im Regierungslager wurde Kritik am Polizeieinsatz laut, ablehnend äußerten sich beispielsweise Justizminister Pavel Nemec von den Liberalen und die sozialdemokratische Schulministerin Petra Buzkova. Regierungschef Paroubek dagegen verteidigte das Vorgehen: Tschechien dürfe nicht zum Ziel von «Krawalltouristen» werden. Die Opposition warf Paroubek am Freitag bei einer Parlamentsdebatte über den Vorfall eine klare politische Motivierung des Einsatzes vor. Er habe mit dem rasanten Polizeieinsatz politische Punkte sammeln und Stärke zeigen wollen.
Unterdes wird von allen Seiten der Ruf nach Aufklärung der Vorfälle laut: Justizminister Pavel Nemec hat bereits die Pilsener Staatsanwaltschaft mit der Untersuchung der Umstände des Polizeieinsatzes beauftragt. Auch das tschechische Innenministerium will eine Rechtsanalyse des Polizeieinsatzes bei der Technoparty am vergangenen Wochenende in Auftrag geben.
Eingeschaltet hat sich zudem der tschechische Ombudsmann Otakar Motejl. Aufgrund zahlreicher Beschwerden aus der Bevölkerung werde er seinerseits Schritte unternehmen, um das Vorgehen der Polizei zu prüfen.
Immer lauter wird der Ruf nach einer unabhängigen parlamentarischen Untersuchungskommission zur Aufklärung der Vorfälle.
Ob nach den Erfahrungen mit der tschechischen Polizei die in der Slowakei geplante Technoparty („SlovTek“) stattfinden wird, ist bislang unbekannt. Einige Teilnehmer von CzechTek sind bereits in die Slowakei weitergereist, die slowakische Polizei hält eine unangemeldete Großveranstaltung der Raver für möglich.
Am heutigen Samstag wollen vor der tschechischen Botschaft in Berlin nun auch deutsche Techno-Fans gegen das Vorgehen der tschechischen Polizei in Westböhmen demonstrieren.
*** Ende ***
Silja Schultheis