Hoffen auf Kurmanbek Bakijew
Babir´s Golf jagt durch eine Märchenlandschaft. Die Straße von der kirgisischen Hauptstadt Bischkek Richtung Süden nach Dschalal-Abad führt über grüne Hügel, durch rote Felsen mit wilden Bächen und über grüne Hochebenen mit Pferde- und Schafherden, dazwischen versprengt die weißen Jurten der Hirten. Lässig hängt Babir´s Pferd russische Wolga´s ab. Die Stimmung ist gut. Aus den Boxen dröhnen Ethno-Rythmen, die Luft ist klar und rein. Keine Hochspannungsleitung und kein Windrad trübt den Blick. Wer will, kann sich an einem Imbiss eine Forelle braten lassen. Wie ein türkisblaues Band zieht sich der Fluss Narin mit seinen zahlreichen Stauseen durch das Gebirge. Am Wasserkraftwerk Krupsei beginnt nach sieben Stunden Fahrt das fruchtbare Fergana-Tal, das Kirgistan, Tadschikistan und Usbekistan unter sich aufgeteilt haben.
Dschalal-Abad, die drittgrößte Stadt Kirgistans, liegt in einem fruchtbaren, grünen Tal. Die meisten der 130.000 Einwohnern sind Usbeken. Hinter der Stadt, weiter im Süden, erheben sich am Horizont die schneebedeckten Berge des Pamir-Gebirges. Die Menschen hier sind arm aber stolz. Von ihrem Präsidenten Askar Akajew fühlten sie sich betrogen. Der habe in den letzten fünf Jahre seiner Präsidentschaft nur noch in die eigene Tasche gewirtschaftet, meint der 23jährige Babir, der einmal Verkehrswirtschaft studierte und jetzt ständig zwischen Bischkek und Dschalal-Abad pendelt.
Vor allem wegen der staatlichen Korruption kam es im März, nach den gefälschten Parlamentswahlen, zur Tulpenrevolution. Sie begann in Dschalal-Abad. Geleitet wurde sie von Kurmanbek Bakijew, der von 2000 bis 2002 als Ministerpräsident der Regierung angehörte, sich dann aber mit Präsident Akajew überwarf. Jetzt ist Bakijew geschäftsführender Präsident des Landes und die Chancen, dass der mit einer Russin verheiratete gelernte Ingenieur am 10. Juli zum neuen Präsidenten gewählt wird, stehen gut.
„Ich bin überzeugt, dass unsere Wahlen ehrlich ablaufen werden, weil keine administrativen Ressourcen eingesetzt werden,“ erklärte Bakijew im Interview gegenüber dieser Zeitung. Hinter solchen wohlfeilen Erklärungen steckt jedoch ein gehöriges Maß an Unsicherheit. Nach der Tulpenrevolution konnte sich die neue Macht nicht fest etablieren. Mitte Juni stürmten erneut Hunderte von Demonstranten den Regierungspalast in Bischkek. Sie protestierten, weil ein Kandidat wegen seiner angeblich kasachischen Staatsbürgerschaft nicht zu den Wahlen zugelassen worden war. Es hieß, der nach Moskau geflohene Ex-Präsident Askar Akajew stecke hinter den Unruhen, doch dieser dementierte energisch. Unmittelbar nach dem erneuten Sturm auf das Regierungsgebäude wurde der ehemalige Parlamentspräsident Mukar Tscholponbajew – ein Gefolgsmann des geflüchteten Präsidenten - verhaftet. Er soll an der Besetzung des Regierungspalastes teilgenommen haben.
