Polen

Hassobjekt oder Stalin-Kult

Warschau (n-ost) - Obwohl Konrad Chmielewski fast zwei Meter groß ist, sieht er jetzt ganz klein aus. Ein grauer Berg aus Granit macht das mit ihm. Arbeiter aus Stein, die, das Manifest unter den Arm geklemmt, siegessicher in die Ferne blicken, bewachen den Saum des Palastes. Der Warschauer Architekt steht davor, schaut nach oben und zieht abschätzig die Mundwinkel nach unten. „Leider wäre sprengen zu teuer“, sagt er. Chmielewski gehört zum Lager der Palasthasser – Jubiläum hin oder her.

Der Kulturpalast, das heimliche Wahrzeichen Warschaus, wird 50 Jahre alt. Mit seinen 231 Metern Höhe dient er, ähnlich wie der Fernsehturm in Berlin, als zentrale Orientierungshilfe in der Stadt. Weniger schmal als breit, wurde der pseudoantike, realsozialistische Brocken aus der Stalin-Ära wie eine zweite Stadt mitten ins Herz des damals fast völlig zerstörten Warschaus gestampft. Die lettische Hauptstadt Riga bekam die Mini-Version.

Im Jahr 1952 machte Stalin den Polen dieses „Geschenk“. 16 Bauarbeiter hatten ihr Leben geopfert, als der Kulturpalast im Sommer 1955 im Namen des mittlerweile toten Schenkers eingeweiht wurde. Den Ein-Mann-Fahrstuhl zum Bühneneingang des Kongresssaals benutzten die Nachfolger Nikita Chruschtschow und Leonid Breschnew.

Seit fünf Jahrzehnten gedeiht im „Palac Kultury“, wie die Polen ihn nennen, ein einzigartiger Mikrokosmos. Drei Theater, ein Kino, zwei Museen, ein Kongresssaal, ein Schwimmbad, 70 Firmen, eine Aussichtsplattform, eine Post, eine Bank, mehrere Cafes und Restaurants, 40 Fahrstühle, 25 Kellerkatzen... Wer aufzählen will, was alles den gesamten Palast ausmacht, dem kann schnell schwindelig werden.

Die Aussichtsplattform im 30. Stock des Kolosses, der dem Empire State Building des Klassenfeindes nacheiferte, lieben besonders die Touristen. „Hier war es still wie in einem Segelflugzeug. Man hörte irgendwo das leise Säuseln des Morgenwindes, und dieses Geräusch erinnerte an die Leere in einer riesigen Flöte.“ So ist sie in einer Szene des Romans „Auf der Spitze des Kulturpalastes“ von Tadeusz Konwicki beschrieben. Viele Gedichte wurden über den Palast geschrieben. Die meisten von ihnen klingen hilflos, wütend, zynisch.

Bei einem Staatsbesuch soll der französische Präsident Charles de Gaulle vor dem Palast gestanden haben, und, ihn musternd, dann langsam mit dem Kopf nickend, kommentiert haben: „Klein und geschmackvoll.“ Darüber kann auch Chmielewski heute lachen.

Doch wirklich freuen kann sich über das 50. Jubiläum niemand – jedenfalls nicht laut. Denn für viele Polen, besonders für die älteren Hauptstädter, steht das Gebäude als Symbol für jahrzehntelange Unterdrückung. Zu präsent sind noch die alljährlichen Panzerparaden am 1. Mai vor dem Palast, die heuchlerischen Reden der verhassten Parteispitzen, von der steinernen Tribüne herab.

Aus jener Zeit stammen die Legenden, die sich bis heute wie eine geheimnisvolle Schlingpflanze um den Palast ranken. „Der unterirdische Atombunker kann uns vielleicht irgendwann vor Bin Laden schützen“, sagt die Friseurin ein paar Straßen weiter und pustet auf ihre frisch lackierten Nägel. Außerdem habe Stalin geheime Gänge, die alle wichtigen Orte der Stadt sternförmig mit dem Palast verbinden, unter der Erde bauen lassen. Doch, doch, bis ans andere Weichselufer, sagt sie. „Alles Unsinn“, sagt Palastpräsident Lech Isakiewicz. „Klar, dass die das abstreiten“, sagt die Friseurin.

„Der Palast ist Kult!“ findet hingegen Jaciek Sienkiewicz. Er ist 29 Jahre alt, und hat im Nordostflügel gerade einen Nachtklub eröffnet. Der heißt „1955“, nach dem Baujahr, und versteckt sich im zweiten Stock. Jacek sagt, er mache „moderne, minimalistische Tanzmusik“. Als DJ und Musiker reist er nach Berlin, Chicago und Amsterdam. Wenn seine ausländischen Künstlerfreunde nach Warschau kommen, dann seien sie von seinem Palastklub sehr beeindruckt.

„Kult? Stalin? Das ist unmöglich!“ sagt Chmielewski, der Warschauer Architekt. „Wenn hier je irgendetwas Kult war, dann der Auftritt der Rolling Stones im Kongresssaal 1967. Die Stones hatten ihre eigene Anlage mitgebracht. In der ersten Reihe saßen damals die Ehefrauen der Parteibonzen und hielten sich die Ohren zu. Mick Jagger stellte sich direkt vor die satten Herrschaften, fasste sich in den Schritt und sang: „I can’t get no satisfaction!“ Das war Kult!“ sagt er.

Tagsüber hielten die Parteisoldaten im Kongresssaal ihre Konferenzen ab, und abends bezauberten Marlene Dietrich, Ella Fitzgerald, und Mireille Mathieu die Kultur begeisterten Polen. Im vergangenen April trat hier der deutsche Jazzmusiker Till Brönner auf.

Tief unter der Erde, im dritten Kellergeschoss steht ein Kühlschrank, den Elzbieta Michalska alle drei Tage mit 15 Kilo Hühnerleber und Nierchen auffüllt. Der beißende Uringestank, den selbst Theaterbesucher drei Stockwerke weiter oben noch manchmal riechen, stört sie gar nicht. Die gepflegte Dame mit der Hochsteckfrisur steht neben den Fressnäpfen, in denen glibberige, dunkelrote Innereien liegen. Sie lächelt entschuldigend und sagt: „Dies ist das Paradies für meine liebsten Palastkätzchen.“ Sie stehen auf der Gehaltsliste des Präsidenten.

*** Ende ***


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