Estland

Tartus Perle erstrahlt in neuem Glanz


Tartu (n-ost) - Als ein "Denkmal der engen historischen Verbindungen zwischen Deutschland und Estland" hat Bundespräsident Horst Köhler die Einweihung der mittelalterlichen Johanniskirche in der südestnischen Stadt Tartu (Dorpat) gewürdigt. Mehrere Hundert Ehrengäste aus Deutschland und Estland, darunter der estnische Staatspräsident Arnold Rüütel sowie Ministerpräsident Andrus Ansip, nahmen gemeinsam mit Köhler am Mittwoch an den Feierlichkeiten teil.

Dass die dreischiffige Basilika, die 1944 von sowjetischen Bomben zerstört worden war und fast ein halbes Jahrhundert lang in Trümmern lag, nun wieder in neuem Glanz erstrahlt, ist nicht zuletzt der Nordelbisch Evangelisch-Lutherischen Kirche zu verdanken, die bei der Einweihung unter anderem durch die Lübecker Bischöfin Bärbel Wartenberg-Potter und Vizepräsident Oberkirchenrat Henning Kramer vertreten wurde. Mit rund 640.000 Euro finanzierte die Synode die komplette Inneneinrichtung der Kirche: Bänke und Stühle, Beleuchtung, Kanzel, Altar, Lesepult, Taufbecken, Orgel und Bodenheizung. Neben dem estnischen Staat und der Stadt Tartu gehörte außerdem die deutsche Partnerstadt Lüneburg zu den Hauptgeldgebern.

Der Wiederaufbau des gotischen Gotteshauses hat für die Tartuer eine hohe symbolische Bedeutung. Nach zahlreichen Kriegen und Zerstörungen der Stadt ist sie - neben einer weiteren Kirchenruine und den spärlichen Resten einer Stadtmauer - das einzige Gebäude, das von der glanzvollen Zeit zeugt, als Tartu als Hansestadt eine bedeutende Rolle in Europa spielte und die Geschäfte zwischen Westeuropa und Nowgorod vermittelte. Der Wiederaufbau stehe, so der estnische Ministerpräsident Andrus Ansip, für ein Anknüpfen an die erfolgreiche Vergangenheit: "1999 spendeten die Tartuer und Freunde der Stadt in kurzer Zeit über 41.000 Euro für die Eindeckung des Kirchturms mit Kupferblech und den Kauf einer neuen Bronzeglocke." Bei einem Durchschnittsverdienst von selbst heute nur rund 500 Euro im Monat eine stattliche Summe. Zugleich handelte es sich um die erste große Spendenaktion in Estland in der Nachkriegszeit und zeigte eindrucksvoll, wie sehr die Bevölkerung das Gebäude schätze. "Für die Bürger ist die Johanniskirche ein Symbol unseres Selbstbewusstseins geworden", sagt er.

Dies würdigte auch Bundespräsident Köhler: "Ich beglückwünsche die Bürger der Stadt und das estnische Volk zu dieser großen Wiederaufbauleistung und bin stolz darauf, das Hilfe auch aus Deutschland gekommen ist." Laut Oberkirchenrat Henning Kramer ist die Kirche von großer kulturhistorischer Bedeutung. "Nicht nur für die Esten, sondern auch für Europa." Er hält den Vergleich mit der Dresdner Frauenkirche durchaus für gerechtfertig.

Berühmt sind die rund 1.000 Terrakottafiguren die das Innere und Äußere der mittelalterlichen Kirche schmücken. Gerade aufgrund dieser Ganzkörper- und Halbfiguren, der Ornamente und Kopffriese, der Phantasietiere und Blumen, die das sonst schlichte Gebäude zieren, gilt die Backsteinkirche als eine der schönsten Perlen mittelalterlicher Baukunst in Nordeuropa. Das sahen auch Institutionen im Ausland so: Die Restaurierung der Figuren wurde vom deutschen Innenministerium initiiert und auch der World Monuments Fund sowie die Samuel H. Kress Foundation in New York unterstützten die Arbeit. "Jede einzelne Skulptur ist ein Unikat. Es gibt kein anderes Bauwerk, das der Johanniskirche in der Zahl der Skulpturen, ihrer Größe und Machart auch nur annähernd gleich kommt", erläutert die Restauratorin Eve Alttoa. Anfang des 14. Jahrhunderts aus Tonblöcken geschnitzt und geformt, stellen einige biblische Figuren dar, aber auch gekrönte Häupter und Porträts reicher Stadtbürger finden sich darunter. Die Restaurierung der Terrakotten ist mit der Wiedereinweihung der Kirche jedoch längst noch nicht abgeschlossen. Schätzungsweise 15 Jahre, so die Restauratorin, werde sie dafür noch brauchen.

Rund 200 fertige Skulpturen zierten aber schon während der Feierlichkeiten die Kirche. In den nächsten Tagen, wenn Tartu die internationalen Hansetage feiert, werden sie nicht nur auf Politik- und Kirchenprominenz, sondern auch auf die Köpfe von tausenden Besuchern aus der ganzen Hansewelt, herabblicken.


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