Askar Akaajew, der geflohene Präsident, der jetzt mit seiner Familie in Moskau lebt, hofft offenbar, dass ihm Bakijew irgendwann die Rückkehr nach Bischkek ermöglicht. In einer „Erklärung an das kirgisische Volk“ versicherte der gestürzte Präsident Kurmanbek Bakijew seine Unterstützung. Aber Akajew sagte auch: „Ich bin überzeugt, dass mein Wissen und meine Erfahrung in der Zukunft gebraucht wird.“
Bei der Unterschriftensammlung für die Registrierung zur Präsidentschaftswahl legte neben Bakijew nur noch ein Kandidat ein beachtliches Ergebnis vor. Es ist der kirgisische Menschenrechtsbeauftragte Bakir Tursunbaj. Doch nach Meinung von Beobachtern hat er keine Chancen auf einen Sieg, denn Übergangspräsident Bakijew hat sich mit dem zweitmächtigsten Mann des Landes, dem für die Sicherheitsstrukturen zuständigen Vizepremier Felix Kulow verbündet. Der aus dem Norden Kirgisiens stammende Kulow, der unter Präsident Askar Akajew wegen angeblicher Korruption im Gefängnis saß und während der Tulpenrevolution befreit wurde, hat auf seine eigene Kandidatur verzichtet. Im Gegenzug versprach Bakijew seinen Partner im Falle des Wahlsieges zum Ministerpräsidenten zu machen.
Bakijew will sein Land weiter an den Westen heranführen. Moskau soll jedoch strategischer Partner bleiben. Das rohstoffarme, kleine Kirgisien mit seinen nur fünf Millionen Einwohnern hat es schwer sich gegenüber mächtigen Nachbarn zu behaupten. Nicht nur Russland würde gerne seine Militärpräsenz in Kirgisien verstärken, auch Peking will Medienberichten zufolge einen Militärstützpunkt in Kirgisien einrichten. Bakijew will von derartigen Plänen nichts wissen. „Ich bin nicht der Meinung, dass es heute nötig ist, ein zusätzliches russisches Kontingent zu stationieren“, erklärte der Übergangspräsident gegenüber dieser Zeitung. In der Einrichtung chinesischer Militärbasen sehe er „keine Notwendigkeit“.
Für den Tulpenrevolutionär Kurmanbek Bakijew beginnt nach dem erwarteten Wahlsieg eine schwierige Zeit. Die soziale Situation in Kirgisien ist nur wenig besser als in Usbekistan. Die sozialen Spannungen können jederzeit wieder in neue Unruhen umschlagen. Die Armut der Einwohner ist zu bedrückend.
Nach Dschalal-Abad, die heimliche Hauptstadt der Tulpenrevolution, fährt man durch ein prunkvolles Stadttor hinein, das an eine glorreiche Vergangenheit erinnert. Offiziell sind hier heute fast alle arbeitslos und deshalb ständig damit beschäftig, irgendwie ihre Familien durchzubringen. Ein freies Wochenende gibt es nur für die wenigen gutverdienenden Bankangestellten. Alle anderen schlagen sich über sieben Wochentage mit mehreren Tätigkeiten durch. Denn von den Löhnen und Renten kann niemand leben. Eine Krankenschwester verdient 1.200 Som (23 Euro), ein Rentner bekommt 600 Som. Ein Brot kostet fünf Som.
Die Krankenschwester kann überleben, weil sie noch Trinkgelder bekommt und außerdem mit ihrem Mann und den Kindern auf dem Familienacker schuftet. Auf die Frage, womit er denn sein Geld verdiene, antwortet jeder dritte Mann mit „Ja taxuju“, „ich fahre Taxi“. „Ach, in Deutschland herrscht eine Wirtschaftskrise“, fragt der Ökonom Achmat staunend. „Dann ist unsere Krise wohl 300mal stärker.“
Auch Achmat arbeitet als Taxifahrer. Er fährt seine Fahrgäste in einem Daewoo „Tico“ durch die Stadt. Der in Usbekistan gefertigte Kleinwagen ist eigentlich für kleine Koreaner konzipiert, bietet aber mit Mühe und Not auch vier großgewachsenen Kirgisen Platz. Da das Wägelchen nur fünf Liter Sprit verbraucht, ist es sehr beliebt.
