Polen

Mit dem Uhu überwinden Naturschützer Grenzen

Miedzyzdroje (n-ost) - Majestätisch schwingt sich der Seeadler von der abgestorbenen Buche, deren Wurzeln mühsam Halt in der Abbruchkante der Steilküste suchen. Der mächtige Adler ist das Wappentier des polnischen Nationalparks Wollin an der pommerschen Ostseeküste, rund eine Stunde Autofahrt von Szczecin (Stettin) entfernt.
Aber es war nicht der Greifvogel mit einer Flügelspannweite von mehr als zwei Meter, der die Partnerschaft zwischen dem polnischen Nationalpark und dem westlich gelegenen Naturpark Insel Usedom ins Rollen brachte. Den Anfang machte der Uhu.

Seit 1992 wildern polnische Vogelkundler Uhus auf der Insel Wollin aus. Drei Jahre später hörten Ornithologen den Ruf der größten mitteleuropäischen Eule mit den großen Federohren erstmals auf der deutschen Seite. Eine Überraschung, schließlich galt der Nachtvogel dort bislang als ausgestorben. Ein Anruf der deutschen Naturschützer bei den polnischen Kollegen ergab, dass es sich um ausgewilderte Uhus aus Wollin handelte. Damit begann die grenzüberschreitende wissenschaftliche Zusammenarbeit. Sie mündete am 26. April 2000 in einen Partnerschaftsvertrag, der die Kooperation in schriftliche Form goss.

Heute, so sagt der deutsche Naturpark-Leiter Ulf Wigger, sei die Partnerschaft „keine Besonderheit mehr“. Auch sein Pendant auf polnischer Seite, Dr. Ireneusz Lewicki, lobt die gute Zusammenarbeit. Alltag in der Region der Odermündung, die über Jahrhunderte eine naturräumliche Einheit in der pommerschen Bucht bildete und mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 gespalten wurde, ist sie deshalb aber noch nicht. Auf dem großen Fest zum EU-Beitritt Polens vor einem Jahr waren die deutschen und polnischen Naturschützer nach Wiggers Beobachtung die einzigen Vereine, die einen gemeinsamen Stand hatten. „Wir sind hier Vorreiter der deutsch-polnischen Zusammenarbeit“, meint er.

Probleme haben die Umweltschützer auf beiden Seiten der Grenze genug. Viele Inseln, Moore, Seen und lange Sandstrände prägen die eiszeitliche Endmöränenlandschaft auf Usedom. Attraktiv ist der 630 Quadratkilometer große Naturpark deshalb nicht nur für eine artenreiche Tier- und Pflanzenwelt, sondern auch für viele Touristen. 7,5 Millionen Übernachtungen wurden 2004 gezählt. Die Urlauber haben ihre Ansprüche. Da sich vor allem im Sommer auf Usedoms Straßen Stoßstange an Stoßstange reiht, fechten örtliche Tourismusmanager für den Ausbau einer Bundesstraße, die vom Grenzstädtchen Ahlbeck nach Anklam führt. Haken aus Sicht der Naturschützer: Die Straße geht mitten durch ein Naturschutzgebiet, in dem Rote Liste-Arten wie Wachtelkönig, Große Rohrdommel oder Seggenrohrsänger genau so brüten wie Seeadler und Kranich. Zudem müssen sich die Naturschützer immer wieder gegen Initiativen wehren, die an den bislang noch intakten Sandstränden Sportboothäfen bauen oder in Küstennähe Erdgas fördern möchten.

Auch auf polnischer Seite bringt der Andrang hunderttausender Sommerfrischler Ungemach. Vermeintliche Naturfreunde verlassen die markierten Wege, stören Tiere und zertrampeln die Vegetation. Nutzlos sind in diesen Fällen die strengen internationalen Schutzvorschriften, die für den 1960 gegründeten Nationalpark mit seiner schroffen Steilküste und den alten Buchenwäldern gelten. Straßen und Eisenbahnlinien fordern im Schutzgebiet ihre Opfer. Mindestens fünf der insgesamt 36 ausgewilderten Uhus verunglückten tödlich an Oberleitungen der Eisenbahn, klagt Direktor Lewicki. Sorgen bereiten zudem die Finanzen. Von der Warschauer Zentralregierung fließt das Geld nicht mehr so üppig in den Nationalpark, so dass zum Beispiel der Bau eines Umweltbildungszentrums in Miedzyzdroje ins Stocken geraten ist

Umso bedeutender bei der Vielzahl der Probleme ist für den polnischen Parkdirektor deshalb der nachbarschaftliche Austausch untereinander. „Zusammen wollen wir bedrohten Tierarten helfen. Das ist das Wichtigste“, sagt Lewicki. Dafür werden gemeinsam Verkehrskonzepte diskutiert, Naturschutzmaßnahmen erörtert oder Broschüren in deutscher und polnischer Sprache veröffentlicht. „Häufig genügt ein Anruf, der Rest ist mittlerweile Routine“, bestätigt Wigger. Kommuniziert wird auf englisch, aber es gibt in beiden Verwaltungen jeweils eine Person, die die andere Sprache spricht.

Erste materielle Früchte abgeworfen hat die Kooperation besonders für die Deutschen. Dank des Partnerschaftsvertrags mit den Polen gingen aus dem EU-Förderprogramm Interreg III knapp 800.000 Euro in den Umbau des Usedomer Klaus-Bahlsen-Haus, in dem Naturparkverwaltung und Naturwacht ihren Sitz haben. Jüngst profitierten die deutschen Naturschützer erneut von ihren östlichen Nachbarn. Aus der Wisentzuchtanlage in Miedzyzdroje importierten sie vier der großen europäischen Bisons. Nun grasen die Wisente friedlich in einem Freigehege im südlichen Teil der Insel Usedom.

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