Estland

Tartu begeht die internationalen Hansetage


Tartu (n-ost). Tausende Menschen sind am Donnerstagabend auf dem zentralen Rathausplatz der südestnischen Stadt Tartu (Dorpat) zusammengekommen, um der feierlichen Eröffnung der 25. Hansetage der Neuzeit beizuwohnen. "Zehn Jahre lang haben wir uns auf dieses Ereignis vorbereitet. Nun möchte ich sie im Namen der Hansestadt Tartu und ganz Estland herzlich willkommen heißen", sagte der estnische Präsident Arnold Rüütel zu den Besuchern des mittelalterlichen Spektakels. Auch Lübecks Bürgermeister Bernd Saxe, der Vormann der Hanse, begrüßte das Hansevolk: "Wir freuen uns, dass wir hier in Tartu sogar ein kleines Jubiläum feiern können, seit 25 Jahren feiert unser Städtebündnis wieder die internationalen Hansetage."

76 Hansestädte aus zwölf Ländern sind in das nordbaltische Land gereist, um an den Feierlichkeiten und an zahlreichen Seminaren teilzunehmen. Von den 37 deutschen Städten, die nach den Eröffnungsreden feierlich auf den trapezförmigen Platz vor dem klassizistischen Rathaus der Stadt einzogen, erhoffen sich die meisten gute Kontakte zur restlichen Hansewelt. So auch Rainer Kruschel, stellvertretender Bürgermeister aus dem brandenburgischen Kyritz. "Wir möchten uns der Hansewelt vorstellen und so vielleicht auch den Tourismus in unserer eigenen Stadt ankurbeln." Dazu greifen er und sein siebenköpfiges Team zu harten Mitteln: "Mord und Totschlag" und "Kyritzer Knatterwasser" sollen die Gäste anlocken. Und sie kommen gern, verbirgt sich doch hinter diesen Wunderwaffen, die am Stand der Kyritzer angeboten werden, heißes Bier und Kräuterlikör.

Die Hamburger Delegation setzt nicht nur auf Alkohol, sondern auch auf einen unkonventionellen Stand. "Saksa olu - Deutsches Bier" wird in einem roten Doppeldeckerbus ausgeschenkt. "Vor einem Jahr, auf den damaligen Hansetagen im finnischen Turku, haben wir uns entschlossen mitzumachen", entsinnt sich Heinrich Schuster, Inhaber der "Roten Doppeldecker-Stadtrundfahrt", die normalerweise durch Hamburg flitzen. Eine gute Entscheidung, weiß er heute: "Tartu ist eine tolle Stadt, die sich sehr professionell auf die Hansetage vorbereitet hat." Ein dickes Lob kommt auch aus Neuss. "Es ist wirklich toll, dass die ganze Stadt auf die Hanse eingestellt ist. Wohin man schaut, ist Hanse. Ganz Tartu feiert", meint Angelika Quiring-Perl, Bürgermeisterin der niederrheinischen Stadt und Kommissionsmitglied des Hanseverbundes.

In der Tat, Gaukler und edle Fräulein in Samtroben, Männer in Mönchskutten und bunt gekleidete Narren, Touristen und Einheimische ziehen an den Hanseständen vorbei. "Das Motto der Hansetage lautet ,Ein großes mittelalterliches Fest', dementsprechend spielt der Jahrmarkt eine große Rolle, wo Kunsthandwerk und Produkte der Landwirtschaft von mittelalterlich gekleideten Händlern feilgeboten werden", erklärt die Tartuer Bürgermeisterin Laine Jänes. "Zudem gibt es vier Tage lang Konzerte, Bootsfahrten und Schauspiele."

