Usbekistan

„Bleiregen: Das Massaker von Andischan"

„Bleiregen: Das Massaker von Andischan, dem 13. Mai“ – so lautet der russische Titel des Berichts der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW). Kurz nach dem „blutigen Freitag“ führten HRW-Mitarbeiter während drei Tagen Interviews mit insgesamt 50 Augenzeugen im usbekischen Andischan und in einem Flüchtlingslager in Kirgisien.

Die Bilanz: „Aufgrund des Ausmaßes der Tötungen und des Vorgehens der Sicherheitskräfte können die Ereignisse nur als „Massaker“ bezeichnet werden. Die Gewaltanwendung war völlig unverhältnismäßig im Vergleich zur Gefahr, die von der protestierenden Menge ausging“, kommentiert Ken Roth, Exekutivdirektor von HRW.

Derweilen seien die Erklärungen der usbekischen Regierung zu den Geschehnissen komplett falsch, so Roth: „Die Regierung sagt, es seien nur 170 Menschen gestorben, während es in Wahrheit viel mehr sind. Sie sagt, die meisten seien durch bewaffnete Demonstranten erschossen worden, während in Wirklichkeit die große Mehrzahl durch die Sicherheitskräfte getötet wurden. Die Regierung behauptet, dass die Demonstranten die Regierung stürzen wollten, um einen islamischen Staat zu kreieren, während die Menschen tatsächlich aber gegen staatliche Repression, einen unfairen Prozess gegen 23 Geschäftleute, Arbeitslosigkeit und Misswirtschaft der Regierung protestierten.“

In Andischan hat sich nach HRW-Ermittlungen folgendes zugetragen: In der Nacht vom 12. zum 13. Mai überfielen 50 bis 100 junge Männer – darunter auch Freunde und Verwandte der 23 Geschäftsleute – eine Polizeistation und eine Militärbasis. Dabei bewaffneten sie sich und stürmten daraufhin das lokale Gefängnis, aus dem sie mehrere hundert Insassen befreiten - darunter auch die Geschäftsleute. Kurz darauf besetzten die jungen Männer die Gebietsverwaltung und nahmen 25 bis 40 Beamte als Geiseln. „Dies sind alles kriminelle Vergehen, die Human Rights Watch verurteilt“, betont Roth und fährt fort: „Die dafür verantwortlichen Leute hätten von der Regierung verfolgt und zur Rechenschaft gezogen werden können. Stattdessen aber wandte sie unverhältnismäßige Gewalt an.“

Nachdem die Menschen von der Besetzung der Gebietsverwaltung vernahmen, strömten sie immer zahlreicher auf die Strassen. Laut HRW befanden sich rund 10.000 Menschen – darunter viele Frauen und Kinder - auf dem zentralen Bobur Square, als die Sicherheitskräfte um vier Uhr nachmittags sämtliche Straßen – außer dem „Tscholpon Prospekt“ in Richtung Norden – blockierten. Um fünf Uhr eröffneten Militärfahrzeuge, die entlang der Menschenmenge fuhren, das Feuer. Daraufhin versuchten die Demonstranten auf dem einzigen Ausweg - dem „Tscholpon Prospekt“ in Richtung Norden – zu entkommen. In der ersten Fluchtgruppe von rund 300 Personen befanden sich viele der bewaffneten jungen Männer. Sie benutzten die Geiseln als Schutzschilder.

Auf der Höhe der Schule Nummer 15 eröffneten hinter Sandsäcken postierte Soldaten und auf den Dächern der Häuser postierte Scharfschützen das Feuer: „Alle dieser ersten Gruppe wurden systematisch erschossen. Wenn sich noch jemand bewegte, wurde das Feuer wieder eröffnet. Es war ein Massaker – schlicht und einfach.“, erklärte Roth.

Kurz nach dem Blutbad begannen die Aufräumarbeiten. Alle Leichen wurden weggeräumt - außer den großen, starken Männern. Das Blut wurde weggewaschen und die Einschusslöcher an den Häusern repariert. Die Sicherheitskräfte gingen von Haus zu Haus, um nach Fremden zu suchen und warnten die Leute davor, mit Journalisten zu sprechen.

Der Bericht von HRW bringt mehr Klarheit zum Hergang der Ereignisse. Noch aber sind viele Fragen offen: Wie viele Tote gab es genau? Wo wurden sie hingebracht? Welche Truppen waren beteiligt? HRW fordert deshalb dringend eine Internationale Untersuchung und appelliert an die USA, Russland und die EU Druck auf den usbekischen Präsidenten Islam Karimow aufzuüben. „Es geht dabei nicht nur um Andischan. Mit Andischan setzte Karimow ein Zeichen, dass jeder Versuch einer orangenen Revolution in Usbekistan in blutiges Rot getaucht wird“, erklärte Roth. 

Doch die USA und die EU haben sich bisher zurückhaltend gezeigt: Die USA verhandelt zur Zeit mit Usbekistan über die Installierung einer permanenten Militärbasis und die EU will ihr Partnerschaftsabkommen mit Taschkent nicht aufs Spiel setzen. „Bush hielt Karimow bisher für einen guten Verbündeten im Kampf gegen den Terrorismus. Aber was kann Terrorismus mehr fördern, als die Tötung hunderter usbekischen Bürgern“, argumentiert Roth.


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