Weißrussische Opposition in Bedrängnis
Minsk (n-ost) - Ein Jahr vor der Präsidentschaftswahl verschärft der weißrussische Präsident Alexander Lukaschenko seinen Kampf gegen Andersdenkende. Die letzte unabhängige Tageszeitung "Narodnaja Wolja" steht kurz vor der Schließung. Staatliche Angestellte verlieren wegen regimekritischer Bemerkungen ihre Arbeitsplätze. Oppositionelle Studenten werden von Universitäten entfernt. Dagegen sind vor kurzem mehrere Studierende aus der Stadt Schodino bei Minsk in einen Hungerstreik getreten.
Doch am schärfsten verfolgt Lukaschenko die offizielle Opposition. Ihr bleibt in Belarus der Zugang zu Radio- und Fernsehsendern versperrt, und im Parlament ist keine einzige oppositionelle Partei mehr vertreten. Währendessen läuft die Propaganda-Maschinerie des Regimes auf volle Touren und den Verdiensten des regierenden Staatschefs wird ganz wie zu Breschnew-Zeiten gehuldigt.
Der Vorsitzende der sozialdemokratischen Partei Nikolai Statkewitsch, und der Chef der Jugendorganisation "Malady front" Pawel Sewerinez sind Ende Mai zu zwei Jahren Haft verurteilt worden. Ihnen wird die Organisation einer Protestdemonstration vorgeworfen, die eine "samtene Revolution" - in Anlehnung an die Ukraine - vorbereiten sollte.
Andere Oppositionsführer - darunter die 42-jährige Marina Bogdanowitsch, Chefin der Vereinigten Bürgerlichen Partei in Minsk - werden für ihre Tätigkeit regelmäßig zu Geldstrafen oder Freiheitsentzug verurteilt. Vor zwei Wochen haben die Minsker Gerichtsvollzieher den ersten Teil von Marina Bogdanowitschs Privatbesitz beschlagnahmt.
"Als erstes haben sie mir mein Mobiltelefon weggenommen", sagt die Oppositionspolitikerin in ihrem Minsker Zweizimmer-Appartement, das inzwischen halbleer ist. "Dann packten sie den Fön, den Toaster, den Kassettenrecorder und den Computer ein. Nicht einmal das Bücherregal haben sie stehen lassen. Beim nächsten Mal wollen sie die restlichen Möbelstücke holen. Zurücklassen werden sie nur das Notwendigste - einen Tisch, einen Stuhl und ein Bett".
Im März hat Marina Bogdanowitsch Proteste der Minsker Geschäftsleute gegen die rigorose Politik des Staates gegen die freien Unternehmer mitorganisiert. Im April leitete sie das Umweltfestival "Tscharnobylski schljach", das jährlich im Gedenken an den Reaktorunfall in Tschernobyl durchgeführt wird. Die Teilnehmer protestierten dabei vor allem gegen einen Gesetzentwurf, der demnächst den Kindern aus dem Tschernobyl-Gebiet jegliche Reisen ins Ausland und Aufenthalte in westlichen Familien verbieten soll. Außerdem wurde mit einer Petition eine spezielle Kennzeichnung von Lebensmitteln gefordert, bei deren Herstellung Produkte aus radioaktiv-verseuchten Gebieten verwendet wurden.
"Tschernobylski schljach" war eine friedliche Veranstaltung, die weder zum Sturz des Präsidenten aufrief noch andere politische Forderungen aufstellte", erklärt Marina Bogdanowitsch. Trotzdem kam es während der Veranstaltung zu mehreren Festnahmen. Unter den Inhaftierten befanden sich russische und ukrainische Journalisten sowie Vertreter von ausländischen Jugendbewegungen. Russische Staatsbürger wurden kurz nach der Verhaftung wieder frei gelassen, während die Ukrainer, die seit der orangenen Revolution in Belarus als besonders 'gefährlich' gelten, für die Teilnahme an der Umweltaktion bis zu 15 Tage im Gefängnis verbringen mussten. Dies löste zwischen Belarus und der Ukraine große außenpolitische Spannungen aus, die immer noch bestehen.
