Rumänien

Renault will sich einen Traum erfüllen


Von n-ost-Korrespondentin Annett Müller

Borna (n-ost) - Tobias Mittag aus der sächsischen Kleinstadt Borna hat nicht erst gewartet, „bis bei der Nachfrage die Luft raus ist.“ Seit Februar bietet er als einer der ersten deutschen Renault-Autohändler den Dacia Logan an. Das Billigauto, das der französische Automobilkonzern Renault in Rumänien produzieren lässt, hat erst am Freitag seinen offiziellen Verkaufsstart in Deutschland. „Ein schlagzeilenträchtiges Fahrzeug, das Deutschland weit nirgends zu finden ist, ist eine gute Marktnische“, sagt Autohändler Mittag. Er importierte bislang knapp 100 Logans aus Tschechien und verkaufte sie als EU-Fahrzeug.

Dass der Dacia Logan in Deutschland angeboten wird, war vor einem Jahr noch undenkbar. Damals präsentierte der französische Renault-Konzern die neue Stufenhecklimousine der Weltöffentlichkeit: Das Familienauto, in das bequem fünf Personen passen, war für die Märkte in Osteuropa, Asien und Lateinamerika konzipiert. Grundpreis: 5.980 Euro für die Basis-Variante. Ohne ABS, Klimaanlage oder elektrische Fensterheber. Wer mehr will, zahlt mehr.

Aber selbst mit großzügigerer Ausstattung bleibt der neue Dacia ein Preisbrecher. „Der Logan holt die westeuropäische Automobilindustrie mit ihren überzogenen Preisen vermutlich wieder auf den Boden zurück“, hofft Autohändler Mittag. Unklar ist bislang, wie viele westeuropäische Käufer das Auto haben wollen. Sicher ist nur, dass eine Konkurrenz auf dem Markt nicht gerade willkommen ist. Der Logan wird beargwöhnt, selbst im eigenen Mutterkonzern. Dass der sächsische Autohändler das „erste preislich vernünftige Auto“ schon ein halbes Jahr früher anbot, ließ Renault nicht unkommentiert: Der Renault-Händler solle sich lieber auf die Vermarktung der französischen Produkte konzentrieren.

Über den Logan hat sich in den vergangenen Monaten viel Kritik ergossen. Deutsche Autozeitschriften wiesen in Tests zahlreiche Mängel am Billigauto nach und fragten provokant, ob ein gebrauchter Golf nicht mehr wert sei als ein neuer Logan? Renault besserte nach und stattete die Westeuropa-Variante gleich anders aus: ABS, zwei Airbags und Drei-Punkt-Sicherheitsgurte. Der deutsche Grundpreis liegt damit bei 7.200 Euro.

Das Tamtam im Vorfeld der deutschen Markteinführung ist für den Chef des rumänischen Dacia-Werks, François Fourmont, lediglich der Beweis, „dass wir den deutschen Automobilherstellern offenbar Kopfzerbrechen bereiten.“ Der Franzose verwaltet das Dacia-Werk in der rumänischen Kleinstadt Mioveni von der Hauptstadt Bukarest aus. Im Erdgeschoss der Zentrale lassen sich im Autohaus interessierte Käufer auf Logan-Wartelisten eintragen. Eine Szene, die sich in Deutschland so nicht abspielen wird. Lediglich 3.000 Logans sollen in diesem Jahr auf dem deutschen Markt angeboten werden – Peanuts, verglichen zu den Zahlen im Herstellungsland: 80.000 Logan-Verkäufe werden in diesem Jahr in Rumänien erwartet. Der Marktstart in Deutschland werde interessant, aber nicht einfach, heißt es bei Renault. „Schließlich wurde in Deutschland diskutiert, ob dass, was billig ist und aus Rumänien kommt, überhaupt etwas taugen kann“, sagt François Fourmont. „Diese Einstellung hat uns schockiert.“

Für die deutsche Autoindustrie ist Rumänien dagegen längst kein unbekanntes Terrain mehr: Große deutsche Zulieferfirmen lassen im künftigen EU-Land schon seit Jahren Autoreifen, Kabelsätze, Wälzlager oder elektrische Fensterheber herstellen. Made in Romania ist schließlich kostengünstiger. Im Dacia-Werk entsteht unterdessen im Drei-Schicht-System nicht Zubehör für andere Markennamen, sondern ein ganzes Auto. Und nicht irgendein Auto, sondern der rumänische „Volkswagen“ Dacia. In die Übernahme des Dacia-Werkes investierte Renault rund 700 Millionen Euro und erwarb „nicht nur einen kostengünstigen Produktionsstandort, sondern gleichzeitig auch eine nationale Automarke mit einem großen heimischen Absatzmarkt“, sagt Dacia-Chef Fourmont. In Rumänien sieht man den Logan vielerorts, ob auf Straßen oder Werbeplakaten. Für das neue Auto wird mit einem einprägsamen Slogan geworben: „Träume werden wahr“. Auch Renault will sich mit dem Logan einen Traum erfüllen: Nach Konzernplänen sollen in den nächsten Jahren weltweit rund eine Million Menschen das rumänische Billigauto kaufen.

„Ohne die Franzosen wäre Dacia pleite gegangen, wie so viele andere rumänische Staatsunternehmen“, sagt Valeriu Popescu*, einer der 12.000 Angestellten im Dacia-Werk. Rund die Hälfte der Mannschaft arbeitet in der Produktion - 600 Dacia-Logans entstehen täglich. In den Werkshallen stehen auf großen Tafeln Losungen wie „Qualität“, „Gründlichkeit“ oder „Ordnung“ – soll noch einer sagen, die Rumänen wüssten nicht, worum es bei der Produktion eines Weltautos geht. Unter dem ohrenbetäubenden Lärm der Pressmaschinen entstehen in der Karosserie-Halle im Sekundentakt die Einzelteile, die später in Handarbeit zusammengeschweißt werden. Über die Arbeit sagt Valeriu Popescu: „Uns bleibt keine Zeit zu denken, sie wäre eintönig.“ Popescu, der wegen seines Jobs seinen richtigen Namen nicht nennen will, lebt im Dorf Suseni, 25 Kilometer vom Dacia-Werk entfernt. Der Arbeitsweg, eine löchrige Landstraße, kostet ihn täglich vier Busstunden und ein Fünftel seines Netto-Einkommens. Die 140 Euro reichen gerade, um die Familie zu versorgen, nicht aber für das Produkt, das er baut. Popescu hat gerechnet. „Ich müsste länger als vier Jahre drei Viertel meines Lohnes zurücklegen, um mir einen Logan leisten zu können.“ Aussichtslos. Manche Träume werden nie wahr.


* Name auf Wunsch geändert


Technische Daten:
Der neue Logan, innerlich ein Franzose, ist mit Renault-Technik ausgestattet. Das Design stammt vom rumänischen Nationalauto Dacia. Die Idee, ein Billigauto für die neuen Wachstumsmärkte zu schaffen, stammt von Ex-Renault-Chef Louis Schweitzer. Der 4,25 Meter lange Logan hat einen ungewöhnlich großen Kofferraum (510 Liter). Die viertürige Stufenhecklimousine ist wahlweise mit 75 oder 90 PS zu haben. Der Durchschnittsbenzinverbrauch liegt bei 6,8 bis 7,2 Liter auf hundert Kilometer.

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