118 Ensembles treten auf den großen Bühnen in der Innenstadt auf: Folklore- und Zirkusgruppen, Straßentheater, Chöre, Symphonieorchester, Blasorchester und mittelalterliche Tanzensembles. Dazu gehört auch der Folklorechor "Hogener Lünen" aus dem niedersächsischen Stade. "Sechs Mal treten wir hier auf", sagt Ina Helms, die mit ihrer Truppe bereits vor 13 Jahren Estland besuchte. "Damals wurden in der estnischen Hauptstadt Tallinn die Hansetage gefeiert. Es ist schön, wieder in das Land zu reisen und zu sehen, was sich seither verändert hat."

"Wenn viele Menschen zusammenkommen, machen die Hansetage immer Spaß", so Eberhard-Elmar Heinrich aus Frankfurt/Oder. Vor zwei Jahren hatte die Stadt selber die Hansetage zelebriert, nun sind über 40 Stadtbürger nach Tartu gekommen, darunter Oberbürgermeister Martin Patzelt, der Kirchenchor "Männerschola", Studenten der Europauniversität Viadrina und das Ensemble "Drei Liter Landwein", das mittelalterliche Lieder singt.

Die wohl größte deutsche Delegation kommt jedoch aus Lüneburg. "Schließlich ist Tartu unsere Partnerstadt", erklärt Oberbürgermeister Ulrich Mägde, der mit mehr als 80 Lüneburgern angereist ist. Von der feierlichen Eröffnungszeremonie mit anschließendem Feuerwerk hoch über dem Walmdach des rosafarbenen Rathauses war nicht nur er begeistert. Belgier und Niederländer, Franzosen und Russen, Polen, Balten und Skandinavier nahmen bis spät in die Nacht an den Feierlichkeiten teil, die noch bis Sonntag anhalten werden.

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Hintergrund: Neue alte Hanse
Seit 25 Jahren wieder Hansetage

Im späten Mittelalter war die Hanse ein blühendes Bündnis zwischen den Städten und Kaufleuten im Nord- und Ostseegebiet. Warum dieses Bündnis nicht wiederauferstehen lassen, dachten sich Vertreter der niederländischen Stadt Zwolle und luden anlässlich der 750-Jahr-Feier ihrer Stadt 1980 kurzerhand zu einem Hansetag ein. Anlass war ein Dokument aus dem Jahr 1294, das während der Vorbereitung des Jubiläums im Stadtarchiv entdeckt wurde: eine Urkunde, die belegt, dass Zwolle als erste Stadt des Hansebundes die Stadt Lübeck als «Haupt der Hanse» anerkannt hatte.
Die Idee schien den anderen ehemaligen Hansestädten zu gefallen. Zum ersten Hansestadt der Neuzeit erschienen bereits Vertreter aus 43 ehemaligen Hansestädten und die waren fest entschlossen, die Hansetage wieder aufleben zu lassen.

Vertreter von elf Städten fanden sich in Zwolle zur Bildung einer Hansekommission nach altem Vorbild zusammen. Doch den Beschluss zur Wiederauflebung der Hansetage fasste die Kommission wie in alten Zeiten im Lübecker Rathaus. Dabei wurde festgelegt, dass entsprechend der Tradition auch bei den Hansetagen der Neuzeit der Lübecker Bürgermeister regelmäßig den Vorsitz der Hansesitzungen führen sollte. So bildete sich wieder eine aus unabhängigen Städten bestehende Organisation deren Symbol eine stilisierte Kogge mit weiß rotem Segel ist.
Die «Hanse der Neuzeit» vereint heute mehr als 200 Städte aus 16 Ländern: Belgien, Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Russland, Italien, Lettland, Litauen, Niederlande, Norwegen, Polen, Portugal und Schweden.
Ziel des Städtebundes ist es, einen Beitrag zur wirtschaftlichen, kulturellen, sozialen und staatlichen Einigung Europas zu leisten.

In diesem Jahr kann das neue alte Städtebündnis bereits ein eigenes kleines Jubiläum feiern, handelt es sich bei den Feierlichkeiten in Tartu doch bereits um die 25. Hansetage der Neuzeit. Daran nehmen 76 Städte aus zwölf Ländern teilen, knapp die Hälfte davon kommt aus Deutschland.


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