Aber am schärften ging die Exekutive nach jener friedlichen Kundgebung gegen die zentrale Figur der Opposition vor. So wurde Marina Bogdanowitsch nach Artikel 167, Teil 1 des weißrussischen Zivilrechts für die Organisation von politischen Protesten zu 3 000 Dollar Strafe verurteilt. Da sie eine solche Summe nicht aufbringen konnte, wurde der Oppositionellen nun ihr Besitz gepfändet.
"Auf der Straße vor meinem Haus stand ein Bus mit der Sondereinheit der Polizei", erinnert sich die Politikerin. "In diesem Augenblick hatte ich das Gefühl, als hätte man die Lautstärke abgedreht. Alles kam mir vor wie in einem Traum". Allerdings seien für sie alle früheren Verhaftungen, Bestrafungen und Androhungen, die sie bereits durchgemacht hat, eine Art "Impfung gegen Angst" gewesen. Darauf reagiere sie nicht mehr. Leben im Zustand des ständigen Stresses sei sie gewohnt und habe sie abgehärtet. "Als ich diese Wohnung im vorigen Sommer bezog, sah ich, wie am gegenüber liegenden Gymnasium eine Videokamera und ein Lichtprojektor angebracht wurden. Seitdem wird jede Nacht ein starker Lichtstrahl direkt auf meine Fenster gerichtet. Alles, was bei mir passiert, wird laufend gefilmt."
Schlimmer noch als die ständige Beobachtung und der materielle Verlust durch die Pfändungen setzt Marina Bogdanowitsch der Allgemeinzustand der weißrussischen Opposition zu. Die Auswahl eines gemeinsamen Präsidentschaftskandidaten für die Wahl im nächsten Jahr verlaufe schwierig. Die weißrussische Oppositionsbewegung "10+", die derzeit aus zehn verschiedenen Parteien und mehreren Bürgerinitiativen besteht, droht zu zerbrechen. Ein Szenario, das Lukaschenko sehr gelegen käme.
Marina Bogdanowitsch schwebt die Gründung eines Kreises von Politikern vor, die kurz vor der Präsidentschaftswahl Lukaschenko ultimativ zum Verzicht auf eine dritte Amtszeit bewegen soll, die dieser sich erst durch ein gefälschtes Referendum im Herbst 2004 gesichert hatte. Zudem soll der Opposition der Zugang zu Massenmedien ermöglicht und alle politischen Gefangenen freigelassen werden. Bogdanowitsch ist überzeugt: "Wenn dieser Prozess gut durchdacht und die Bevölkerung informiert ist, kann der Machtwechsel in Belarus sogar gewaltfrei verlaufen".
Stanislaw Schuschkewitsch, ehemaliger Vorsitzender des Obersten Sowjets der Republik Belarus, der 1991 zusammen mit dem russischen Präsidenten Boris Jelzin den Vertrag über die Auflösung der Sowjetunion initiierte, vergleicht die Lage in seinem Land mit der Spätphase der Sowjetunion: "Wer hätte damals, in den letzten Tagen der Sowjetunion gedacht, dass das sowjetische Monstrum so schnell auseinander fallen würde? Genauso wird es mit Lukaschenko passieren. Regime wie diese sind in der Regel nicht von langer Dauer. Diktatoren wie Lukaschenko sterben meistens keinen natürlichen politischen Tod".
Weil Lukaschenko genau das befürchtet, zieht er die Schrauben in seinem Staat immer fester zu. Wer sich zu wehren versucht, soll hinter Gitter oder außer Landes gedrängt werden, so auch Marina Bogdanowitsch. "Sie sagten, sie hätten fast alle ihre Feinde ausgeschaltet. Sie würden auch mich brechen," erzählt sie von der Begegnung mit dem Staatssicherheitsdienst. Dann hätten sie ihr angeboten, ein Emigrationsvisum für die USA zu beschaffen. Darauf ist die Oppositionspolitikerin nicht eingegangen, obwohl viele ihrer Freunde und Verwandten dafür kein Verständnis hätten. "Es ist meine innere Haltung, nie aufzugeben. Ginge ich hier weg, würde das bedeuten, man hat mich gebrochen und ich habe mich ergeben. Das entspricht nicht meiner Natur", sagt Marina Bogdanowitsch. "Da ich in diesem Land kein ruhiges Leben mehr führen kann, bleibt mir somit nur eins übrig: Meinen Kampf bis zum Sieg zu führen"
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