Polen

Die Posener Bamberger – eine deutsch-polnische Geschichte


Posen (n-ost) - Jeden ersten Augustsamstag wird in der polnischen Großstadt Poznan (dt. Posen) der Tag der Bamberger gefeiert. Dann treffen sich die Posener an einem Wasserbrunnen, mit der Figur eines Wasser tragendes Mädchens in schöner Tracht und schmücken ihn mit weißen und roten Blumen. Sie beteiligen sich am Sprachwettbewerb zum Posener Platt, in dem auffallend viele deutschstämmige Worte vorkommen, ringen um den ersten Platz als bester Kartoffelschäler, essen einfache aber sehr schmackhafte Gerichte und warten mit Spannung, wer die diesjährige „goldene Bamberka“ erhält, eine Auszeichnung für die engagierten Förderer und Vermittler der Posener Bamberger. Der Veranstalter des Stadtfestes ist der Verein der Posener Bamberger. Doch was machen eigentlich die Bamberger in der Hauptstadt der polnischen Region Wielkopolska (Großpolen)?

Fast jeder Posener kennt den unscheinbaren kleinen Brunnen im Herzen des Stary Rynek (Alter Markt) und seine Entstehungsgeschichte. Eine Tafel erklärt, dass der Brunnen 1914 von einer Winzerfamilie Namens Goldenring zu Ehren der Posener Bamberger gespendet wurde.

Im 18. Jahrhundert wurden die Dörfer um Poznan, so wie die Stadt selbst, durch Kriege und die darauf folgende Pest buchstäblich entvölkert. Die wenigen Bauern, die überlebt haben, konnten die Stadtbevölkerung nicht mehr ausreichend versorgen. Somit drohte der Stadt eine Hungernot. Herrenlose Felder lagen brach und die verzweifelte Suche nach Menschen, die sie besiedeln und bebauen konnten, blieb ergebnislos. Da die polnischen Bauern zuz damaligen Zeit noch an die Ländereien der Großherren gebunden waren, konnte die Stadt keine Arbeitskräfte aus anderen Regionen Polens anwerben. Zufällig pflegte Poznan schon früher Kontakte mit Bamberg, die dortigen Bauern hatten mit einem anderen Problem zu kämpfen. In Bamberg gab es zu viele freie Arbeitskräfte und zu wenig Land. Da die Äcker in Oberfranken nicht geteilt werden durften, erbten nur die Erstgeborenen. Die übrigen Nachkommen der oft kinderreichen Familien mussten auf den Feldern des ältesten Bruders arbeiten oder sie verarmten. So kam der Aufruf der Polen genau richtig.

Die Posener versprachen den Bauern aus der Bamberger Region eigenes Land. Die einzige Bedingung war, dass sie dort Güter anbauen, die Stadt mit den landwirtschaftlichen Produkten beliefern und Steuern zahlen sollten. Die Oberfranken erfüllten noch eine weitere Bedingung ihrer Gastgeber: Sie waren Katholisch.

Zwischen 1719 und 1750 zogen über 100 in die Region Posen, insgesamt etwa 500 Menschen, was für damalige Verhältnisse nicht wenig war. Meist legten sie die über tausend Kilometer lange Strecke zu Fuß zurück. Die Posener lösten ihr Versprechen ein und verteilten die leer stehenden Ländereien. Mehr noch, den deutschen Siedlern zuliebe passte man in der Region um Poznan sogar das Landesrecht an und hob den Frondienst auf.

Die Siedler aus Deutschland fühlten sich alsbald heimisch. Sie gründeten eigene Familien, bestellten die Felder nach deutschem Muster und gewannen nach und nach immer mehr Anerkennung bei den Einheimischen. Jedes Dorf hatte eine eigene Kirche, in der auch die Bamberger ihre Messen feierten. Doch während sie die Liturgie noch verstehen konnten, da sie in Latein gefeiert wurde, blieben die Predigen, die in Polnisch gehalten wurden für sie unverständlich. Auch an der Beichte konnten sie kaum teilnehmen, da die Priester des Deutschen nicht mächtig waren. Auch mit der übrigen Bevölkerung konnten sie Anfangs nur mit Mühe kommunizieren. Anstatt aber um die Etablierung der deutschen Sprache in ihren Dörfern zu kämpfen, haben sie sich immer mehr um den Polnischunterricht, vor allem für ihre Kinder bemüht, damit wenigstens sie aktiv am Leben der Polen teilnehmen konnten.

