Der Gebrauchtwagenhandel boomt
Auch über ein Jahr nach dem EU-Beitritt transportieren noch viele Polen Gebrauchtwagen über die Grenze. Seit dem 1. Mai 2004 wurden meist durch Familienunternehmungen über 1,5 Millionen gebrauchte Autos ausgeführt.
Anfangs haben geschäftstüchtige Polen nur die Autohändler der deutschen Grenzregion abgeklappert. Immer weiter drangen sie nach Deutschland vor, inzwischen sind sie in ganz Europa unterwegs. Gleich nach dem EU-Beitritt begann der Boom im Nachbarland. Automechaniker, Kaufmänner, Bauern, Polizisten oder Bäcker stiegen ins Geschäft ein. Für einige ist der Autoimport die einzige Einkommensquelle, für andere ein Nebenverdienst. Auch die Nachfrage nach Anhängern oder anderen Transportern ist drastisch gestiegen. Alles, womit sich ein Auto verschicken lässt wird vermietet, verkauft oder sonst wie verrechnet.
Die kleinen Fische unter den Autoschleppern bringen zwei bis drei Autos pro Monat nach Polen. Die kaufen meist billige Schrottautos, oft mit gewaltigen Unfallschäden. Diese werden dann im Heimatland mit Sprüchen angepriesen wie: „Kleine Retusche wäre noch nötig, ein bisschen Farbe fehlt noch, ... etwa 100 Euro muss man noch dazurechnen“. Die Rede ist dabei von Autos, bei denen sich das Dach auf der Höhe der Vorderscheinwerfer und die Hintertür im Bereich der Motorhaube befinden. Der polnische Kunde allerdings ist ein Jahr nach dem EU-Beitritt längst wählerischer geworden. Er erwartet, dass das Auto ohne zusätzliche Kosten fahrbereit ist. Gut verkauft sich etwa ein Wagen, von dem behauptet wird, dass ein deutscher Opa sei damit gefahren. Da wird der Kilometerzähler schnell mal runtergedreht, das Lenkrad gewechselt und so erscheint der Wagen als Sonntagskutsche eines braven Deutschen, der sie allein für Arztbesuche oder den weg zum Brötchenkauf gefahren hat.
So lukrativ ist das Geschäft, dass mittlerweile sogar Busreisen angeboten werden, die allein der Suche nach neuen Gebrauchtwagen dienen. Solche Fahrten zu buchen, kostet den potenziellen Kunden allein 250 Euro pro Tag. Die Garantie für das Traumauto ist nicht im Preis enthalten. Die meisten Kunden beauftragen deshalb Profis, deren Dienste bis zu 400 Euro kosten. Denen wird das Wunschauto beschrieben, sie machen sich auf die Suche und liefern das Fahrzeug bis vor die Haustür.
Auch die Regierung versucht, durch ständige Änderungen der Einfuhrsteuergesetze von den Deals zu profitieren. Doch der Erfindungsreichtum der Autohändler ist meist größer. Vor einigen Jahren wurde die Zollgebühr noch nach dem offiziellen Wert des Autos berechnet, für Unfallfahrzeuge oder Autoteile war der Steuersatz wesentlich günstiger. Also haben Autoschlepper noch in Deutschland die Autos zerlegt, indem sie zum Beispiel den Motor ausbauten und so das Auto als zwei getrennten Teilen verzollten. Gleich nach der Grenze wurde das Fahrzeug freilich dann wieder zusammengebaut.
Nach einer Gesetzesänderung musste die Steuer auf den im Kaufvertrag eingetragenen Kaufpreis bezahlt werden. So tauchten plötzlich Kaufverträge auf, nach denen Autos zu Preisen zwischen 20 und 50 Euro gehandelt wurden. Die 60 Prozent Einfuhrsteuer waren so nur noch Peanuts. Das Finanzministerium ist sich diesen Praktiken bewusst und droht nun mit schärferen Kontrollen. Derzeit aber sind nach EU-Recht Unfallwagen gar nicht zu verzollen, dagegen ist selbst die polnische Regierung machtlos. Und für die Gebrauchtwagenhändler sind das wahre Goldgräberzeiten.
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