Polen

Die polnische Gesine Schwan


WARSCHAU (n-ost). Die ersten deutschen Worte hat Irena Lipowicz im Schlaf gelernt: Immer dann, wenn in ihrem Elternhaus im schlesischen Gliwice (Gleiwitz) die Stille der Nacht von den Albträumen des Vaters durchbrochen wurde. "Er wurde von der Wehrmacht gefoltert", sagt die Deutschlandbeauftragte der polnischen Regierung leise. Die lauten Rufe aus den Kriegsträumen mag sie nicht wiederholen. "Solche Dinge soll man nicht sagen, das wäre auch zu persönlich", ihre leise Stimme bricht ab, verstummt. Irena Lipowicz ist 52 Jahre alt, unverheiratet und lebt alleine. Basta. Es gibt viele sensible Punkte zwischen ihrem Volk und den 82 Millionen Nachbarn hinter der Westgrenze, manchmal auch Streit - zunehmend häufiger sogar. Deswegen gibt es nun eine Sonderbeauftragte auf beiden Seiten der Oder: Irena Lipowicz ist die polnische Gesine Schwan.

Irena Lipowicz ist Diplomatin und gelernte Juristin, sogar Professorin für Verwaltungsrecht, und von Berufs wegen sehr vorsichtig. Vielleicht war das der Grund, warum Ministerpräsident Marek Belka die ehemalige polnische Botschafterin in Wien hinter den wuchtig eleganten Renaissanceschreibtisch ins Palais des Außenministeriums gesetzt hat. Und weil sie fließend deutsch spricht - und deutsch liest. Ihr Lieblingsbuch: "Manieren", in dem ein äthiopischer Prinz die deutschen Umgangsformen humorvoll auf den Punkt bringt. "Vor allem die deutsche Direktheit war mir anfangs fremd, heute weiß ich sie zu schätzen". Anfangs, das war in den 80ern, war sie Stipendiatin der Alexander-von-Humboldt-Stiftung in Heidelberg und Tübingen. "Eine sehr schöne Zeit", sagt sie heute. Als es für sie als Solidarnosc-Mitglied in Polen schwierig wurde, setzte sie ihr Studium in Deutschland fort. Lipowicz mag eher den Süden Deutschlands, denn den Norden: "Vor allem in Berlin hat mich früher immer diese Preußische Macht abgeschreckt, die aus den Gebäuden atmete.". Das neue moderne Berlin gefällt ihr besser.

Ihren Job gibt es erst, seit sich im Herbst vergangenen Jahres die Regierungen beider Länder darauf geeinigt haben, einen Sonderbeauftragten einzusetzen, um politische Verstimmungen frühzeitig zu klären. Auslöser waren der Streit um die Ansprüche der "Preußischen Treuhand" um das Eigentum vertriebener Deutscher auf heutigem polnischen Staatsgebiet, das so genannte "Zentrum gegen Vertreibung" in Berlin. Der Warschauer Oberbürgermeister und Präsidentschaftskandidat Lech Kaczynski forderten öffentlich Reparationen von Deutschland - ein Tiefpunkt in den deutsch-polnischen Beziehungen nach dem Ende des Kalten Krieges. Wie es aussieht, hat sich der politische Wirbel wieder etwas gelegt, auch weil Irena Lipowicz und Gesine Schwan seit einigen Monaten gegensteuern.

Irena Lipowicz ist zwar leise aber deutlich. Die Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen (BdV) ist für sie jemand, der den beiden Nachbarländern großen Schaden zufügt: "Die ist nicht zugänglich für Argumente", sagt Lipowicz und ärgert sich sichtlich über das geplante "Zentrum gegen Vertreibung in Berlin. "Täter und Opfer dürfen nicht vertauscht werden". Lipowicz warnt vor populistischen Tönen und vor "Stereotypen". Schließlich kennt sie das politische Geschäft; fast zehn Jahre lang saß sie im Sejm (dem polnischen Parlament) für die Demokratische Union und für die Freiheitsunion. Mit Skepsis beobachtet sie die Popularität des Steinbach-Unterstützers Stoiber in Deutschland und des möglichen künftigen polnischen Präsidenten Lech Kaczynski

Doch nach Berlin wird sie nicht als Politikerin, sondern als Diplomatin kommen. Sie darf in der Humboldt-Universität eine Rede halten und gemeinsam mit Gesine Schwan für gute Stimmung sorgen. Von der zweisprachigen Viadrina-Universität an der Oder etwa hält sie viel. "Und weil wir beide so höfliche Menschen sind, redet Gesine Schwan in unseren Gesprächen meistens polnisch und ich deutsch". Von "polnischer Kreativität und deutscher Ordnung" wird die Rede sein, vielleicht Eigenschaften, die auch Gesine Schwan und Irena Lipowicz repräsentieren.

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