Das größte Unternehmen von Dschalal-Abad , eine Mühle mit riesigen Kornspeichern, ist seit Jahren bankrott. Die wichtigste Einnahmequelle der Einwohner ist der Schafstall und der Familien-Acker. Der Staat hat allen Kirgisen Anfang der 90er sogenannte „Sotkas“, Äcker mit einer Fläche von 100 Quadratmetern, zugeteilt. In diesen Tagen sieht man ganze Familien in der sengenden Hitze auf den Feldern den Boden um die jungen Triebe der Baumwollpflanzen auflockern. Die Baumwolle bringt nicht viel ein, 20 Cent pro Kilo. Aber die Menschen haben keine Wahl.
In Dschalal-Abad empfängt den Besucher das entspannte Klima einer Kleinstadt. Die Straßen und Häuser sind sauber und gepflegt. Man ist höflich und lächelt. Die Stadt hat sowjetisch-asiatischem Charme. Es gibt einen bunten Markt, viele Teehäuser (für Männer) und die übliche sowjetische Einheitsarchitektur. Die Frauen leuchten wie Schmückstücke. Einige schreiten in goldbestickten Samtgewändern mit Kopftuch durch die Straßen andere eilen in Jeans und Rock. Doch man sieht auch viele Tiefverschleierte, vor allem junge Mädchen die Koran-Schulen besuchen. Eine dieser Schulen liegt in der Dany-Machmudow-Straße. Hinter den hohen weißen Mauern lernen die Mädchen die heilige Schrift und Arabisch. Man wolle die Mädchen „vor der Verwahrlosung bewahren“, erklärt eine Lehrerin den Sinn der Schule. Das Geld für die Einrichtung kommt von Unternehmern, „die in Moskau tätig sind“.
In Dschalal-Abad herrscht Männermangel. „Mnogoschonstwo“, die Vielweiberei, greife um sich, obwohl die Männer ihre Frauen gar nicht alle ernähren können. Für emanzipierte Frauen wie die Englisch-Lehrerin Aitschurok, ist das schwer zu ertragen. Die Patriarchen vergiften das Klima. Die Frauen müssen sehen, wie sie zurecht kommen. Oft reicht das Geld noch nicht mal für den öffentlichen Nahverkehr. Für viele ist die Frau billige Arbeitskraft. In den Höfen der Großfamilien formen die jungen Mädchen mit Hilfe von Stroh Kuhlfladen zu tellergroßen Stücken und legen sie zum Trocknen aus. Im Winter wird damit geheizt.
An die Tulpenrevolution im März erinnert nur noch wenig. Die blutbefleckten Teppichläufer im Gebäude der Gebietsverwaltung am Maidon, dem zentralen Platz der Stadt, sind in der Reinigung und die Polizei residiert in einem Ersatzgebäude. Das zentrale Gebäude der Polizei wurde von den Demonstranten im März abgefackelt. Die Reste der Außenmauern zeugen von den dramatischen Ereignissen.
Die Kirgisen sind stolz, dass sie sich nach der Absetzung von Askar Akajew trotz fortgesetzter Unruhen eine gewisse demokratische Perspektive erarbeitet haben. Auf das immer noch diktatorische aber von der Bevölkerungszahl mit 26 Millionen Menschen riesige Usbekistan schauen viele mit einer gewissen Geringschätzung herab. Aber nun wollen die fünf Millionen Kirgisen endlich die Ernte für 15 harte Reformjahre einfahren. Noch ist der Bestand an gut ausgebildeten Fachkräften groß. Sollen die ausländischen Investoren doch endlich kommen, meint Achmat. Kurmanbek Bakijew heißt die neue Hoffnung. Mindestens fünf Jahre werde der neue Präsident ehrlich arbeiten, hoffen die Einwohner. Spätestens dann müsse man aber aufpassen, dass der Präsident nicht den Sünden seines Vorgängers verfällt.