Im Laufe der Jahre war der Assimilationsprozess dann so weit fortgeschritten, dass die Posener Bamberger sich durch und durch als Polen fühlten und ihre Bindung an die neue Heimat auch offen zur Schau stellten. Die Historiker sprechen hier von einem „Assimilationswunder“, da der Prozess keinesfalls erzwungen, sondern von den Einsiedlern selbst in die Wege geleitet wurde.

Die Ethnologin und Erforscherin der Geschichte der Posener Bamberger, Prof. Dr Maria Paradowska, leitet heute das Museum, in dem die Geschichte der Einsiedler aus Deutschland und ihrer Nachkommen erzählt wird: „Die Bamberger haben Poznan und Wielkopolska relativ schnell als ihre Heimat empfunden. Sie waren sogar sehr patriotisch. Das ging so weit, dass sie in den schlimmsten Zeiten des „Kulturkampfes“ das Polentum vehement gegen die Politik von Bismarck verteidigt haben. Ihre Nachkommen nahmen aktiv an den polnischen Aufständen teil. Im Zweiten Weltkrieg legten sie einen Eintrag in die deutsche Volksliste entschieden ab und kämpften in der Nationalarmee gegen die Wehrmacht. Dafür wurden viele von ihnen in Konzentrationslager verschleppt, von wo die meisten nicht mehr zurückgekehrt sind.“

Bei aller Liebe für die polnische Heimat haben die Posener Bamberger, oder wie sie in Polen genannt werden ‚Bamber’, nie ihre Wurzeln vergessen. Zuhause pflegten sie die Erinnerung an ihre Vorfahren und trugen wie selbstverständlich die deutschstämmigen Familiennamen, denen man oft erst nach dem Krieg von Amtswegen polnische Schreibweise verpasste.

Je mehr die umliegenden Dörfer an Poznan angeschlossen wurden, um so stärker verbanden die Bamberger Familien ihr Leben mit der Stadt. Ihre Rolle für die Geschichte der Stadt und nicht selten auch des Landes wurde immer größer. Oft hielten sie verantwortungsvolle Posten in der Stadtverwaltung und auch in der Staatsregierung inne. Das ist auch heute noch. So ist der stellvertretende Bürgermeister von Poznan, Tomasz Kayser, ein ‚Bamber’, was er bei jeder Gelegenheit unterstreicht.

Einige der Bamberger Familien führten und führen heute immer noch eigene gut prosperierende Firmen. Wie zum Beispiel die Eisenhändler und Immobilienbesitzer Deierlings. Die Nachfolgerin der einstigen Einwanderer in sechster Generation, Ewa Mielcarek, eine sehr energische ältere Dame, führt heute das Familienunternehmen weiter. „Die Posener Bamber sind ein Beweis dafür, dass man auch in einem fremden Land eine neue Heimat, den Lebensunterhalt, ja sogar eine schöne Liebe und ein gutes Leben finden kann. Das war auch so im Fall von meiner Familie. Heute pflegen wir auch wieder regen Austausch mit der Stadt Bamberg in Deutschland, der auch auf offiziellem Wege zwischen den beiden Städten sehr gut funktioniert“, erzählt sie im guten Deutsch. Die meisten Bamber in Poznan sprechen aber nicht mehr die Sprache ihrer Vorfahren, nur die Jungen lernen sie in den Schulen neu.

Heute erleben die Posener Bamber eine wahre Renaissance und die Brunnenfigur der kleinen Bamberka ist nach ihrer wechselvoller Geschichte – der kommunistischen Regierung war sie ein Dorn im Auge – längst, genauso wie die Bamber selbst, zum Wahrzeichen der Stadt geworden. So wie früher gibt es heute keine größere kirchliche Feierlichkeit und keine offizielle Stadtfeier ohne die Bamberki in ihren Trachten, die alle Blicke auf sich ziehen. An dem Bamberka-Brunnen verabreden sich wieder Verliebte und wer sein Glück besiegeln will, sollte der Sage nach unbedingt eine Münze in den Brunnen fallen lassen.

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