Die Sprache des Nachbarn ab Klasse 1
-----------------------------------------------------------------------
Das Korrespondenten-Netz n-ost besteht aus 50 Autoren in ganz Osteuropa, die regelmäßig für deutschsprachige Medien aus erster Hand zu allen Themenbereichen berichten. Für Abdrucke zahlen Sie bitte das marktübliche Honorar, das Urheberrecht ist zu wahren. Weitere Informationen finden Sie auch auf unserer Homepage www.n-ost.org. Bei Rückfragen schreiben Sie bitte eine E-Mail an n-ost@n-ost.org.
-----------------------------------------------------------------------
von Olaf Sundermeyer (E-Mail: O.Sundermeyer@rbb-online.de, Tel.: 0048 / 663 261 937)
Frankfurt/Oder(n-ost). „Wiosna“ heißt Frühling, das wissen die Kinder der Freien Schule Angermünde in der Uckermark genau. Denn „Wiosna“ ist der Titel des polnischen Frühlingsliedes, das sie mit ihrem Lehrer Mariusz Lagodzinski singen. Er unterrichtet hier Musik, Englisch – und Polnisch. Die Freie Schule Angermünde ist die einzige Grundschule in Brandenburg, wo Polnisch Pflichtfach ist. Ab dem ersten Schuljahr – vier Stunden in der Woche.
Geht es nach Klara Geywitz, wäre es normal, dass Kinder in der Grenzregion die Sprache des Nachbarn lernen. Sie ist Vorsitzende des Arbeitskreises Bildung der SPD-Fraktion im Landtag. Eine gesetzliche Regelung kann sie sich „vorstellen“. Damit schließt sie sich den Stadtverordneten Romy Schneider (SPD), Roland Thom (FDP) und Thomas Feske (PDS) aus Frankfurt (Oder) an, die wollen, dass sich ihr Stadtparlament zu einem durchgängigen Polnisch-Unterricht ab der ersten Klassen bekennt. Klara Geywitz bleibt allerdings bei dem Regierungsstandpunkt, Fremdsprachen erst ab dem dritten Schuljahr zu lehren. Das sieht Brandenburgs Bildungsminister Holger Rupprecht (parteilos) auch so, aber er will „auf keinen Fall den Polnischunterricht zu einer Verpflichtung machen; das funktioniert nur freiwillig“.
Vor vier Jahren gab es bereits einen ähnlichen Vorschlag in der Politik: „Das scheiterte am Widerstand der Eltern“, erinnert sich Dieter Wachner. Der ehemalige Schulrat aus Frankfurt (Oder) leitet dort heute für das Bürgerbündnis den Bildungsausschuss. „Viele Eltern sagen, dass sie nicht wissen, ob sie überhaupt in der Grenzregion bleiben werden, oder ob ihre Kinder hier bleiben. Sie sehen den Sprachnutzen nur auf den Grenzverkehr bezogen“.
Bei einem Blick über einige Ländergrenzen hinweg zeigt sich ein anderes Bild: 876 Kilometer von Frankfurt (Oder) entfernt heißt in Freiburg der Nachbar Frankreich. „Für unsere Kinder ist es doch ganz normal, dass sie zuerst Französisch lernen“, sagt dort ein Vater, dessen Tochter eine von 470 Grundschulen an der Grenze zwischen Baden-Württemberg und Frankreich besucht, wo Französisch seit dem Schuljahr 2003/04 Pflichtfach ab der ersten Klasse ist. Im restlichen Land ist es Englisch. Damit war es das erste Land, dass sich für diesen frühen Fremdsprachenunterricht entschieden hat. Auch die Gewerkschaft Erziehung Wissenschaft hält das dort für „sinnvoll“. Eine Studie der Universität Tübingen ergab, dass Kinder eine Fremdsprache teilweise wie eine Muttersprache lernen. Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) sieht so in ihrem Modell einen „pädagogischen Meilenstein“.
„Für die Kinder ist es viel einfacher, die schwierigen polnischen Laute auszusprechen“, sagt Lehrer Lagodzinski, der auch Erwachsenen die sieben Fälle der polnischen Sprache beibringt: „Aber es geht dabei nicht um Grammatik, wir machen alles nur spielerisch, singen viel, zählen und sprechen gemeinsam“. Und nach der Freien Schule können diese Schüler übergangslos ihre Polnischkenntnisse im Angermünder Einstein-Gymnasium vertiefen, wo Polnisch auch auf dem Stundenplan steht.
In der Grundschule am Botanischen Garten in Frankfurt (Oder) lernen einige Schüler unterdessen freiwillig polnisch – in einer Arbeitsgemeinschaft. „Eine ganze Klasse bekommen wir auch gar nicht zusammen“, sagt Rektorin Gabriele Stümper. Unterrichtet werden die Kinder von einer Lehrerin der fußläufig zu erreichenden Partnerschule aus der polnischen Nachbarstadt Slubice. Gabriele Stümper wünscht sich, dass Polnisch zum Pflichtfach wird, hält es aber „für sehr unwahrscheinlich“. Weil die Eltern es nicht wollen. „Sie sehen in Polen keine Zukunft für ihre Kinder“.
Anders wiederum Bildungsminister Rupprecht. Er glaubt, dass Polnischkenntnisse auf dem Arbeitsmarkt einen deutlichen Vorteil bilden können: „Für die Grenzregion hier ist Polnisch ein Standortvorteil, wenn man es im Angebot hat“. Die Kinder der Freien Schule Angermünde werden ihn nutzen können.
*** Ende ***